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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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er an ihm hängen blieb. In Schmallenberg war er ein Säufer, der, als er
des Nachts nach Hause ging, dem Mond mit einem Dornbusch drohte, und
dafür sammt dem Dornbusch von ihm hinaufgezogen wurde.

Die Nantumer, auf der Insel Sitt, sagen: Der Mann im Mond ist ein
Riese, der steht zur Zeit der Flut gebückt, weil er dann Wasser schöpft und
auf die Erde gießt, woher die Flut kommt. Zur Zeit der Ebbe aber steche
er aufrecht und ruht von seiner Arbeit aus, und dann kann sich das Wasser
wieder verlaufen.

Mit Ausnahme der zuletzt genannten Deutung ist es also immer ein
Frevel, der den Mann in den Mond gebracht hat, und das stimmt durchaus
mit der alten Erzählung, nach welcher die Götter Mundelförs .Kinder in die
Sonne und den Mond versetzten, um seinen Uebermuth, um ein Sacrilegium
zu bestrafen. Aber auch von der jüngsten der drei Gestalten, in denen die
Mythe vom Mond in der Edda auftritt, von der, nach welcher der Mondmann
Widsüms Kinder raubte, läßt sich im deutschen Aberglauben ein Nachklang
aufzeigen, und zwar zunächst in den Sagen, in welchen von zwei Personen
im Monde die Rede ist, dann aber in denen, in welchen der Mondmann seinen
Platz am Himmel verläßt, um ans die Erde zu kommen und die, welche bei
Mondschein spinnen oder stricken, und Entführun g zu bedrohen. Wir geben für
jede der beiden Versionen ein Beispiel. Zu Heiner in Westfalen wird er¬
zählt, daß im Mond ein Mann mit einer Gabel voll Dornen und eine Frau
mit einer Kirne (Butterfaß) neben einander stehen, zur Strafe dafür, daß jener
am Sonntag sein Feld mit Dornen umzäunte, während die Frau butterte.
Zu Brackenheim in Schwaben war eine arme Frau, die sich mit Spinnen
nährte und dabei so fleißig war, daß sie selbst bei Mondschein noch an der
Kunkel saß. Da trat einmal mit dem Schlag zwölf ein Mann zu ihr
herein, brachte ihr einen ganzen Arm voll Spindeln und sagte, die müsse
"sie ihm noch in dieser Nacht voll spinnen, wo nicht, so werde er sie mit fort
nehmen. Der Frau ward Angst darüber, aber ein guter Geist gab ihr ein,
daß sie die Spindeln nur einmal überspann und so zu rechter Zeit fertig wurde.
Die Sage macht aus dem Mann den Teufel. Er ist aber sicher kein anderer,
als jener Sohn Mundelförs, das Urbild der meisten von den verschiedenen
Gestalten des Mannes im Monde. Das geht, abgesehen von dem oben er¬
wähnten reutlinger Winzer, schon daraus hervor, daß eine andere Deutung
der Mondflecken in demselben ein Mädchen erblickt, welches am Sonnabend
im Mondschein gesponnen hat und dafür wirklich vom Mondschein sammt
ihrem Rocken hinaufgezogen worden ist. Die Edda sagt es nicht ausdrücklich,
aber Bil und Hiuk werden bei ihrem Wasserholen eben auch das Verbot, bei
Mondlicht zu arbeiten, übertreten haben.

Welchen Grund dieses Verbot oder diese Scheu hatte, läßt sich nur rü-


er an ihm hängen blieb. In Schmallenberg war er ein Säufer, der, als er
des Nachts nach Hause ging, dem Mond mit einem Dornbusch drohte, und
dafür sammt dem Dornbusch von ihm hinaufgezogen wurde.

Die Nantumer, auf der Insel Sitt, sagen: Der Mann im Mond ist ein
Riese, der steht zur Zeit der Flut gebückt, weil er dann Wasser schöpft und
auf die Erde gießt, woher die Flut kommt. Zur Zeit der Ebbe aber steche
er aufrecht und ruht von seiner Arbeit aus, und dann kann sich das Wasser
wieder verlaufen.

Mit Ausnahme der zuletzt genannten Deutung ist es also immer ein
Frevel, der den Mann in den Mond gebracht hat, und das stimmt durchaus
mit der alten Erzählung, nach welcher die Götter Mundelförs .Kinder in die
Sonne und den Mond versetzten, um seinen Uebermuth, um ein Sacrilegium
zu bestrafen. Aber auch von der jüngsten der drei Gestalten, in denen die
Mythe vom Mond in der Edda auftritt, von der, nach welcher der Mondmann
Widsüms Kinder raubte, läßt sich im deutschen Aberglauben ein Nachklang
aufzeigen, und zwar zunächst in den Sagen, in welchen von zwei Personen
im Monde die Rede ist, dann aber in denen, in welchen der Mondmann seinen
Platz am Himmel verläßt, um ans die Erde zu kommen und die, welche bei
Mondschein spinnen oder stricken, und Entführun g zu bedrohen. Wir geben für
jede der beiden Versionen ein Beispiel. Zu Heiner in Westfalen wird er¬
zählt, daß im Mond ein Mann mit einer Gabel voll Dornen und eine Frau
mit einer Kirne (Butterfaß) neben einander stehen, zur Strafe dafür, daß jener
am Sonntag sein Feld mit Dornen umzäunte, während die Frau butterte.
Zu Brackenheim in Schwaben war eine arme Frau, die sich mit Spinnen
nährte und dabei so fleißig war, daß sie selbst bei Mondschein noch an der
Kunkel saß. Da trat einmal mit dem Schlag zwölf ein Mann zu ihr
herein, brachte ihr einen ganzen Arm voll Spindeln und sagte, die müsse
"sie ihm noch in dieser Nacht voll spinnen, wo nicht, so werde er sie mit fort
nehmen. Der Frau ward Angst darüber, aber ein guter Geist gab ihr ein,
daß sie die Spindeln nur einmal überspann und so zu rechter Zeit fertig wurde.
Die Sage macht aus dem Mann den Teufel. Er ist aber sicher kein anderer,
als jener Sohn Mundelförs, das Urbild der meisten von den verschiedenen
Gestalten des Mannes im Monde. Das geht, abgesehen von dem oben er¬
wähnten reutlinger Winzer, schon daraus hervor, daß eine andere Deutung
der Mondflecken in demselben ein Mädchen erblickt, welches am Sonnabend
im Mondschein gesponnen hat und dafür wirklich vom Mondschein sammt
ihrem Rocken hinaufgezogen worden ist. Die Edda sagt es nicht ausdrücklich,
aber Bil und Hiuk werden bei ihrem Wasserholen eben auch das Verbot, bei
Mondlicht zu arbeiten, übertreten haben.

Welchen Grund dieses Verbot oder diese Scheu hatte, läßt sich nur rü-


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[0507] er an ihm hängen blieb. In Schmallenberg war er ein Säufer, der, als er des Nachts nach Hause ging, dem Mond mit einem Dornbusch drohte, und dafür sammt dem Dornbusch von ihm hinaufgezogen wurde. Die Nantumer, auf der Insel Sitt, sagen: Der Mann im Mond ist ein Riese, der steht zur Zeit der Flut gebückt, weil er dann Wasser schöpft und auf die Erde gießt, woher die Flut kommt. Zur Zeit der Ebbe aber steche er aufrecht und ruht von seiner Arbeit aus, und dann kann sich das Wasser wieder verlaufen. Mit Ausnahme der zuletzt genannten Deutung ist es also immer ein Frevel, der den Mann in den Mond gebracht hat, und das stimmt durchaus mit der alten Erzählung, nach welcher die Götter Mundelförs .Kinder in die Sonne und den Mond versetzten, um seinen Uebermuth, um ein Sacrilegium zu bestrafen. Aber auch von der jüngsten der drei Gestalten, in denen die Mythe vom Mond in der Edda auftritt, von der, nach welcher der Mondmann Widsüms Kinder raubte, läßt sich im deutschen Aberglauben ein Nachklang aufzeigen, und zwar zunächst in den Sagen, in welchen von zwei Personen im Monde die Rede ist, dann aber in denen, in welchen der Mondmann seinen Platz am Himmel verläßt, um ans die Erde zu kommen und die, welche bei Mondschein spinnen oder stricken, und Entführun g zu bedrohen. Wir geben für jede der beiden Versionen ein Beispiel. Zu Heiner in Westfalen wird er¬ zählt, daß im Mond ein Mann mit einer Gabel voll Dornen und eine Frau mit einer Kirne (Butterfaß) neben einander stehen, zur Strafe dafür, daß jener am Sonntag sein Feld mit Dornen umzäunte, während die Frau butterte. Zu Brackenheim in Schwaben war eine arme Frau, die sich mit Spinnen nährte und dabei so fleißig war, daß sie selbst bei Mondschein noch an der Kunkel saß. Da trat einmal mit dem Schlag zwölf ein Mann zu ihr herein, brachte ihr einen ganzen Arm voll Spindeln und sagte, die müsse "sie ihm noch in dieser Nacht voll spinnen, wo nicht, so werde er sie mit fort nehmen. Der Frau ward Angst darüber, aber ein guter Geist gab ihr ein, daß sie die Spindeln nur einmal überspann und so zu rechter Zeit fertig wurde. Die Sage macht aus dem Mann den Teufel. Er ist aber sicher kein anderer, als jener Sohn Mundelförs, das Urbild der meisten von den verschiedenen Gestalten des Mannes im Monde. Das geht, abgesehen von dem oben er¬ wähnten reutlinger Winzer, schon daraus hervor, daß eine andere Deutung der Mondflecken in demselben ein Mädchen erblickt, welches am Sonnabend im Mondschein gesponnen hat und dafür wirklich vom Mondschein sammt ihrem Rocken hinaufgezogen worden ist. Die Edda sagt es nicht ausdrücklich, aber Bil und Hiuk werden bei ihrem Wasserholen eben auch das Verbot, bei Mondlicht zu arbeiten, übertreten haben. Welchen Grund dieses Verbot oder diese Scheu hatte, läßt sich nur rü-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/507>, abgerufen am 23.07.2024.