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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Bundesgenossen. Daß es sich auf die Länge auf Oestreich nicht stützen kann,
hat es hinlänglich eingesehn; außerdem sind die Principien, nach welchen Oest¬
reich seine Handelspolitik einrichtet, durchaus nicht von der Art, England zu
einer nähern Verbindung zu veranlassen, und der Umstand, daß in der ita¬
lienische" Frage die ungeheure Mehrheit des englischen Volks auf Seite der
Italiener gegen Oestreich steht, fällt doch auch ins Gewicht. In dem König¬
reich Italien kann England hoffen, Frankreich einen mächtigen Rivalen ent¬
gegen zu setzen, der unter Umständen sogar im Landkrieg zu gebrauchen wäre:
denn das erste, was Victor Emanuel thun wird, sobald er auf eignen Füßen
steht, ist, den lästigen Einfluß Frankreichs von sich abzuschütteln.

Hier tritt nun freilich ein Zweifel ein, für den wir noch keine Lösung
finden. Napoleon weiß das alles so gut als Lord Palmerston; er weiß, daß
ein Königreich Italien ihm sür spätere Erobcrungspläne weit gefährlicher ist,
als das Kaiserthum Oestreich. Ohne seine offne oder stillschweigende Zustim¬
mung kommt aber ein Königreich Italien nicht zu Stande, und für diese Zu¬
stimmung wird er einen theuern Preis verlangen. Welchen Preis kann ihm
England zahlen?

Wie gesagt, wir haben keine bestimmte Antwort darauf. So viel liegt
auf der Hand, daß England eine Vergrößerung Frankreichs in Italien nicht
zulassen darf, ohne einen Selbstmord zu begehn. So bleibt nur zweierlei
übrig: entweder der Rhein oder der Orient.

Es ist bereits irgendwo die Behauptung aufgestellt worden, England
würde einen Continentalkrieg, einen Krieg Frankreichs gegen Deutschland ganz
gern sehen, weil sein Handel dabei nicht verlieren, sondern nur gewinnen kann.
Bereits 1848 hat es eine ähnliche Erfahrung gemacht. Aber die Sache hat
noch eine andere Seite. Der Ausgang des Krieges ist zweifelhaft, es läge
doch nicht außer den Grenzen der Möglichkeit, daß Napoleon wirklich die Rhein-
provinz. Belgien und Holland eroberte und die deutschen Fürsten wenigens sür
einige Zeit widerstandsunfähig machte. Alsdann stände Frankreich mit verdop¬
pelter Macht England gegenüber, und die Gefahr eines für England verderb¬
lichen Zusammenstoßes wäre in nächste Nähe gerückt.

Alle diese Betrachtungen gehn freilich von der Voraussetzung aus, daß
die Männer, welche England regieren, bei Sinnen sind. Indessen mit dieser
Voraussetzung rechnet man im Ganzen immer richtiger als mit der entgegen¬
gesetzten.

Wenn also Frankreich am Rhein keine Entschädigung erhalten soll, so
bleibt nur der Orient übrig. Freilich ist es schwer zu sagen, was man ihm
hier gewähren kann. Indeß muß man dabei in Anschlag bringen, daß es
den Franzosen nicht blos um den unmittelbaren Erwerb, daß es ihm auch um
den Prestige zu thun ist. Ein Kreuzzug hat sür ihre Einbildung viel Ver-


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Bundesgenossen. Daß es sich auf die Länge auf Oestreich nicht stützen kann,
hat es hinlänglich eingesehn; außerdem sind die Principien, nach welchen Oest¬
reich seine Handelspolitik einrichtet, durchaus nicht von der Art, England zu
einer nähern Verbindung zu veranlassen, und der Umstand, daß in der ita¬
lienische» Frage die ungeheure Mehrheit des englischen Volks auf Seite der
Italiener gegen Oestreich steht, fällt doch auch ins Gewicht. In dem König¬
reich Italien kann England hoffen, Frankreich einen mächtigen Rivalen ent¬
gegen zu setzen, der unter Umständen sogar im Landkrieg zu gebrauchen wäre:
denn das erste, was Victor Emanuel thun wird, sobald er auf eignen Füßen
steht, ist, den lästigen Einfluß Frankreichs von sich abzuschütteln.

Hier tritt nun freilich ein Zweifel ein, für den wir noch keine Lösung
finden. Napoleon weiß das alles so gut als Lord Palmerston; er weiß, daß
ein Königreich Italien ihm sür spätere Erobcrungspläne weit gefährlicher ist,
als das Kaiserthum Oestreich. Ohne seine offne oder stillschweigende Zustim¬
mung kommt aber ein Königreich Italien nicht zu Stande, und für diese Zu¬
stimmung wird er einen theuern Preis verlangen. Welchen Preis kann ihm
England zahlen?

Wie gesagt, wir haben keine bestimmte Antwort darauf. So viel liegt
auf der Hand, daß England eine Vergrößerung Frankreichs in Italien nicht
zulassen darf, ohne einen Selbstmord zu begehn. So bleibt nur zweierlei
übrig: entweder der Rhein oder der Orient.

Es ist bereits irgendwo die Behauptung aufgestellt worden, England
würde einen Continentalkrieg, einen Krieg Frankreichs gegen Deutschland ganz
gern sehen, weil sein Handel dabei nicht verlieren, sondern nur gewinnen kann.
Bereits 1848 hat es eine ähnliche Erfahrung gemacht. Aber die Sache hat
noch eine andere Seite. Der Ausgang des Krieges ist zweifelhaft, es läge
doch nicht außer den Grenzen der Möglichkeit, daß Napoleon wirklich die Rhein-
provinz. Belgien und Holland eroberte und die deutschen Fürsten wenigens sür
einige Zeit widerstandsunfähig machte. Alsdann stände Frankreich mit verdop¬
pelter Macht England gegenüber, und die Gefahr eines für England verderb¬
lichen Zusammenstoßes wäre in nächste Nähe gerückt.

Alle diese Betrachtungen gehn freilich von der Voraussetzung aus, daß
die Männer, welche England regieren, bei Sinnen sind. Indessen mit dieser
Voraussetzung rechnet man im Ganzen immer richtiger als mit der entgegen¬
gesetzten.

Wenn also Frankreich am Rhein keine Entschädigung erhalten soll, so
bleibt nur der Orient übrig. Freilich ist es schwer zu sagen, was man ihm
hier gewähren kann. Indeß muß man dabei in Anschlag bringen, daß es
den Franzosen nicht blos um den unmittelbaren Erwerb, daß es ihm auch um
den Prestige zu thun ist. Ein Kreuzzug hat sür ihre Einbildung viel Ver-


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[0247] Bundesgenossen. Daß es sich auf die Länge auf Oestreich nicht stützen kann, hat es hinlänglich eingesehn; außerdem sind die Principien, nach welchen Oest¬ reich seine Handelspolitik einrichtet, durchaus nicht von der Art, England zu einer nähern Verbindung zu veranlassen, und der Umstand, daß in der ita¬ lienische» Frage die ungeheure Mehrheit des englischen Volks auf Seite der Italiener gegen Oestreich steht, fällt doch auch ins Gewicht. In dem König¬ reich Italien kann England hoffen, Frankreich einen mächtigen Rivalen ent¬ gegen zu setzen, der unter Umständen sogar im Landkrieg zu gebrauchen wäre: denn das erste, was Victor Emanuel thun wird, sobald er auf eignen Füßen steht, ist, den lästigen Einfluß Frankreichs von sich abzuschütteln. Hier tritt nun freilich ein Zweifel ein, für den wir noch keine Lösung finden. Napoleon weiß das alles so gut als Lord Palmerston; er weiß, daß ein Königreich Italien ihm sür spätere Erobcrungspläne weit gefährlicher ist, als das Kaiserthum Oestreich. Ohne seine offne oder stillschweigende Zustim¬ mung kommt aber ein Königreich Italien nicht zu Stande, und für diese Zu¬ stimmung wird er einen theuern Preis verlangen. Welchen Preis kann ihm England zahlen? Wie gesagt, wir haben keine bestimmte Antwort darauf. So viel liegt auf der Hand, daß England eine Vergrößerung Frankreichs in Italien nicht zulassen darf, ohne einen Selbstmord zu begehn. So bleibt nur zweierlei übrig: entweder der Rhein oder der Orient. Es ist bereits irgendwo die Behauptung aufgestellt worden, England würde einen Continentalkrieg, einen Krieg Frankreichs gegen Deutschland ganz gern sehen, weil sein Handel dabei nicht verlieren, sondern nur gewinnen kann. Bereits 1848 hat es eine ähnliche Erfahrung gemacht. Aber die Sache hat noch eine andere Seite. Der Ausgang des Krieges ist zweifelhaft, es läge doch nicht außer den Grenzen der Möglichkeit, daß Napoleon wirklich die Rhein- provinz. Belgien und Holland eroberte und die deutschen Fürsten wenigens sür einige Zeit widerstandsunfähig machte. Alsdann stände Frankreich mit verdop¬ pelter Macht England gegenüber, und die Gefahr eines für England verderb¬ lichen Zusammenstoßes wäre in nächste Nähe gerückt. Alle diese Betrachtungen gehn freilich von der Voraussetzung aus, daß die Männer, welche England regieren, bei Sinnen sind. Indessen mit dieser Voraussetzung rechnet man im Ganzen immer richtiger als mit der entgegen¬ gesetzten. Wenn also Frankreich am Rhein keine Entschädigung erhalten soll, so bleibt nur der Orient übrig. Freilich ist es schwer zu sagen, was man ihm hier gewähren kann. Indeß muß man dabei in Anschlag bringen, daß es den Franzosen nicht blos um den unmittelbaren Erwerb, daß es ihm auch um den Prestige zu thun ist. Ein Kreuzzug hat sür ihre Einbildung viel Ver- 30*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/247>, abgerufen am 04.07.2024.