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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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wissen will. Man wird zugeben, daß Credit die Voraussetzung des Schulden-
machens. nicht die Schuld selbst ist. Die innere Verwaltung soll die Elemente
des Staatscredits schaffen, damit die Finanzverwaltung Schulden machen kann.
Die Staatsschuld will der Verfasser mit Recht als ein Ganzes angesehen und
wirthschaftlich verwaltet wissen. Das Deficit ist ihm ein Zeichen, daß die
Steuern nicht ausreichen; die Ausgaben gehen ja die Finanzverwaltungen nichts
an; es ist daher auch nicht ihre Sache, über das Deficit zu entscheiden, son¬
dern es zu decken und zwar durch Benutzung des Staatscredits. Es handelt
sich auch nicht mehr um Veränderung oder Abtragung der Schulden, sondern
nur um die Möglichkeit der regelmäßigen Verzinsung. Erst an der Grenze
der Steuererhöhungen findet sich die Grenze des Staatscredits. -- Bei dem
weitaus größten Theile der Staatsschulden ist das Kapital als solches für den
Gläubiger verschwunden, an dessen Stelle ist das Recht auf den Zins getreten.
Dies ist das Wesen der Staatsobligation unserer Zeit (S. 479).
Und dann nochmals: das dargeliehene Kapital findet seine Sicherheit nicht in
der Möglichkeit seiner unmittelbaren Rückzahlung, sondern darin, daß es seine
Zinsen richtig und regelmäßig einbringt. "Ein solches Kapital nennen wir
ein Anlagekapital" (ibicy. -- Naive Wissenschaft! Ein Anlagekapital ist
ein solches, welches der Gläubiger nie wieder sieht. Anderwärts hat man
Kapitalmärkte, wo der Inhaber seine Staatsschuldscheine verkaufen und so
Wieder in den Besitz seines Geldes gelangen kann; die 4 bis 4V- procentigen
Staatspapiere stehen in den meisten deutschen Staaten ungefähr Pari. Aber
den Staatsglüubiger Oestreichs an die Börse verweisen, wäre grausam.
Solch ein Unmensch ist die "Wissenschaft" nicht! Was wir in dem Abschnitte
über das Wesen der heutigen Staatsschulden gelesen und eben angedeutet
haben, das alles finden wir noch einmal bei der dritten Gruppe, der festen
oder eigentlichen-Staatsschuld. Sie wird nie oder doch sehr lange nicht zurück¬
gezahlt; die Rückzahlung ist daher für sie ein "untergeordnetes Moment"; das
Kapital verschwindet und verwandelt sich in einen Anspruch auf Zins; wie
die Aufgaben des Staates, so müssen auch seine Schulden sein -- ewig und
absolut. Doch erfahren wir hier noch, daß die dargeliehenen Summen nicht
für den Gläubiger, sondern für den Staat ein Anlagekapital bilden, weil sie
in Ausgaben angelegt werden, die bekanntlich productiv sein müssen. Aus
der Fiction, daß mit diesen Passiver ein mindestens gleich großes Activum
geschaffen worden, folgt dann die weitere Fiction, daß der Staat nicht ärmer
wird, wenn er Schulden macht, aber reicher, wenn er sie vermindert, was im
Hinblick auf künftige Benutzung des Credits hie und da nicht unwissenschaftlich
sein dürfte. Die Arten der festen Anleihe" beginnen mit den Zwangsan¬
leihen, welche der Verfasser billigerweise nur in Fällen der äußersten Noth zuläßt,
weil sie eine "unorganische Art von> Anleihen" find, wobei die Geldsuchenden


Grnijboten III, 1L60. 15

wissen will. Man wird zugeben, daß Credit die Voraussetzung des Schulden-
machens. nicht die Schuld selbst ist. Die innere Verwaltung soll die Elemente
des Staatscredits schaffen, damit die Finanzverwaltung Schulden machen kann.
Die Staatsschuld will der Verfasser mit Recht als ein Ganzes angesehen und
wirthschaftlich verwaltet wissen. Das Deficit ist ihm ein Zeichen, daß die
Steuern nicht ausreichen; die Ausgaben gehen ja die Finanzverwaltungen nichts
an; es ist daher auch nicht ihre Sache, über das Deficit zu entscheiden, son¬
dern es zu decken und zwar durch Benutzung des Staatscredits. Es handelt
sich auch nicht mehr um Veränderung oder Abtragung der Schulden, sondern
nur um die Möglichkeit der regelmäßigen Verzinsung. Erst an der Grenze
der Steuererhöhungen findet sich die Grenze des Staatscredits. — Bei dem
weitaus größten Theile der Staatsschulden ist das Kapital als solches für den
Gläubiger verschwunden, an dessen Stelle ist das Recht auf den Zins getreten.
Dies ist das Wesen der Staatsobligation unserer Zeit (S. 479).
Und dann nochmals: das dargeliehene Kapital findet seine Sicherheit nicht in
der Möglichkeit seiner unmittelbaren Rückzahlung, sondern darin, daß es seine
Zinsen richtig und regelmäßig einbringt. „Ein solches Kapital nennen wir
ein Anlagekapital" (ibicy. — Naive Wissenschaft! Ein Anlagekapital ist
ein solches, welches der Gläubiger nie wieder sieht. Anderwärts hat man
Kapitalmärkte, wo der Inhaber seine Staatsschuldscheine verkaufen und so
Wieder in den Besitz seines Geldes gelangen kann; die 4 bis 4V- procentigen
Staatspapiere stehen in den meisten deutschen Staaten ungefähr Pari. Aber
den Staatsglüubiger Oestreichs an die Börse verweisen, wäre grausam.
Solch ein Unmensch ist die „Wissenschaft" nicht! Was wir in dem Abschnitte
über das Wesen der heutigen Staatsschulden gelesen und eben angedeutet
haben, das alles finden wir noch einmal bei der dritten Gruppe, der festen
oder eigentlichen-Staatsschuld. Sie wird nie oder doch sehr lange nicht zurück¬
gezahlt; die Rückzahlung ist daher für sie ein „untergeordnetes Moment"; das
Kapital verschwindet und verwandelt sich in einen Anspruch auf Zins; wie
die Aufgaben des Staates, so müssen auch seine Schulden sein — ewig und
absolut. Doch erfahren wir hier noch, daß die dargeliehenen Summen nicht
für den Gläubiger, sondern für den Staat ein Anlagekapital bilden, weil sie
in Ausgaben angelegt werden, die bekanntlich productiv sein müssen. Aus
der Fiction, daß mit diesen Passiver ein mindestens gleich großes Activum
geschaffen worden, folgt dann die weitere Fiction, daß der Staat nicht ärmer
wird, wenn er Schulden macht, aber reicher, wenn er sie vermindert, was im
Hinblick auf künftige Benutzung des Credits hie und da nicht unwissenschaftlich
sein dürfte. Die Arten der festen Anleihe» beginnen mit den Zwangsan¬
leihen, welche der Verfasser billigerweise nur in Fällen der äußersten Noth zuläßt,
weil sie eine „unorganische Art von> Anleihen" find, wobei die Geldsuchenden


Grnijboten III, 1L60. 15
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/125>, abgerufen am 04.07.2024.