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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Sybel gehört nicht zu den Fatalisten, die in der ganzen Geschichte der
Revolution einen innern nothwendigen Zusammenhang finden. Er glaubt
vielmehr und wir treten diesem Glauben aufs freudigste bei, daß sie hätt^'
zum Guten gewandt und daß ihre Greuel hätten verhütet werden können.
Die Frage ist nicht blos historisch wichtig, sondern sie ist eine brennende, eine,
die sich täglich wiederholen kann.

sowol Lafayette als Mirabeau waren Willens dieses Werk zu unter¬
nehmen, den Absolutismus und das Junkerthum einerseits, die Demokratie
andrerseits zu bekämpfen und eine verfassungsmäßige Monarchie herzustellen.
In seinen Principien war Lafayette weiter links, er wollte die Monarchie be¬
schränkter als Mirabeau und er wollte die Ausgleichung der Stände weiter
treiben. In seiner Haltung dagegen war er weit conservativer, was freilich
thnlwcise aus dem Unterschied der Stellung und des Temperaments hervor¬
ging : der eine war Befehlshaber, der andere Redner -- und jeder Redner ist
etwas Demagog; der eine hatte den Ruf eines tugendhaften Biedermanns,
der andere den eines genialen Bösewichts, und der Ruf wirkt doch immer
etwas auf den Menschen ein; der eine war phlegmatisch und reservirt, aus
der Schule Washingtons, der andere aufbrausend und leidenschaftlich, der,
wenn er einmal ins Feuer kam, nicht viel darnach fragte, ob er seiner Sache
nützte oder schadete. Die Korrespondenz mit Aremberg giebt darüber einige
sehr merkwürdige Aufschlüsse.

Beide wollten die Rettung der Monarchie, aber aus verschiedene Weise:
Mirabeau, indem er zum König überging, seine eigene bisherige Partei angriff,
den König durch seine Popularität stützte und ihn durch seinen Geist beherrschte
und in Schranken hielt; Lafayette, indem er eine von dem König und der
Demokratie unabhängige dritte Macht gründete, sich als Dictator derselben
behauptete und das. was er wollte, mit Gewalt einrichtete.

Beides ist mißglückt, aber unsere wohlerwogene Ueberzeugung ist folgende:
Lafayettes Plan konnte gelingen und wäre gelungen, ja er wäre vielleicht noch
nach Mirabeaus Tod gelungen, wenn der General nur einen Funken mehr
Entschlossenheit gehabt hätte; Mirabeau's Plan war dagegen gleich von vorn
herein gradezu absurd und es hat auch wol Niemand an die Möglichkeit ge¬
glaubt als etwa der Herzog von Aremberg, der für den Geist seines Freundes
schwärmte und sich etwas damit wußte, ihn zu protegiren. Um Lafayette
richtig zu beurtheilen, muß man diesen Plan im Auge.behalten und ihn nach
seinem eigenen Maßstab, nicht nach einem fremden messen. So geben wir
z. B. Sybels Argwohn, die Hauptsache des 5. October sei von Lafayette
durchgeführt, vollständig zu, finden es aber auch ganz natürlich, daß er so
handelte, denn in seinem Plan lag gnr nicht, den König frei zu machen, son¬
dern ihn sich zu unterwerfen.


Sybel gehört nicht zu den Fatalisten, die in der ganzen Geschichte der
Revolution einen innern nothwendigen Zusammenhang finden. Er glaubt
vielmehr und wir treten diesem Glauben aufs freudigste bei, daß sie hätt^'
zum Guten gewandt und daß ihre Greuel hätten verhütet werden können.
Die Frage ist nicht blos historisch wichtig, sondern sie ist eine brennende, eine,
die sich täglich wiederholen kann.

sowol Lafayette als Mirabeau waren Willens dieses Werk zu unter¬
nehmen, den Absolutismus und das Junkerthum einerseits, die Demokratie
andrerseits zu bekämpfen und eine verfassungsmäßige Monarchie herzustellen.
In seinen Principien war Lafayette weiter links, er wollte die Monarchie be¬
schränkter als Mirabeau und er wollte die Ausgleichung der Stände weiter
treiben. In seiner Haltung dagegen war er weit conservativer, was freilich
thnlwcise aus dem Unterschied der Stellung und des Temperaments hervor¬
ging : der eine war Befehlshaber, der andere Redner — und jeder Redner ist
etwas Demagog; der eine hatte den Ruf eines tugendhaften Biedermanns,
der andere den eines genialen Bösewichts, und der Ruf wirkt doch immer
etwas auf den Menschen ein; der eine war phlegmatisch und reservirt, aus
der Schule Washingtons, der andere aufbrausend und leidenschaftlich, der,
wenn er einmal ins Feuer kam, nicht viel darnach fragte, ob er seiner Sache
nützte oder schadete. Die Korrespondenz mit Aremberg giebt darüber einige
sehr merkwürdige Aufschlüsse.

Beide wollten die Rettung der Monarchie, aber aus verschiedene Weise:
Mirabeau, indem er zum König überging, seine eigene bisherige Partei angriff,
den König durch seine Popularität stützte und ihn durch seinen Geist beherrschte
und in Schranken hielt; Lafayette, indem er eine von dem König und der
Demokratie unabhängige dritte Macht gründete, sich als Dictator derselben
behauptete und das. was er wollte, mit Gewalt einrichtete.

Beides ist mißglückt, aber unsere wohlerwogene Ueberzeugung ist folgende:
Lafayettes Plan konnte gelingen und wäre gelungen, ja er wäre vielleicht noch
nach Mirabeaus Tod gelungen, wenn der General nur einen Funken mehr
Entschlossenheit gehabt hätte; Mirabeau's Plan war dagegen gleich von vorn
herein gradezu absurd und es hat auch wol Niemand an die Möglichkeit ge¬
glaubt als etwa der Herzog von Aremberg, der für den Geist seines Freundes
schwärmte und sich etwas damit wußte, ihn zu protegiren. Um Lafayette
richtig zu beurtheilen, muß man diesen Plan im Auge.behalten und ihn nach
seinem eigenen Maßstab, nicht nach einem fremden messen. So geben wir
z. B. Sybels Argwohn, die Hauptsache des 5. October sei von Lafayette
durchgeführt, vollständig zu, finden es aber auch ganz natürlich, daß er so
handelte, denn in seinem Plan lag gnr nicht, den König frei zu machen, son¬
dern ihn sich zu unterwerfen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/522>, abgerufen am 23.07.2024.