Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich reißen wird, steht zu erwarten, daß auch die russischen Stammverwandten
in der europäischen Türkei, die Serben, die Bosniakcn, die Bulgaren, Sla-
vonier und türkischen Kroaten, sich allmälig gewöhnen werden, dies Bisthum
als ihren christlichen Mittelpunkt zu betrachten. Auch von der Bewerbung um
kirchliche Würden, welche bis dahin nur von Griechen bekleidet wurden, kön¬
nen russische Geistliche ans die Dauer nicht abgehalten werden. Da nun ein
Umschlagen dieser ungünstigen Luftströmung nur, solange die mißliebigen nor¬
dischen Brüder mit ihrer häuslichen Existenz in der heiligen Stadt von dem Pa¬
triarchat abhängig sind, gehofft werden darf, nicht aber, wenn sie durch eig¬
nen Grunderwerb ihr Dasein auf alle Zukunft dort gesichert, so muß ihrer
Festsetzung durch Häuserankauf möglichst entgegen gearbeitet werden. -- Nicht
sehr verschieden argumentirte aber auch die russische Mission. Die Griechen,
hieß es da, fürchten durch uns in ihrem unerbaulichen Schlendrian gestört zu
werden und setzen deshalb Alles daran, uns von Jerusalem fern zu halten.
So lange ihnen in dieser Beziehung ein Hoffnungsschimmer bleibt, werden wir
viel von ihnen zu leiden haben; gelingt es uns aber trotz aller ihrer Intri¬
guen uns selbständig einzurichten, da müssen sie sich schon mit uns vertragen,
und wir gewinnen den vortheilhaftesten Einfluß auf sie. Es kommt also vor allen
Dingen darauf an, durch Grundeigenthum in Jerusalem ansässig zu werden.

So standen sich also die Interessen der russischen und der griechischen
Geistlichkeit in dem Punkte, welcher ihnen selbst als der wichtigste galt, grade
entgegen. Die letztere aber^ in ihrer, jede Neuerung verneinenden Stellung
war besser daran als ihre Gegner. Bischof Cyrill hatte seinen Glaubens¬
brüdern gegenüber Rücksichten zu beobachten, ohne ihnen zu trauen; während
er noch schwankte, ob er in seinen Absichten mit oder ohne ihren Beistand,
vorgehn solle, hatten diese die türkischen Behörden der heiligen Stadt schon
längst für ihre Wünsche zu interessiren gewußt. Wie sich auf Erden so Manches
ausgleicht, so liegt auch in der Schwäche der türkischen Rajah ein bedeutender
Theil ihrer Kraft. Diese Schwäche, welche sie zu der sorgfältigsten Discretion
verpflichtet, eröffnet ihnen die Möglichkeit, sich höhern, den äußern Schein der
Ehrlichkeitpflichtmäßig aufrecht erhaltenden Beamten mit Bestechungen zu nähern,
welche von Mächtigern -- als solche gelten, wegen ihrer freien Stellung die
Europäer -- angeboten, unbedingt zurückgewiesen werden würden. Was also
in unserm Falle die Rassen trotz ihres Reichthums und ihrer Opfenvilligkeit
nicht würden vermocht haben, das gelang den Griechen mit Leichtigkeit; Su-
reja Pascha, der Gouverneuer von Palästina, ließ sich ihrem Antrage gemäß
von der Pforte einen ostensibeln Verhaltungsbefehl ertheilen, wonach für die
Folge alle Ankäufe von Häusern und Grundstücken in Jerusalem sowol durch
einheimische als auch durch fremde Christen, als den Interessen des Islam
schädlich, verhindert werden sollten.


sich reißen wird, steht zu erwarten, daß auch die russischen Stammverwandten
in der europäischen Türkei, die Serben, die Bosniakcn, die Bulgaren, Sla-
vonier und türkischen Kroaten, sich allmälig gewöhnen werden, dies Bisthum
als ihren christlichen Mittelpunkt zu betrachten. Auch von der Bewerbung um
kirchliche Würden, welche bis dahin nur von Griechen bekleidet wurden, kön¬
nen russische Geistliche ans die Dauer nicht abgehalten werden. Da nun ein
Umschlagen dieser ungünstigen Luftströmung nur, solange die mißliebigen nor¬
dischen Brüder mit ihrer häuslichen Existenz in der heiligen Stadt von dem Pa¬
triarchat abhängig sind, gehofft werden darf, nicht aber, wenn sie durch eig¬
nen Grunderwerb ihr Dasein auf alle Zukunft dort gesichert, so muß ihrer
Festsetzung durch Häuserankauf möglichst entgegen gearbeitet werden. — Nicht
sehr verschieden argumentirte aber auch die russische Mission. Die Griechen,
hieß es da, fürchten durch uns in ihrem unerbaulichen Schlendrian gestört zu
werden und setzen deshalb Alles daran, uns von Jerusalem fern zu halten.
So lange ihnen in dieser Beziehung ein Hoffnungsschimmer bleibt, werden wir
viel von ihnen zu leiden haben; gelingt es uns aber trotz aller ihrer Intri¬
guen uns selbständig einzurichten, da müssen sie sich schon mit uns vertragen,
und wir gewinnen den vortheilhaftesten Einfluß auf sie. Es kommt also vor allen
Dingen darauf an, durch Grundeigenthum in Jerusalem ansässig zu werden.

So standen sich also die Interessen der russischen und der griechischen
Geistlichkeit in dem Punkte, welcher ihnen selbst als der wichtigste galt, grade
entgegen. Die letztere aber^ in ihrer, jede Neuerung verneinenden Stellung
war besser daran als ihre Gegner. Bischof Cyrill hatte seinen Glaubens¬
brüdern gegenüber Rücksichten zu beobachten, ohne ihnen zu trauen; während
er noch schwankte, ob er in seinen Absichten mit oder ohne ihren Beistand,
vorgehn solle, hatten diese die türkischen Behörden der heiligen Stadt schon
längst für ihre Wünsche zu interessiren gewußt. Wie sich auf Erden so Manches
ausgleicht, so liegt auch in der Schwäche der türkischen Rajah ein bedeutender
Theil ihrer Kraft. Diese Schwäche, welche sie zu der sorgfältigsten Discretion
verpflichtet, eröffnet ihnen die Möglichkeit, sich höhern, den äußern Schein der
Ehrlichkeitpflichtmäßig aufrecht erhaltenden Beamten mit Bestechungen zu nähern,
welche von Mächtigern — als solche gelten, wegen ihrer freien Stellung die
Europäer — angeboten, unbedingt zurückgewiesen werden würden. Was also
in unserm Falle die Rassen trotz ihres Reichthums und ihrer Opfenvilligkeit
nicht würden vermocht haben, das gelang den Griechen mit Leichtigkeit; Su-
reja Pascha, der Gouverneuer von Palästina, ließ sich ihrem Antrage gemäß
von der Pforte einen ostensibeln Verhaltungsbefehl ertheilen, wonach für die
Folge alle Ankäufe von Häusern und Grundstücken in Jerusalem sowol durch
einheimische als auch durch fremde Christen, als den Interessen des Islam
schädlich, verhindert werden sollten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110070"/>
          <p xml:id="ID_755" prev="#ID_754"> sich reißen wird, steht zu erwarten, daß auch die russischen Stammverwandten<lb/>
in der europäischen Türkei, die Serben, die Bosniakcn, die Bulgaren, Sla-<lb/>
vonier und türkischen Kroaten, sich allmälig gewöhnen werden, dies Bisthum<lb/>
als ihren christlichen Mittelpunkt zu betrachten. Auch von der Bewerbung um<lb/>
kirchliche Würden, welche bis dahin nur von Griechen bekleidet wurden, kön¬<lb/>
nen russische Geistliche ans die Dauer nicht abgehalten werden. Da nun ein<lb/>
Umschlagen dieser ungünstigen Luftströmung nur, solange die mißliebigen nor¬<lb/>
dischen Brüder mit ihrer häuslichen Existenz in der heiligen Stadt von dem Pa¬<lb/>
triarchat abhängig sind, gehofft werden darf, nicht aber, wenn sie durch eig¬<lb/>
nen Grunderwerb ihr Dasein auf alle Zukunft dort gesichert, so muß ihrer<lb/>
Festsetzung durch Häuserankauf möglichst entgegen gearbeitet werden. &#x2014; Nicht<lb/>
sehr verschieden argumentirte aber auch die russische Mission. Die Griechen,<lb/>
hieß es da, fürchten durch uns in ihrem unerbaulichen Schlendrian gestört zu<lb/>
werden und setzen deshalb Alles daran, uns von Jerusalem fern zu halten.<lb/>
So lange ihnen in dieser Beziehung ein Hoffnungsschimmer bleibt, werden wir<lb/>
viel von ihnen zu leiden haben; gelingt es uns aber trotz aller ihrer Intri¬<lb/>
guen uns selbständig einzurichten, da müssen sie sich schon mit uns vertragen,<lb/>
und wir gewinnen den vortheilhaftesten Einfluß auf sie. Es kommt also vor allen<lb/>
Dingen darauf an, durch Grundeigenthum in Jerusalem ansässig zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_756"> So standen sich also die Interessen der russischen und der griechischen<lb/>
Geistlichkeit in dem Punkte, welcher ihnen selbst als der wichtigste galt, grade<lb/>
entgegen. Die letztere aber^ in ihrer, jede Neuerung verneinenden Stellung<lb/>
war besser daran als ihre Gegner. Bischof Cyrill hatte seinen Glaubens¬<lb/>
brüdern gegenüber Rücksichten zu beobachten, ohne ihnen zu trauen; während<lb/>
er noch schwankte, ob er in seinen Absichten mit oder ohne ihren Beistand,<lb/>
vorgehn solle, hatten diese die türkischen Behörden der heiligen Stadt schon<lb/>
längst für ihre Wünsche zu interessiren gewußt. Wie sich auf Erden so Manches<lb/>
ausgleicht, so liegt auch in der Schwäche der türkischen Rajah ein bedeutender<lb/>
Theil ihrer Kraft. Diese Schwäche, welche sie zu der sorgfältigsten Discretion<lb/>
verpflichtet, eröffnet ihnen die Möglichkeit, sich höhern, den äußern Schein der<lb/>
Ehrlichkeitpflichtmäßig aufrecht erhaltenden Beamten mit Bestechungen zu nähern,<lb/>
welche von Mächtigern &#x2014; als solche gelten, wegen ihrer freien Stellung die<lb/>
Europäer &#x2014; angeboten, unbedingt zurückgewiesen werden würden. Was also<lb/>
in unserm Falle die Rassen trotz ihres Reichthums und ihrer Opfenvilligkeit<lb/>
nicht würden vermocht haben, das gelang den Griechen mit Leichtigkeit; Su-<lb/>
reja Pascha, der Gouverneuer von Palästina, ließ sich ihrem Antrage gemäß<lb/>
von der Pforte einen ostensibeln Verhaltungsbefehl ertheilen, wonach für die<lb/>
Folge alle Ankäufe von Häusern und Grundstücken in Jerusalem sowol durch<lb/>
einheimische als auch durch fremde Christen, als den Interessen des Islam<lb/>
schädlich, verhindert werden sollten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0264] sich reißen wird, steht zu erwarten, daß auch die russischen Stammverwandten in der europäischen Türkei, die Serben, die Bosniakcn, die Bulgaren, Sla- vonier und türkischen Kroaten, sich allmälig gewöhnen werden, dies Bisthum als ihren christlichen Mittelpunkt zu betrachten. Auch von der Bewerbung um kirchliche Würden, welche bis dahin nur von Griechen bekleidet wurden, kön¬ nen russische Geistliche ans die Dauer nicht abgehalten werden. Da nun ein Umschlagen dieser ungünstigen Luftströmung nur, solange die mißliebigen nor¬ dischen Brüder mit ihrer häuslichen Existenz in der heiligen Stadt von dem Pa¬ triarchat abhängig sind, gehofft werden darf, nicht aber, wenn sie durch eig¬ nen Grunderwerb ihr Dasein auf alle Zukunft dort gesichert, so muß ihrer Festsetzung durch Häuserankauf möglichst entgegen gearbeitet werden. — Nicht sehr verschieden argumentirte aber auch die russische Mission. Die Griechen, hieß es da, fürchten durch uns in ihrem unerbaulichen Schlendrian gestört zu werden und setzen deshalb Alles daran, uns von Jerusalem fern zu halten. So lange ihnen in dieser Beziehung ein Hoffnungsschimmer bleibt, werden wir viel von ihnen zu leiden haben; gelingt es uns aber trotz aller ihrer Intri¬ guen uns selbständig einzurichten, da müssen sie sich schon mit uns vertragen, und wir gewinnen den vortheilhaftesten Einfluß auf sie. Es kommt also vor allen Dingen darauf an, durch Grundeigenthum in Jerusalem ansässig zu werden. So standen sich also die Interessen der russischen und der griechischen Geistlichkeit in dem Punkte, welcher ihnen selbst als der wichtigste galt, grade entgegen. Die letztere aber^ in ihrer, jede Neuerung verneinenden Stellung war besser daran als ihre Gegner. Bischof Cyrill hatte seinen Glaubens¬ brüdern gegenüber Rücksichten zu beobachten, ohne ihnen zu trauen; während er noch schwankte, ob er in seinen Absichten mit oder ohne ihren Beistand, vorgehn solle, hatten diese die türkischen Behörden der heiligen Stadt schon längst für ihre Wünsche zu interessiren gewußt. Wie sich auf Erden so Manches ausgleicht, so liegt auch in der Schwäche der türkischen Rajah ein bedeutender Theil ihrer Kraft. Diese Schwäche, welche sie zu der sorgfältigsten Discretion verpflichtet, eröffnet ihnen die Möglichkeit, sich höhern, den äußern Schein der Ehrlichkeitpflichtmäßig aufrecht erhaltenden Beamten mit Bestechungen zu nähern, welche von Mächtigern — als solche gelten, wegen ihrer freien Stellung die Europäer — angeboten, unbedingt zurückgewiesen werden würden. Was also in unserm Falle die Rassen trotz ihres Reichthums und ihrer Opfenvilligkeit nicht würden vermocht haben, das gelang den Griechen mit Leichtigkeit; Su- reja Pascha, der Gouverneuer von Palästina, ließ sich ihrem Antrage gemäß von der Pforte einen ostensibeln Verhaltungsbefehl ertheilen, wonach für die Folge alle Ankäufe von Häusern und Grundstücken in Jerusalem sowol durch einheimische als auch durch fremde Christen, als den Interessen des Islam schädlich, verhindert werden sollten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/264
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/264>, abgerufen am 25.07.2024.