Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.suchten die Raskolniken sich selbst zu helfen. Sie wendeten sich an einen grie¬ Das neue Oberhaupt der Raskolniken theilte Rußland insgeheim in sechs Unter dem Generalgouvemeur, welcher Moskau in den Jahren 1848 bis "Droht ern derartiger Stand der Dinge nicht der Zukunft Rußlands un¬ suchten die Raskolniken sich selbst zu helfen. Sie wendeten sich an einen grie¬ Das neue Oberhaupt der Raskolniken theilte Rußland insgeheim in sechs Unter dem Generalgouvemeur, welcher Moskau in den Jahren 1848 bis „Droht ern derartiger Stand der Dinge nicht der Zukunft Rußlands un¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0227" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110033"/> <p xml:id="ID_639" prev="#ID_638"> suchten die Raskolniken sich selbst zu helfen. Sie wendeten sich an einen grie¬<lb/> chischen Bischof in den Donaufürstenthümern und baten um Ordination zum<lb/> Metropoliten für einen ihrer Glaubensgenossen, den Sohn eines moskauer<lb/> Kaufmanns. Die Bitte wurde gewährt, und der neue Metropolit schlug seine<lb/> Residenz in dem galizischen Orte Bielokrinitza ans. Oestreich verlieh ihm hier<lb/> Schutz, und Bielokrinitza ist jetzt die Metropole der meisten hierarchischen Sek¬<lb/> ten Rußlands.</p><lb/> <p xml:id="ID_640"> Das neue Oberhaupt der Raskolniken theilte Rußland insgeheim in sechs<lb/> Bisthümer: das von Nowgorod für Nordrußland, das von Moskau für die<lb/> Mitte des Reichs, das von Kiew und Kleinrußland für den Süden, das von<lb/> Kasan und Astrachan für die Wolgagegenden und die von Kaukasien und<lb/> Sibirien. Jedem derselben steht jetzt ein Bischof vor. Diese Bischöfe ihrer¬<lb/> seits ordiniren Priester, und auf diese Weise existirt die Kirche der Altgläubigen,<lb/> allerdings nicht anerkannt von der Regierung, aber geduldet von der Beamten-<lb/> Welt, factisch unter dem sehr durchsichtigen — nur für den Kaiser undurch¬<lb/> sichtigen - Schleier des Geheimnisses schon mehre Jahre. Sie breitet ihr<lb/> Netz über das gesammte Reich aus, zählt, wie bemerkt, neun Millionen An¬<lb/> hänger und wächst noch fortwährend. Der oberste Würdenträger, in dessen<lb/> Händen alle Fäden der kirchlichen Verwaltung zusammenlaufen, residirt im Aus¬<lb/> lande — in einem Rußlands Interessen durchaus feindlichen Reiche. Durch<lb/> seine Glaubensgenossen, seine geistlichen Kinder, erfährt er zu jeder Zeit alles<lb/> auf das Genaueste, was in Rußland vorgeht, ja er wird über vieles besser<lb/> unterrichtet sein, als die russische Regierung bei dem System der officiellen<lb/> Lüge, welches die Bureaukratie repräsentirt, unterrichtet sein kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_641"> Unter dem Generalgouvemeur, welcher Moskau in den Jahren 1848 bis<lb/> 1859 verwaltete — „und plünderte", setzt Fürst Dolgorukow hinzu — wohnte<lb/> der Raskolniken-Bischof Sofronii in der alten Hauptstadt ganz behaglich unter<lb/> dem Halbschleier des Geheimnisses. Von Zeit zu Zeit veranstaltete die Polizei<lb/> uuter großem Lärmen Haussuchungen bei den reichen Mitgliedern der altgläu¬<lb/> bigen Gemeinden, aber Sofronii war davon im Voraus unterrichtet, und so<lb/> wurde natürlich nie etwas Compromittirendes gefunden.</p><lb/> <p xml:id="ID_642" next="#ID_643"> „Droht ern derartiger Stand der Dinge nicht der Zukunft Rußlands un¬<lb/> geheure Gefahren?" fragt Dolgorukow zum Schluß dieses Kapitels. „Wir<lb/> wissen wol, daß die russische Beamtenwelt den Altgläubigen keine Duldung<lb/> widerfahren lassen will. Sie begreift, daß. wenn dieselben die Erlaubniß hätten,<lb/> 'dran Cultus offen auszuüben, sie nicht mehr in dem Fall sein würden, den<lb/> Schutz der Bureaukratie mit Gold zu erkaufen, daß diese also einen Theil ihrer<lb/> Einkünfte verlieren würde. Aber ist es denn beschlossne Sache, daß man das<lb/> Beamtenthum Rußland ins Verderben führen lassen will? Sieht man denn<lb/> uicht, daß die Toleranz der Regierung und den Sekten in gleicher Weife, und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0227]
suchten die Raskolniken sich selbst zu helfen. Sie wendeten sich an einen grie¬
chischen Bischof in den Donaufürstenthümern und baten um Ordination zum
Metropoliten für einen ihrer Glaubensgenossen, den Sohn eines moskauer
Kaufmanns. Die Bitte wurde gewährt, und der neue Metropolit schlug seine
Residenz in dem galizischen Orte Bielokrinitza ans. Oestreich verlieh ihm hier
Schutz, und Bielokrinitza ist jetzt die Metropole der meisten hierarchischen Sek¬
ten Rußlands.
Das neue Oberhaupt der Raskolniken theilte Rußland insgeheim in sechs
Bisthümer: das von Nowgorod für Nordrußland, das von Moskau für die
Mitte des Reichs, das von Kiew und Kleinrußland für den Süden, das von
Kasan und Astrachan für die Wolgagegenden und die von Kaukasien und
Sibirien. Jedem derselben steht jetzt ein Bischof vor. Diese Bischöfe ihrer¬
seits ordiniren Priester, und auf diese Weise existirt die Kirche der Altgläubigen,
allerdings nicht anerkannt von der Regierung, aber geduldet von der Beamten-
Welt, factisch unter dem sehr durchsichtigen — nur für den Kaiser undurch¬
sichtigen - Schleier des Geheimnisses schon mehre Jahre. Sie breitet ihr
Netz über das gesammte Reich aus, zählt, wie bemerkt, neun Millionen An¬
hänger und wächst noch fortwährend. Der oberste Würdenträger, in dessen
Händen alle Fäden der kirchlichen Verwaltung zusammenlaufen, residirt im Aus¬
lande — in einem Rußlands Interessen durchaus feindlichen Reiche. Durch
seine Glaubensgenossen, seine geistlichen Kinder, erfährt er zu jeder Zeit alles
auf das Genaueste, was in Rußland vorgeht, ja er wird über vieles besser
unterrichtet sein, als die russische Regierung bei dem System der officiellen
Lüge, welches die Bureaukratie repräsentirt, unterrichtet sein kann.
Unter dem Generalgouvemeur, welcher Moskau in den Jahren 1848 bis
1859 verwaltete — „und plünderte", setzt Fürst Dolgorukow hinzu — wohnte
der Raskolniken-Bischof Sofronii in der alten Hauptstadt ganz behaglich unter
dem Halbschleier des Geheimnisses. Von Zeit zu Zeit veranstaltete die Polizei
uuter großem Lärmen Haussuchungen bei den reichen Mitgliedern der altgläu¬
bigen Gemeinden, aber Sofronii war davon im Voraus unterrichtet, und so
wurde natürlich nie etwas Compromittirendes gefunden.
„Droht ern derartiger Stand der Dinge nicht der Zukunft Rußlands un¬
geheure Gefahren?" fragt Dolgorukow zum Schluß dieses Kapitels. „Wir
wissen wol, daß die russische Beamtenwelt den Altgläubigen keine Duldung
widerfahren lassen will. Sie begreift, daß. wenn dieselben die Erlaubniß hätten,
'dran Cultus offen auszuüben, sie nicht mehr in dem Fall sein würden, den
Schutz der Bureaukratie mit Gold zu erkaufen, daß diese also einen Theil ihrer
Einkünfte verlieren würde. Aber ist es denn beschlossne Sache, daß man das
Beamtenthum Rußland ins Verderben führen lassen will? Sieht man denn
uicht, daß die Toleranz der Regierung und den Sekten in gleicher Weife, und
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