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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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welche etwa Rittergüter erwerben*). Unter solchen Besitzern ruht die Land¬
standschaft. Die Rittergutsbesitzer (Ritterschaft) bilden mit den Vertretern von
44 Städten (Landschaft) den Landtag. Nicht vertreten sind auf diesem: Neu-
strelitz, erst seit dem 20 Mai 1733 als Stadt fundirr. Wismar. welches seine
landständischen Rechte während der schwedischen Herrschaft verlor, und Schön¬
berg, eine "amtssässige" Stadt; ferner das Fürstenthum Schwerin, welches
ganz, und das Fürstenthum Natzeburg. welches bis auf drei Rittergüter do-
nianial ist.

Der Landtag tritt jährlich einmal im Herbste, seltener im Frühlinge zu¬
sammen und wechselt in den Städten Malchin und Sternberg ab. Bon dem
Gebrauch, daß in den ältesten Zeiten der Landtag (auf die Dauer je eines Tages)
unter freiem Himmel abgehalten wurde, weil die Stände nämlich fürchteten,
daß der Einfluß der Landesherren in den Städten einer freien Berathung
Fesseln anlegen möge, schreibt es sich her, daß der Landtag, wenn die Reihe an
die Stadt Sternberg kommt, noch heute auf dem außerhalb der Ringmauer
gelegenen "Iudenberge" eröffnet wird. Zur Berathung kommen landesherr¬
liche Vorlagen, sowie auch Vorschläge zum allgemeinen Besten, welche das
Directorium vorlegt, und privativ-ständische Angelegenheiten oder Anträge
dritter Personen, deren Vertretung die Stände übernommen hatten. Werden
von den Landesherren außer der Zeit Aufforderungen zur Berathung an den
engeren Ausschuß gerichtet, so legt dieser sie dem Landtage vor.

Die Verhandlungen werden durch das Directorium geleitet, dies macht
die Vorlagen, indem es bestimmt, worüber verhandelt werden soll. Eigentlich
darf es während der Verhandlungen selbst nicht zugegen sein. Die Protokoll¬
führer werden gewählt. Die meisten Vorlagen gehen zur Berichterstattung
an Ausschüsse, welche nach Herzogthümern oder Kreisen gewöhnlich in gleicher
Zahl aus der Ritter- und der Landschaft gewählt werden. Angelegenheiten,
welche nur den einzelnen Stand betreffen, z. B. die klösterlichen und Recep-
tionssachen, behandelt derselbe ausschließlich allein. Bei der Abstimmung ent¬
scheidet Stimmenmehrheit, handelt aber Stand gegen Stand, ohne daß Ei¬
nigung zu erreichen steht, so hat jeder Stand das Recht der illo in xartes,
so daß ein Stand nicht von dem andern überstimmt werden kann. Ist aber
in diesem Falle der Gegenstand der Verhandlung ein solcher, welcher der
landesherrlichen Sanction unterliegt, so kann durch diese eine Entscheidung fol¬
gen. Bei Bewilligung von Geschenken wird Stimmeneinheit gefordert, und
wirkliche Rechte können durch Stimmenmehrheit weder beschränkt noch auf¬
gehoben werden.

Die Stände haben das Recht der Berathung hinsichtlich der Gesetzgebung



-) 1812 erwarb ein Jude auf specielle landesherrliche Erlaubniß ein Rittergut. Im All¬
gemeinen ist solches den Juden verboten.

welche etwa Rittergüter erwerben*). Unter solchen Besitzern ruht die Land¬
standschaft. Die Rittergutsbesitzer (Ritterschaft) bilden mit den Vertretern von
44 Städten (Landschaft) den Landtag. Nicht vertreten sind auf diesem: Neu-
strelitz, erst seit dem 20 Mai 1733 als Stadt fundirr. Wismar. welches seine
landständischen Rechte während der schwedischen Herrschaft verlor, und Schön¬
berg, eine „amtssässige" Stadt; ferner das Fürstenthum Schwerin, welches
ganz, und das Fürstenthum Natzeburg. welches bis auf drei Rittergüter do-
nianial ist.

Der Landtag tritt jährlich einmal im Herbste, seltener im Frühlinge zu¬
sammen und wechselt in den Städten Malchin und Sternberg ab. Bon dem
Gebrauch, daß in den ältesten Zeiten der Landtag (auf die Dauer je eines Tages)
unter freiem Himmel abgehalten wurde, weil die Stände nämlich fürchteten,
daß der Einfluß der Landesherren in den Städten einer freien Berathung
Fesseln anlegen möge, schreibt es sich her, daß der Landtag, wenn die Reihe an
die Stadt Sternberg kommt, noch heute auf dem außerhalb der Ringmauer
gelegenen „Iudenberge" eröffnet wird. Zur Berathung kommen landesherr¬
liche Vorlagen, sowie auch Vorschläge zum allgemeinen Besten, welche das
Directorium vorlegt, und privativ-ständische Angelegenheiten oder Anträge
dritter Personen, deren Vertretung die Stände übernommen hatten. Werden
von den Landesherren außer der Zeit Aufforderungen zur Berathung an den
engeren Ausschuß gerichtet, so legt dieser sie dem Landtage vor.

Die Verhandlungen werden durch das Directorium geleitet, dies macht
die Vorlagen, indem es bestimmt, worüber verhandelt werden soll. Eigentlich
darf es während der Verhandlungen selbst nicht zugegen sein. Die Protokoll¬
führer werden gewählt. Die meisten Vorlagen gehen zur Berichterstattung
an Ausschüsse, welche nach Herzogthümern oder Kreisen gewöhnlich in gleicher
Zahl aus der Ritter- und der Landschaft gewählt werden. Angelegenheiten,
welche nur den einzelnen Stand betreffen, z. B. die klösterlichen und Recep-
tionssachen, behandelt derselbe ausschließlich allein. Bei der Abstimmung ent¬
scheidet Stimmenmehrheit, handelt aber Stand gegen Stand, ohne daß Ei¬
nigung zu erreichen steht, so hat jeder Stand das Recht der illo in xartes,
so daß ein Stand nicht von dem andern überstimmt werden kann. Ist aber
in diesem Falle der Gegenstand der Verhandlung ein solcher, welcher der
landesherrlichen Sanction unterliegt, so kann durch diese eine Entscheidung fol¬
gen. Bei Bewilligung von Geschenken wird Stimmeneinheit gefordert, und
wirkliche Rechte können durch Stimmenmehrheit weder beschränkt noch auf¬
gehoben werden.

Die Stände haben das Recht der Berathung hinsichtlich der Gesetzgebung



-) 1812 erwarb ein Jude auf specielle landesherrliche Erlaubniß ein Rittergut. Im All¬
gemeinen ist solches den Juden verboten.
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[0276] welche etwa Rittergüter erwerben*). Unter solchen Besitzern ruht die Land¬ standschaft. Die Rittergutsbesitzer (Ritterschaft) bilden mit den Vertretern von 44 Städten (Landschaft) den Landtag. Nicht vertreten sind auf diesem: Neu- strelitz, erst seit dem 20 Mai 1733 als Stadt fundirr. Wismar. welches seine landständischen Rechte während der schwedischen Herrschaft verlor, und Schön¬ berg, eine „amtssässige" Stadt; ferner das Fürstenthum Schwerin, welches ganz, und das Fürstenthum Natzeburg. welches bis auf drei Rittergüter do- nianial ist. Der Landtag tritt jährlich einmal im Herbste, seltener im Frühlinge zu¬ sammen und wechselt in den Städten Malchin und Sternberg ab. Bon dem Gebrauch, daß in den ältesten Zeiten der Landtag (auf die Dauer je eines Tages) unter freiem Himmel abgehalten wurde, weil die Stände nämlich fürchteten, daß der Einfluß der Landesherren in den Städten einer freien Berathung Fesseln anlegen möge, schreibt es sich her, daß der Landtag, wenn die Reihe an die Stadt Sternberg kommt, noch heute auf dem außerhalb der Ringmauer gelegenen „Iudenberge" eröffnet wird. Zur Berathung kommen landesherr¬ liche Vorlagen, sowie auch Vorschläge zum allgemeinen Besten, welche das Directorium vorlegt, und privativ-ständische Angelegenheiten oder Anträge dritter Personen, deren Vertretung die Stände übernommen hatten. Werden von den Landesherren außer der Zeit Aufforderungen zur Berathung an den engeren Ausschuß gerichtet, so legt dieser sie dem Landtage vor. Die Verhandlungen werden durch das Directorium geleitet, dies macht die Vorlagen, indem es bestimmt, worüber verhandelt werden soll. Eigentlich darf es während der Verhandlungen selbst nicht zugegen sein. Die Protokoll¬ führer werden gewählt. Die meisten Vorlagen gehen zur Berichterstattung an Ausschüsse, welche nach Herzogthümern oder Kreisen gewöhnlich in gleicher Zahl aus der Ritter- und der Landschaft gewählt werden. Angelegenheiten, welche nur den einzelnen Stand betreffen, z. B. die klösterlichen und Recep- tionssachen, behandelt derselbe ausschließlich allein. Bei der Abstimmung ent¬ scheidet Stimmenmehrheit, handelt aber Stand gegen Stand, ohne daß Ei¬ nigung zu erreichen steht, so hat jeder Stand das Recht der illo in xartes, so daß ein Stand nicht von dem andern überstimmt werden kann. Ist aber in diesem Falle der Gegenstand der Verhandlung ein solcher, welcher der landesherrlichen Sanction unterliegt, so kann durch diese eine Entscheidung fol¬ gen. Bei Bewilligung von Geschenken wird Stimmeneinheit gefordert, und wirkliche Rechte können durch Stimmenmehrheit weder beschränkt noch auf¬ gehoben werden. Die Stände haben das Recht der Berathung hinsichtlich der Gesetzgebung -) 1812 erwarb ein Jude auf specielle landesherrliche Erlaubniß ein Rittergut. Im All¬ gemeinen ist solches den Juden verboten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/276>, abgerufen am 25.07.2024.