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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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daß über zweien seiner Gedichte steht: "als er dicht berauscht war!" Wir
theilen aus diesen beiden Gedichten einige Proben mit.

[Beginn Spaltensatz] Mags doch sein! ick) will verehren,
Was ich nicht genießen kann!
Willst du meine Lieder hören,
O so hör' auch dieses an: [Spaltenumbruch] Daß der Strahl von deinem Glänze,
Welcher dich vor anderen ziert,
Auch den Ruhm von meinem Kranze
Mit sich aus die Nachwelt führt. (S. 922) [Ende Spaltensatz]

Für einen "dichten Rausch." in welchem man nichts Schlimmeres macht,
als solche Verse, füllt man wol nicht der ewigen Verdammniß anheim. --
Uebrigens waren die schlimmeren Folgen seines Studentenlebens handgreiflich:
er hatte seine Medicin versäumt, seine Gesundheit war auch wol angegriffen,
und er steckte tief in Schulden. Als er Wittenberg verlassen wollte, ließen ihn
seine Gläubiger verhaften; der aufgebrachte Vater erklärte, ihn nicht weiter
unterstützen zu wollen; doch fand er Freunde und Gönner, die ihn losmachten,
und so kam er Juni 1717 nach Leipzig. Nur anderthalb Jahr hatte er in Witten¬
berg zugebracht: besaß er nun die Kraft, sich von seinem bisherigen Treiben
loszureißen, so dürfte man von diesen Jugendstreichen kein großes Aufheben
machen.

Leipzig war im Gegensatz zu Wittenberg eine höchst respectable Universi¬
tät; gleichfalls orthodox, aber nur insofern die rechte Lehre zugleich die schick¬
liche war. In der reichen Kaufmannswelt mußte der Student sich den Sitten
fügen; die Professoren waren mit den Patriciern verschwägert, und höchst re-
spectcibel; der respectabelste unter ihnen, Burkhard Mencke, der Nachfolger
seines Vaters in der Herausgabe der weltberühmten ^.etg. Lruäitorum und in
der Professur, der große Gönner aller Fortschritte in Sprache und Literatur,
als "Philander von der Linde" selbst galanter Dichter. Günther muß doch
noch nicht so zerlumpt ausgesehn hahen, wie er humoristisch sich selbst schildert
und von andern geschildert wird, denn dieser ansehnliche Herr (er wurde den
27. Apr. 1719 zum viertenmal Rector Magnificus) nahm sich freundlich seiner
an und führte ihn in die besten Gesellschaften ein. Daß er seine lustigen Be¬
kanntschaften fortsetzte, sah er ihm nach. Die schlimmste Frage war: wovon
sollte der junge Mann leben? Heute gibt man Privatstunden oder schreibt
Theaterrecensionen; das erste scheint Günther gethan zu haben, aber es brachte
nicht viel ein; zum zweiten gab es damals noch keine Gelegenheit. Zählende
Buchhändler gab es wenig, die einzige Art, sich zu erhalten, war die versi-
sicirte Gratulation und Condolation. Davon lebte Gottsched noch als Pro-


daß über zweien seiner Gedichte steht: „als er dicht berauscht war!" Wir
theilen aus diesen beiden Gedichten einige Proben mit.

[Beginn Spaltensatz] Mags doch sein! ick) will verehren,
Was ich nicht genießen kann!
Willst du meine Lieder hören,
O so hör' auch dieses an: [Spaltenumbruch] Daß der Strahl von deinem Glänze,
Welcher dich vor anderen ziert,
Auch den Ruhm von meinem Kranze
Mit sich aus die Nachwelt führt. (S. 922) [Ende Spaltensatz]

Für einen „dichten Rausch." in welchem man nichts Schlimmeres macht,
als solche Verse, füllt man wol nicht der ewigen Verdammniß anheim. —
Uebrigens waren die schlimmeren Folgen seines Studentenlebens handgreiflich:
er hatte seine Medicin versäumt, seine Gesundheit war auch wol angegriffen,
und er steckte tief in Schulden. Als er Wittenberg verlassen wollte, ließen ihn
seine Gläubiger verhaften; der aufgebrachte Vater erklärte, ihn nicht weiter
unterstützen zu wollen; doch fand er Freunde und Gönner, die ihn losmachten,
und so kam er Juni 1717 nach Leipzig. Nur anderthalb Jahr hatte er in Witten¬
berg zugebracht: besaß er nun die Kraft, sich von seinem bisherigen Treiben
loszureißen, so dürfte man von diesen Jugendstreichen kein großes Aufheben
machen.

Leipzig war im Gegensatz zu Wittenberg eine höchst respectable Universi¬
tät; gleichfalls orthodox, aber nur insofern die rechte Lehre zugleich die schick¬
liche war. In der reichen Kaufmannswelt mußte der Student sich den Sitten
fügen; die Professoren waren mit den Patriciern verschwägert, und höchst re-
spectcibel; der respectabelste unter ihnen, Burkhard Mencke, der Nachfolger
seines Vaters in der Herausgabe der weltberühmten ^.etg. Lruäitorum und in
der Professur, der große Gönner aller Fortschritte in Sprache und Literatur,
als „Philander von der Linde" selbst galanter Dichter. Günther muß doch
noch nicht so zerlumpt ausgesehn hahen, wie er humoristisch sich selbst schildert
und von andern geschildert wird, denn dieser ansehnliche Herr (er wurde den
27. Apr. 1719 zum viertenmal Rector Magnificus) nahm sich freundlich seiner
an und führte ihn in die besten Gesellschaften ein. Daß er seine lustigen Be¬
kanntschaften fortsetzte, sah er ihm nach. Die schlimmste Frage war: wovon
sollte der junge Mann leben? Heute gibt man Privatstunden oder schreibt
Theaterrecensionen; das erste scheint Günther gethan zu haben, aber es brachte
nicht viel ein; zum zweiten gab es damals noch keine Gelegenheit. Zählende
Buchhändler gab es wenig, die einzige Art, sich zu erhalten, war die versi-
sicirte Gratulation und Condolation. Davon lebte Gottsched noch als Pro-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/302>, abgerufen am 25.07.2024.