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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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und die westlichen Zeitungen voll Lobsprüche über ihre freisinnigen Absichten
sind, erzählen wir eine Geschichte, die sich im Jahre 1858 in der weißrusst-
schen Provinz Witebsk begab. Sie steht in der Nummer der Herzenschen
"Glocke" vom 15. Februar 1860.

In der genannten Provinz waren die Bauern des Dorfes Dziernowicz.
die einem Herrn Anton Korsak gehörten und früher unirte Griechen gewesen
waren, im achtzehnten Jahrhundert zum römisch-katholischen Glauben über¬
getreten. Im Jahr 1348 wurde ^>le Kirche ihres Dorfes von der Negierung
in eine Kirche des morgenländischen orthodoxen Glaubens umgewandelt.
Darauf entschlossen sie sich, die Kirche des benachbarten Dorfes Senidlow zu
besuchen, aber diese wurde sehr bald auf Befehl der Negierung geschlossen,
und der Pfarrer, der Dominicaner Pater Cecerski, aus dem Orte entfernt.
Die Regierung schickte nach Dziernowicz einen russischen Popen, welcher gegen
Entrichtung eines Tributs von Seiten der Bauern dem Erzbischof berichtete,
daß seine Kirchenkinder ihre religiösen Pflichten mit Pünktlichkeit erfüllten,
während sie doch nie einen Fuß in die Kirche setzten und die Gebräuche der
Taufe und Trauung heimlich von römisch-katholischen Priestern vollziehen
ließen, die zu diesem Zweck von Zeit zu Zeit unter dem Schleier des Ge¬
heimnisses die östlichen Provinzen bereisten.

1857 richteten die Bauern, die von der Güte des neuen Kaisers und
seiner großmüthigen Denkart gehört, eine Petition an Alexander den Zweiten,
in welcher sie um Erlaubniß baten, sich öffentlich zum römisch-katholischen
Glauben zu bekennen. Als diese Petition von der Bittschriftencommission
zurückgewiesen wurde, wendeten sie sich mit zwei andern von ähnlichem Inhalt
an den Kaiser und den Minister des Innern. Letzterer ertheilte darauf dem
Gouverneur von Witebsk Befehl, die Angelegenheit zu ordnen. Der Gouver¬
neur besprach sich mit dem Erzbischof und schickte darauf nach Dziernowicz
den Gcndarmerieobersten der Provinz und einen der Räthe der Provinzial-
regierung, welchen der Erzbischof mehrere orthodoxe Geistliche beigab. Diese
Gesandtschaft erschien in dem Dorfe und schritt in Begleitung der Ortspolizei
sofort zu einer Untersuchung, die von Faustschlägen, Stockprügeln und Ruthen-
Hieben begleitet war. Ein gewisser Wikenti, ärztlicher Gehilfe am Spital des
Dorfes, welcher sich als Verfasser der Petitionen bekannte, wurde so furchtbar
geprügelt, daß er mehre Tage nicht gehen konnte; auch schlug ihm ein polizei¬
licher Faustschlag einen Zahn aus. Seine Frau, die schwanger war. wurde
beim Verhör so übel behandelt, daß sie vor der Zeit niederkam. Dasselbe
geschah mit einer Bäuerin des Dorfes, die in Folge dessen den Tag darauf
starb. Wikenti und drei Andere wurden in das Gefängniß der Kreisstadt ab¬
geführt und dann zu mehrjähriger Zwangsarbeit in einer Festung ver¬
urtheilt.


und die westlichen Zeitungen voll Lobsprüche über ihre freisinnigen Absichten
sind, erzählen wir eine Geschichte, die sich im Jahre 1858 in der weißrusst-
schen Provinz Witebsk begab. Sie steht in der Nummer der Herzenschen
„Glocke" vom 15. Februar 1860.

In der genannten Provinz waren die Bauern des Dorfes Dziernowicz.
die einem Herrn Anton Korsak gehörten und früher unirte Griechen gewesen
waren, im achtzehnten Jahrhundert zum römisch-katholischen Glauben über¬
getreten. Im Jahr 1348 wurde ^>le Kirche ihres Dorfes von der Negierung
in eine Kirche des morgenländischen orthodoxen Glaubens umgewandelt.
Darauf entschlossen sie sich, die Kirche des benachbarten Dorfes Senidlow zu
besuchen, aber diese wurde sehr bald auf Befehl der Negierung geschlossen,
und der Pfarrer, der Dominicaner Pater Cecerski, aus dem Orte entfernt.
Die Regierung schickte nach Dziernowicz einen russischen Popen, welcher gegen
Entrichtung eines Tributs von Seiten der Bauern dem Erzbischof berichtete,
daß seine Kirchenkinder ihre religiösen Pflichten mit Pünktlichkeit erfüllten,
während sie doch nie einen Fuß in die Kirche setzten und die Gebräuche der
Taufe und Trauung heimlich von römisch-katholischen Priestern vollziehen
ließen, die zu diesem Zweck von Zeit zu Zeit unter dem Schleier des Ge¬
heimnisses die östlichen Provinzen bereisten.

1857 richteten die Bauern, die von der Güte des neuen Kaisers und
seiner großmüthigen Denkart gehört, eine Petition an Alexander den Zweiten,
in welcher sie um Erlaubniß baten, sich öffentlich zum römisch-katholischen
Glauben zu bekennen. Als diese Petition von der Bittschriftencommission
zurückgewiesen wurde, wendeten sie sich mit zwei andern von ähnlichem Inhalt
an den Kaiser und den Minister des Innern. Letzterer ertheilte darauf dem
Gouverneur von Witebsk Befehl, die Angelegenheit zu ordnen. Der Gouver¬
neur besprach sich mit dem Erzbischof und schickte darauf nach Dziernowicz
den Gcndarmerieobersten der Provinz und einen der Räthe der Provinzial-
regierung, welchen der Erzbischof mehrere orthodoxe Geistliche beigab. Diese
Gesandtschaft erschien in dem Dorfe und schritt in Begleitung der Ortspolizei
sofort zu einer Untersuchung, die von Faustschlägen, Stockprügeln und Ruthen-
Hieben begleitet war. Ein gewisser Wikenti, ärztlicher Gehilfe am Spital des
Dorfes, welcher sich als Verfasser der Petitionen bekannte, wurde so furchtbar
geprügelt, daß er mehre Tage nicht gehen konnte; auch schlug ihm ein polizei¬
licher Faustschlag einen Zahn aus. Seine Frau, die schwanger war. wurde
beim Verhör so übel behandelt, daß sie vor der Zeit niederkam. Dasselbe
geschah mit einer Bäuerin des Dorfes, die in Folge dessen den Tag darauf
starb. Wikenti und drei Andere wurden in das Gefängniß der Kreisstadt ab¬
geführt und dann zu mehrjähriger Zwangsarbeit in einer Festung ver¬
urtheilt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/214>, abgerufen am 24.07.2024.