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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Sache liegt so klar, daß wir kaum an die Notabeln von 1787 zu erinnern
brauchen, und ohne Furcht einer übereilten Prophezeihung glauben wir die
Behauptung aufstellen zu können, daß mit jenem Handschreiben der erste Schritt
geschehn ist, der entweder zur wirklichen Constituirung Oestreichs, oder zu seiner
völligen Desorganisation führt.

Wenn Oestreich bei seinen alten Ansprüchen verharrt, wenn es seine ver¬
schiedenen Nationalitäten absolutistisch centralisiren, wenn es die Hegemonie in
Deutschland und Italien wieder erobern will, so ist das ein Unternehmen,
das nur bei unerhörtem, Glück und bei unerhörter Entschlossenheit gelingen
kann. Jedes Symptom der Unentschlossenheit, jedes Zeichen der Schwäche ist
auf diesem Wege verderblich. Die Völker Oestreichs, Deutschlands und Ita¬
liens sehen in solchen Concessionen keine Gesinnungsänderung, sie sehen nur
die Wirkung der blinden Furcht. Und wol ist Grund dazu vorhanden; denn
schon wälzt sich Italien gegen Venedig, schon wälzt sich Rußland gegen die
Türkei, und nicht blos Frankreich, sondern nach aller Berechnung auch Eng¬
land ist bereit, die Sache der Nationalitäten gegen Oestreich zu unterstützen.

Sollte nun noch gar von Deutschland Gefahr drohen, so wäre der Boden
des Staats völlig unterwühlt. Es ist daher ein wohl überlegter Entschluß des
Kaisers, daß er in einer Weise, die ganz außer den stolzen Traditionen des
alten Kaiserreichs liegt, sich mit Preußen zu verständigen sucht. Wäre dieser
Entschluß zwei Jahre oder auch nur ein Jahr früher gefaßt, so hätte Oestreich
viel Nachtheil vermeiden können. Aber auch unter den gegenwärtigen Umständen
ist der Entschluß wohl überlegt. Preußen ist in einer Stimmung, die man
als chevalercsk bezeichnen könnte. Die unruhige Politik Frankreichs in der
letzten Zeit hat die alten Ideen vom "Erbfeind" wieder aufgerufen, und
die Art und Weise, wie man in Italien eine Dynastie nach der andern in
Frage stellt, widerspricht zu hart allen Ueberlieferungen des monarchischen Prin¬
cips. Preußen ist in einer Stimmung, in der sich das Stichwort der Legiti¬
mität wieder hören lassen kann: in einer Stimmung, in diesem Sinn alles zu
bewilligen, was nicht geradezu gegen seine Lebensaufgabe verstößt.

Darum sehen wir der bevorstehenden Zusammenkunft in Teplitz nicht ohne
Besorgnis) entgegen; wir glauben, daß der freilich etwas frühzeitige Jubel,
der sich im Lager der Kreuzzeitung erhebt, nicht aller Begründung entbehrt.
Daß die Zusammenkunft in Teplitz einen ernsteren Charakter haben soll als
die in Baden, zeigt sich schon daraus, daß diesmal die Herrscher von ihren
Ministern begleitet sind. Die Zusammenkunft in Baden war nur eine Demon¬
stration, in der man sich gegenseitig, so weit es schicklich war. über seine
Gesinnungen aussprach; hier wurde also nur ausgesprochen, was bereits fest
stand. In der Zusammenkunft zu Teplitz dagegen soll etwas Neues festgestellt


Sache liegt so klar, daß wir kaum an die Notabeln von 1787 zu erinnern
brauchen, und ohne Furcht einer übereilten Prophezeihung glauben wir die
Behauptung aufstellen zu können, daß mit jenem Handschreiben der erste Schritt
geschehn ist, der entweder zur wirklichen Constituirung Oestreichs, oder zu seiner
völligen Desorganisation führt.

Wenn Oestreich bei seinen alten Ansprüchen verharrt, wenn es seine ver¬
schiedenen Nationalitäten absolutistisch centralisiren, wenn es die Hegemonie in
Deutschland und Italien wieder erobern will, so ist das ein Unternehmen,
das nur bei unerhörtem, Glück und bei unerhörter Entschlossenheit gelingen
kann. Jedes Symptom der Unentschlossenheit, jedes Zeichen der Schwäche ist
auf diesem Wege verderblich. Die Völker Oestreichs, Deutschlands und Ita¬
liens sehen in solchen Concessionen keine Gesinnungsänderung, sie sehen nur
die Wirkung der blinden Furcht. Und wol ist Grund dazu vorhanden; denn
schon wälzt sich Italien gegen Venedig, schon wälzt sich Rußland gegen die
Türkei, und nicht blos Frankreich, sondern nach aller Berechnung auch Eng¬
land ist bereit, die Sache der Nationalitäten gegen Oestreich zu unterstützen.

Sollte nun noch gar von Deutschland Gefahr drohen, so wäre der Boden
des Staats völlig unterwühlt. Es ist daher ein wohl überlegter Entschluß des
Kaisers, daß er in einer Weise, die ganz außer den stolzen Traditionen des
alten Kaiserreichs liegt, sich mit Preußen zu verständigen sucht. Wäre dieser
Entschluß zwei Jahre oder auch nur ein Jahr früher gefaßt, so hätte Oestreich
viel Nachtheil vermeiden können. Aber auch unter den gegenwärtigen Umständen
ist der Entschluß wohl überlegt. Preußen ist in einer Stimmung, die man
als chevalercsk bezeichnen könnte. Die unruhige Politik Frankreichs in der
letzten Zeit hat die alten Ideen vom „Erbfeind" wieder aufgerufen, und
die Art und Weise, wie man in Italien eine Dynastie nach der andern in
Frage stellt, widerspricht zu hart allen Ueberlieferungen des monarchischen Prin¬
cips. Preußen ist in einer Stimmung, in der sich das Stichwort der Legiti¬
mität wieder hören lassen kann: in einer Stimmung, in diesem Sinn alles zu
bewilligen, was nicht geradezu gegen seine Lebensaufgabe verstößt.

Darum sehen wir der bevorstehenden Zusammenkunft in Teplitz nicht ohne
Besorgnis) entgegen; wir glauben, daß der freilich etwas frühzeitige Jubel,
der sich im Lager der Kreuzzeitung erhebt, nicht aller Begründung entbehrt.
Daß die Zusammenkunft in Teplitz einen ernsteren Charakter haben soll als
die in Baden, zeigt sich schon daraus, daß diesmal die Herrscher von ihren
Ministern begleitet sind. Die Zusammenkunft in Baden war nur eine Demon¬
stration, in der man sich gegenseitig, so weit es schicklich war. über seine
Gesinnungen aussprach; hier wurde also nur ausgesprochen, was bereits fest
stand. In der Zusammenkunft zu Teplitz dagegen soll etwas Neues festgestellt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/208>, abgerufen am 04.07.2024.