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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Ganz besonders unerträglich wurde die Stellung der Schriftsteller Rußlands
dadurch, daß es zu gleicher Zeit ein Dutzend verschiedener Censurstellen gab,
welche alle zu berücksichtigen waren. Es war da eine allgemeine Censur, die dem
Unterrichtsministerium zugetheilt war. Aber außerdem war jedes Buch, wel¬
ches die Verwaltung betraf, dem Minister des Innern, jedes, welches die
Gesetze erörterte, dem Justizminister, jedes, welches militärische Dinge erwähnte,
dem Kriegsminister, jedes, welches die auswärtige Politik besprach, dem Chef
des auswärtigen Departements vorzulegen. Ein Buch, welches von Polen
handelte, mußte vor dem Druck von dem Statthalter in Polen gesehn werden,
ein Buch über Eisenbahnen vom Minister der Brücken und Kunststraßen, eines
über die kaiserliche Familie vom Hausminister. Hatte endlich eine Schrift die
Approbation aller dieser Censurstellen glücklich erlangt, so war es immer noch
keines langen Lebens sicher; denn außer diesen Wachtposten gab es noch seit
1848 eine Anstalt, die als echtes Jnqmsitionsgcricht jedes Buch und Blatt
verfolgte, in welchem ein dem Auge der Censoren entschlüpfter, dein Geiste,
den Nikolaus seiner Umgebung eingehaucht, anstößiger Passus zu finden war.
1852 starb der bekannte Schriftsteller Gogol. Die Petersburger Censur ge¬
stattete, da dem Despotismus nichts so sehr zuwider ist, als Popularität,
keinem der dortigen Journale die Ausnahme eines Nelrologs. Iwan Tur-
gienew wagte es, hier abgewiesen, einen Artikel über den Verstorbenen in
das moskauer Journal zu schicken, und dieses druckte denselben ab. Daravf
ließ der Kaiser diesen ausgezeichneten, allgemein geachteten Schriftsteller
gefangen setzen und verbannte ihn dann nach einmonatlicher Einsper-
rung auf seine Güter. 1853 starb Schihmatow. Sein Nachfolger war
ein hochgebildeter, ehrenwerther Mann von den besten wohlwollendsten Absich¬
ten, leider aber fortwährend zerstreut und ohne die nöthige Energie. Die
Presse befand sich unter ihm beträchtlich besser, als früher, namentlich nach
der Thronbesteigung des neuen Kaisers. Es entstanden mehre neue Tages¬
und Wochenblätter, was seit einem Jahrzehnt nicht erlebt worden war. Man
durfte über die Verwaltung klagen, sich Vorschläge zu Verbesserungen er¬
lauben. Aber die Camarilla und die Bureaukratie kämpfte" gegen dieses Locker¬
lassen der Zügel fortwährend auf alle Weise an, und verdrießlich über die
daraus für ihn entstehende Unbequemlichkeit zog sich der Unterrichtsminister
von seinem Posten zurück. Sein Nachfolger war ihm an Charakter ähnlich.
Ebenfalls ein Mann von hoher Bildung, aufgeklärt, gemüßigt liberal, wohl¬
wollend, war er ebenfalls ohne die nöthige Energie. Er hatte sich zum Ad-
juncten (Untcrstaatssecretär) den damaligen Curator der Petersburger Universität,
einen ebenso aufgeklärten, als loyalen Beamten wählen wollen. Aber derselbe
stand der Camarilla nicht an. und der Minister hatte die Schwachheit, ihn
aufzugeben und sich statt seiner einen alten Herrn aufdringen zu lassen, der


Grenzboten III. 1800. 19

Ganz besonders unerträglich wurde die Stellung der Schriftsteller Rußlands
dadurch, daß es zu gleicher Zeit ein Dutzend verschiedener Censurstellen gab,
welche alle zu berücksichtigen waren. Es war da eine allgemeine Censur, die dem
Unterrichtsministerium zugetheilt war. Aber außerdem war jedes Buch, wel¬
ches die Verwaltung betraf, dem Minister des Innern, jedes, welches die
Gesetze erörterte, dem Justizminister, jedes, welches militärische Dinge erwähnte,
dem Kriegsminister, jedes, welches die auswärtige Politik besprach, dem Chef
des auswärtigen Departements vorzulegen. Ein Buch, welches von Polen
handelte, mußte vor dem Druck von dem Statthalter in Polen gesehn werden,
ein Buch über Eisenbahnen vom Minister der Brücken und Kunststraßen, eines
über die kaiserliche Familie vom Hausminister. Hatte endlich eine Schrift die
Approbation aller dieser Censurstellen glücklich erlangt, so war es immer noch
keines langen Lebens sicher; denn außer diesen Wachtposten gab es noch seit
1848 eine Anstalt, die als echtes Jnqmsitionsgcricht jedes Buch und Blatt
verfolgte, in welchem ein dem Auge der Censoren entschlüpfter, dein Geiste,
den Nikolaus seiner Umgebung eingehaucht, anstößiger Passus zu finden war.
1852 starb der bekannte Schriftsteller Gogol. Die Petersburger Censur ge¬
stattete, da dem Despotismus nichts so sehr zuwider ist, als Popularität,
keinem der dortigen Journale die Ausnahme eines Nelrologs. Iwan Tur-
gienew wagte es, hier abgewiesen, einen Artikel über den Verstorbenen in
das moskauer Journal zu schicken, und dieses druckte denselben ab. Daravf
ließ der Kaiser diesen ausgezeichneten, allgemein geachteten Schriftsteller
gefangen setzen und verbannte ihn dann nach einmonatlicher Einsper-
rung auf seine Güter. 1853 starb Schihmatow. Sein Nachfolger war
ein hochgebildeter, ehrenwerther Mann von den besten wohlwollendsten Absich¬
ten, leider aber fortwährend zerstreut und ohne die nöthige Energie. Die
Presse befand sich unter ihm beträchtlich besser, als früher, namentlich nach
der Thronbesteigung des neuen Kaisers. Es entstanden mehre neue Tages¬
und Wochenblätter, was seit einem Jahrzehnt nicht erlebt worden war. Man
durfte über die Verwaltung klagen, sich Vorschläge zu Verbesserungen er¬
lauben. Aber die Camarilla und die Bureaukratie kämpfte» gegen dieses Locker¬
lassen der Zügel fortwährend auf alle Weise an, und verdrießlich über die
daraus für ihn entstehende Unbequemlichkeit zog sich der Unterrichtsminister
von seinem Posten zurück. Sein Nachfolger war ihm an Charakter ähnlich.
Ebenfalls ein Mann von hoher Bildung, aufgeklärt, gemüßigt liberal, wohl¬
wollend, war er ebenfalls ohne die nöthige Energie. Er hatte sich zum Ad-
juncten (Untcrstaatssecretär) den damaligen Curator der Petersburger Universität,
einen ebenso aufgeklärten, als loyalen Beamten wählen wollen. Aber derselbe
stand der Camarilla nicht an. und der Minister hatte die Schwachheit, ihn
aufzugeben und sich statt seiner einen alten Herrn aufdringen zu lassen, der


Grenzboten III. 1800. 19
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[0157] Ganz besonders unerträglich wurde die Stellung der Schriftsteller Rußlands dadurch, daß es zu gleicher Zeit ein Dutzend verschiedener Censurstellen gab, welche alle zu berücksichtigen waren. Es war da eine allgemeine Censur, die dem Unterrichtsministerium zugetheilt war. Aber außerdem war jedes Buch, wel¬ ches die Verwaltung betraf, dem Minister des Innern, jedes, welches die Gesetze erörterte, dem Justizminister, jedes, welches militärische Dinge erwähnte, dem Kriegsminister, jedes, welches die auswärtige Politik besprach, dem Chef des auswärtigen Departements vorzulegen. Ein Buch, welches von Polen handelte, mußte vor dem Druck von dem Statthalter in Polen gesehn werden, ein Buch über Eisenbahnen vom Minister der Brücken und Kunststraßen, eines über die kaiserliche Familie vom Hausminister. Hatte endlich eine Schrift die Approbation aller dieser Censurstellen glücklich erlangt, so war es immer noch keines langen Lebens sicher; denn außer diesen Wachtposten gab es noch seit 1848 eine Anstalt, die als echtes Jnqmsitionsgcricht jedes Buch und Blatt verfolgte, in welchem ein dem Auge der Censoren entschlüpfter, dein Geiste, den Nikolaus seiner Umgebung eingehaucht, anstößiger Passus zu finden war. 1852 starb der bekannte Schriftsteller Gogol. Die Petersburger Censur ge¬ stattete, da dem Despotismus nichts so sehr zuwider ist, als Popularität, keinem der dortigen Journale die Ausnahme eines Nelrologs. Iwan Tur- gienew wagte es, hier abgewiesen, einen Artikel über den Verstorbenen in das moskauer Journal zu schicken, und dieses druckte denselben ab. Daravf ließ der Kaiser diesen ausgezeichneten, allgemein geachteten Schriftsteller gefangen setzen und verbannte ihn dann nach einmonatlicher Einsper- rung auf seine Güter. 1853 starb Schihmatow. Sein Nachfolger war ein hochgebildeter, ehrenwerther Mann von den besten wohlwollendsten Absich¬ ten, leider aber fortwährend zerstreut und ohne die nöthige Energie. Die Presse befand sich unter ihm beträchtlich besser, als früher, namentlich nach der Thronbesteigung des neuen Kaisers. Es entstanden mehre neue Tages¬ und Wochenblätter, was seit einem Jahrzehnt nicht erlebt worden war. Man durfte über die Verwaltung klagen, sich Vorschläge zu Verbesserungen er¬ lauben. Aber die Camarilla und die Bureaukratie kämpfte» gegen dieses Locker¬ lassen der Zügel fortwährend auf alle Weise an, und verdrießlich über die daraus für ihn entstehende Unbequemlichkeit zog sich der Unterrichtsminister von seinem Posten zurück. Sein Nachfolger war ihm an Charakter ähnlich. Ebenfalls ein Mann von hoher Bildung, aufgeklärt, gemüßigt liberal, wohl¬ wollend, war er ebenfalls ohne die nöthige Energie. Er hatte sich zum Ad- juncten (Untcrstaatssecretär) den damaligen Curator der Petersburger Universität, einen ebenso aufgeklärten, als loyalen Beamten wählen wollen. Aber derselbe stand der Camarilla nicht an. und der Minister hatte die Schwachheit, ihn aufzugeben und sich statt seiner einen alten Herrn aufdringen zu lassen, der Grenzboten III. 1800. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/157>, abgerufen am 29.09.2024.