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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Bei der Tafel hatte ich den Play zur Linken des Marschalls, dem eine
Gräfin Lamberg. die Gattin eines Flügcladjutanten, zur Rechten saß. Gegen¬
über, der Gräfin Radetzki zur Rechten, saß der Feldzeugmeister Giulai. damals
Commcmdirender in der Lombardei, zur Linken ein Original, ein sehr reicher
"Privatier" aus Wien, im schlichtesten bürgerlichen Anzüge: Herr Parkfrieder
sollte vom Patriotismus kalt machen und mit der Freundschaft des Feldmar¬
schalls Luxus treiben, er war so etwas wie Armeelieferant und hat später den
Marschall auf seinem Gut begraben. Eine andere noch jugendliche Dame
war eine Enkelin des Marschalls, eine Gräfin Horvath. Die Gräfin Radetzki
ist verhältnißmüßig noch jung, d. h. zwischen so und 60; sie ist eine Schwester
des Civilgouverneurs Grafen Strasoldo und hat feine kalt-italienische Züge.
Nächstdem speisten noch an dreißig Offiziere mit. Unter diesen fiel mir ein
Hauptmann auf, der kaum in die Zwanziger getreten war. Ich frug meinen
Nachbar zur Linken, den stellvertretenden Chef des Generalstabs, nach dem
Verdienst des jungen Mannes. "Nun der, der ist ein Kiebitz; wir nennen
diejenigen so, die immer von einem Regimente zum andern flattern; er ist
der Neffe und auch der Schwager vom Heß, und das hat ihm halt gar keinen
Schaden gethan."

Die Tafel war ungemein einfach besetzt, aber Alles vortrefflich. Kein
Dcscrt, nur einerlei Wein, aber ein sehr guter Medoc, eine wahre Wohl¬
that nach all den Weinen, womit in Italien und der Schweiz der Gaumen
mißhandelt wird. Dieses Einfache gefiel mir ungemein; es stand so durchaus
im Einklang mit dem Familienartigen, welches in der eng-ison militg-ire des
Marschalls waltete. Er hatte in Italien vier kaiserliche Schlösser zur Dis¬
position, zu Mailand, Monza, Verona und Venedig. In Verona war das
Hauptquartier, Monza der gewöhnliche Sommeraufenthalt. Dahin gingen
aber nicht allein sämmtliche Offiziere und die zahllosen Beamten des General¬
kommandos, sondern auch deren Frauen und Kinder, welche gleichfalls auf
dem Schlosse wohnten. Wie Mittags 4 Uhr, so war auch zum Frühstück für
Alle gedeckt; wer aber vorzog, auf seiner Stube zu bleiben, der wurde dort
servirt. Sah man nun den ehrwürdigen Marschall in diesem großen Kreise
so liebevoll walten, so blieb nur die Bezeichnung Militärpatriarch.

An der Tafel war es Anfangs sehr still, der Marschall offenbar ver¬
stimmt. Vom Park aus hatte ich gesehen, wie er im lebhaftesten Gespräch
auf einem Altane mit Gras Giulai stand. Der letztere war in jeder Weise
sein Gegensatz und trat dem milden Verfahren entgegen, womit Radetzki
die Italiener wieder zu gewinnen suchte; die Offiziere, bei denen Graf Giu¬
lai höchst unbeliebt war, gaben ihm Schuld, daß er den Marschall aus des¬
sen Stellung zu eigenen Gunsten zu verdrängen strebe.

Absichtlich begann ich mit meinem Nachbar zur linken von der Besesti-


Bei der Tafel hatte ich den Play zur Linken des Marschalls, dem eine
Gräfin Lamberg. die Gattin eines Flügcladjutanten, zur Rechten saß. Gegen¬
über, der Gräfin Radetzki zur Rechten, saß der Feldzeugmeister Giulai. damals
Commcmdirender in der Lombardei, zur Linken ein Original, ein sehr reicher
„Privatier" aus Wien, im schlichtesten bürgerlichen Anzüge: Herr Parkfrieder
sollte vom Patriotismus kalt machen und mit der Freundschaft des Feldmar¬
schalls Luxus treiben, er war so etwas wie Armeelieferant und hat später den
Marschall auf seinem Gut begraben. Eine andere noch jugendliche Dame
war eine Enkelin des Marschalls, eine Gräfin Horvath. Die Gräfin Radetzki
ist verhältnißmüßig noch jung, d. h. zwischen so und 60; sie ist eine Schwester
des Civilgouverneurs Grafen Strasoldo und hat feine kalt-italienische Züge.
Nächstdem speisten noch an dreißig Offiziere mit. Unter diesen fiel mir ein
Hauptmann auf, der kaum in die Zwanziger getreten war. Ich frug meinen
Nachbar zur Linken, den stellvertretenden Chef des Generalstabs, nach dem
Verdienst des jungen Mannes. „Nun der, der ist ein Kiebitz; wir nennen
diejenigen so, die immer von einem Regimente zum andern flattern; er ist
der Neffe und auch der Schwager vom Heß, und das hat ihm halt gar keinen
Schaden gethan."

Die Tafel war ungemein einfach besetzt, aber Alles vortrefflich. Kein
Dcscrt, nur einerlei Wein, aber ein sehr guter Medoc, eine wahre Wohl¬
that nach all den Weinen, womit in Italien und der Schweiz der Gaumen
mißhandelt wird. Dieses Einfache gefiel mir ungemein; es stand so durchaus
im Einklang mit dem Familienartigen, welches in der eng-ison militg-ire des
Marschalls waltete. Er hatte in Italien vier kaiserliche Schlösser zur Dis¬
position, zu Mailand, Monza, Verona und Venedig. In Verona war das
Hauptquartier, Monza der gewöhnliche Sommeraufenthalt. Dahin gingen
aber nicht allein sämmtliche Offiziere und die zahllosen Beamten des General¬
kommandos, sondern auch deren Frauen und Kinder, welche gleichfalls auf
dem Schlosse wohnten. Wie Mittags 4 Uhr, so war auch zum Frühstück für
Alle gedeckt; wer aber vorzog, auf seiner Stube zu bleiben, der wurde dort
servirt. Sah man nun den ehrwürdigen Marschall in diesem großen Kreise
so liebevoll walten, so blieb nur die Bezeichnung Militärpatriarch.

An der Tafel war es Anfangs sehr still, der Marschall offenbar ver¬
stimmt. Vom Park aus hatte ich gesehen, wie er im lebhaftesten Gespräch
auf einem Altane mit Gras Giulai stand. Der letztere war in jeder Weise
sein Gegensatz und trat dem milden Verfahren entgegen, womit Radetzki
die Italiener wieder zu gewinnen suchte; die Offiziere, bei denen Graf Giu¬
lai höchst unbeliebt war, gaben ihm Schuld, daß er den Marschall aus des¬
sen Stellung zu eigenen Gunsten zu verdrängen strebe.

Absichtlich begann ich mit meinem Nachbar zur linken von der Besesti-


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[0066] Bei der Tafel hatte ich den Play zur Linken des Marschalls, dem eine Gräfin Lamberg. die Gattin eines Flügcladjutanten, zur Rechten saß. Gegen¬ über, der Gräfin Radetzki zur Rechten, saß der Feldzeugmeister Giulai. damals Commcmdirender in der Lombardei, zur Linken ein Original, ein sehr reicher „Privatier" aus Wien, im schlichtesten bürgerlichen Anzüge: Herr Parkfrieder sollte vom Patriotismus kalt machen und mit der Freundschaft des Feldmar¬ schalls Luxus treiben, er war so etwas wie Armeelieferant und hat später den Marschall auf seinem Gut begraben. Eine andere noch jugendliche Dame war eine Enkelin des Marschalls, eine Gräfin Horvath. Die Gräfin Radetzki ist verhältnißmüßig noch jung, d. h. zwischen so und 60; sie ist eine Schwester des Civilgouverneurs Grafen Strasoldo und hat feine kalt-italienische Züge. Nächstdem speisten noch an dreißig Offiziere mit. Unter diesen fiel mir ein Hauptmann auf, der kaum in die Zwanziger getreten war. Ich frug meinen Nachbar zur Linken, den stellvertretenden Chef des Generalstabs, nach dem Verdienst des jungen Mannes. „Nun der, der ist ein Kiebitz; wir nennen diejenigen so, die immer von einem Regimente zum andern flattern; er ist der Neffe und auch der Schwager vom Heß, und das hat ihm halt gar keinen Schaden gethan." Die Tafel war ungemein einfach besetzt, aber Alles vortrefflich. Kein Dcscrt, nur einerlei Wein, aber ein sehr guter Medoc, eine wahre Wohl¬ that nach all den Weinen, womit in Italien und der Schweiz der Gaumen mißhandelt wird. Dieses Einfache gefiel mir ungemein; es stand so durchaus im Einklang mit dem Familienartigen, welches in der eng-ison militg-ire des Marschalls waltete. Er hatte in Italien vier kaiserliche Schlösser zur Dis¬ position, zu Mailand, Monza, Verona und Venedig. In Verona war das Hauptquartier, Monza der gewöhnliche Sommeraufenthalt. Dahin gingen aber nicht allein sämmtliche Offiziere und die zahllosen Beamten des General¬ kommandos, sondern auch deren Frauen und Kinder, welche gleichfalls auf dem Schlosse wohnten. Wie Mittags 4 Uhr, so war auch zum Frühstück für Alle gedeckt; wer aber vorzog, auf seiner Stube zu bleiben, der wurde dort servirt. Sah man nun den ehrwürdigen Marschall in diesem großen Kreise so liebevoll walten, so blieb nur die Bezeichnung Militärpatriarch. An der Tafel war es Anfangs sehr still, der Marschall offenbar ver¬ stimmt. Vom Park aus hatte ich gesehen, wie er im lebhaftesten Gespräch auf einem Altane mit Gras Giulai stand. Der letztere war in jeder Weise sein Gegensatz und trat dem milden Verfahren entgegen, womit Radetzki die Italiener wieder zu gewinnen suchte; die Offiziere, bei denen Graf Giu¬ lai höchst unbeliebt war, gaben ihm Schuld, daß er den Marschall aus des¬ sen Stellung zu eigenen Gunsten zu verdrängen strebe. Absichtlich begann ich mit meinem Nachbar zur linken von der Besesti-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/66>, abgerufen am 23.07.2024.