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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ken (Klein) Nemerow. --Dem Schnitzen in diesem Dorffe werden jehrlichen von der
Nachbarschafft (welches in dem Dorffe vmbgehet) vier Hüner gegeben und welcher
das Jahr dem Schnitzen gibt, derselbe gibt kein Hünergelt nach Nemerow"
u. s. w. In demselben Bande der Jahrbücher u. s. w. wird eine Urkunde
mitgetheilt, durch welche der Comthur Georg von Bibbeck zu Nemerow dem
Hans Röggelin das Schulzengericht zu Gudendorf verleiht. Hans Röggelin
soll dasselbe besitzen "in crafft dieses Brieffes in aller mathem vnd form, so
lebens recht is" u. s. w. Hiefür soll er bezahlen "vehr mark Finkenogen gangk-
hafftiger zunutze vor ein Lehnpferdt" u. s. w. Diese Schulzen verwalteten in
ihren Dörfern das hohe und niedere Gericht. Im Jahre 1646 behaupteten
die Schulzen der Comthurei, daß, wenn sie in Criminalsachen das Gericht
hegten, dem ältesten jedesmal ein halber Thaler und ihnen zusammen vor
und nach gehaltenem Gerichte "eine Mahlzeit Essens nebens einer könne bier"
gegeben werde. -- Wir haben uns diese Abschweifung von unserem Thema
erlaubt, weil die sehr interessante Stellung dieser Lehenschulzen wenig bekannt
ist; die Mehrzahl von ihnen hat sich in der Nähe der ehemaligen Johanniter-
comthurei Mirow, natürlich ohne Gerichtsbarkeit, jedoch im Lehenbesitze, er¬
halten.

Beim Verkaufe oder bei der Vererbung der freien Allodialgüter bedarf es
eines Consenses nur in dem Falle, wenn der Landesherr sich, wie bei einigen
geschehn ist, das Vorkaufsrecht reservirt hat. Immer aber muß eine Gebühr
von V- Proc. des Kasssgeldes erlegt werden. --

Auf dem Grunde der Besitzverhältnisse, welche wir im Eingange geschildert
haben, entstand der Feudalstaat des Mittelalters. ein Agglomerat persönlicher
Verbände um den Mittelpunkt des gemeinsamen Schutzes. In ihm hatte jeder
Grundherr, auch der Fürst als solcher, für seine und seiner Untergebenen Be¬
dürfnisse selbst und allein zu sorgen; daraus entstanden fincmcielle Verlegen¬
heiten, langwierige Streitigkeiten, welche sich größtentheils um die Aufbringung
der zum Ttaatsbedürfnisse nöthigen Gelder drehten. Denn der reine Feudal¬
staat bestand nicht lange; die Kosten der fürstlichen Haushaltung und der
Landesdiener, welche der Fürst principiell allein tragen sollte, vermehrten sich
schnell und verursachten schon früh -- eigentlich schon seit der Zeit des scharf¬
sinnigen Herzogs Albrechts des Zweiten. 1335--1379 -- diejenigen Bestrebungen
gegen den Feudalismus und seine Folgen (die persönliche Beschränkung, welche
er den Fürsten auflegte), welche nach langen Zwistigkeiten doch mit Erfolg
gekrönt wurden. Jener Herzog Albrecht der Zweite hatte weitausschauende
kühne Pläne; er selbst gewann die herzogliche Würde, sein Sohn Albrecht
wurde zum Könige von Schweden erhoben und der Vater beabsichtigte nichts
weniger, als neben Mecklenburg auch Schweden und Dänemark für sich und
seinen Stamm zu gewinnen. Seine Versuche scheiterten, aber sie hatten große


Grenzboien III. 1S60, 29

ken (Klein) Nemerow. —Dem Schnitzen in diesem Dorffe werden jehrlichen von der
Nachbarschafft (welches in dem Dorffe vmbgehet) vier Hüner gegeben und welcher
das Jahr dem Schnitzen gibt, derselbe gibt kein Hünergelt nach Nemerow"
u. s. w. In demselben Bande der Jahrbücher u. s. w. wird eine Urkunde
mitgetheilt, durch welche der Comthur Georg von Bibbeck zu Nemerow dem
Hans Röggelin das Schulzengericht zu Gudendorf verleiht. Hans Röggelin
soll dasselbe besitzen „in crafft dieses Brieffes in aller mathem vnd form, so
lebens recht is" u. s. w. Hiefür soll er bezahlen „vehr mark Finkenogen gangk-
hafftiger zunutze vor ein Lehnpferdt" u. s. w. Diese Schulzen verwalteten in
ihren Dörfern das hohe und niedere Gericht. Im Jahre 1646 behaupteten
die Schulzen der Comthurei, daß, wenn sie in Criminalsachen das Gericht
hegten, dem ältesten jedesmal ein halber Thaler und ihnen zusammen vor
und nach gehaltenem Gerichte „eine Mahlzeit Essens nebens einer könne bier"
gegeben werde. — Wir haben uns diese Abschweifung von unserem Thema
erlaubt, weil die sehr interessante Stellung dieser Lehenschulzen wenig bekannt
ist; die Mehrzahl von ihnen hat sich in der Nähe der ehemaligen Johanniter-
comthurei Mirow, natürlich ohne Gerichtsbarkeit, jedoch im Lehenbesitze, er¬
halten.

Beim Verkaufe oder bei der Vererbung der freien Allodialgüter bedarf es
eines Consenses nur in dem Falle, wenn der Landesherr sich, wie bei einigen
geschehn ist, das Vorkaufsrecht reservirt hat. Immer aber muß eine Gebühr
von V- Proc. des Kasssgeldes erlegt werden. —

Auf dem Grunde der Besitzverhältnisse, welche wir im Eingange geschildert
haben, entstand der Feudalstaat des Mittelalters. ein Agglomerat persönlicher
Verbände um den Mittelpunkt des gemeinsamen Schutzes. In ihm hatte jeder
Grundherr, auch der Fürst als solcher, für seine und seiner Untergebenen Be¬
dürfnisse selbst und allein zu sorgen; daraus entstanden fincmcielle Verlegen¬
heiten, langwierige Streitigkeiten, welche sich größtentheils um die Aufbringung
der zum Ttaatsbedürfnisse nöthigen Gelder drehten. Denn der reine Feudal¬
staat bestand nicht lange; die Kosten der fürstlichen Haushaltung und der
Landesdiener, welche der Fürst principiell allein tragen sollte, vermehrten sich
schnell und verursachten schon früh — eigentlich schon seit der Zeit des scharf¬
sinnigen Herzogs Albrechts des Zweiten. 1335—1379 — diejenigen Bestrebungen
gegen den Feudalismus und seine Folgen (die persönliche Beschränkung, welche
er den Fürsten auflegte), welche nach langen Zwistigkeiten doch mit Erfolg
gekrönt wurden. Jener Herzog Albrecht der Zweite hatte weitausschauende
kühne Pläne; er selbst gewann die herzogliche Würde, sein Sohn Albrecht
wurde zum Könige von Schweden erhoben und der Vater beabsichtigte nichts
weniger, als neben Mecklenburg auch Schweden und Dänemark für sich und
seinen Stamm zu gewinnen. Seine Versuche scheiterten, aber sie hatten große


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/237>, abgerufen am 05.07.2024.