Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.sich setzt, der Gewaltsamkeit der Mittel angemessen, und er zeigt wenigstens eine Der Zweck ist, die große französische Revolution in ihren wildesten Gestal¬ Seine Aufgabe ist nun, zu zeigen, wie diese auf mehrere Jahre ausrei¬ sich setzt, der Gewaltsamkeit der Mittel angemessen, und er zeigt wenigstens eine Der Zweck ist, die große französische Revolution in ihren wildesten Gestal¬ Seine Aufgabe ist nun, zu zeigen, wie diese auf mehrere Jahre ausrei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109205"/> <p xml:id="ID_1387" prev="#ID_1386"> sich setzt, der Gewaltsamkeit der Mittel angemessen, und er zeigt wenigstens eine<lb/> Ahnung davon, wie das Problem zu lösen wäre. Freilich besitzt er zu wenig<lb/> Ruhe und Ordnung des Geistes, die Sinnlichkeit überwiegt zu sehr den Ge¬<lb/> danken, mit andern Worten, das Mittel verwandelt sich zu oft in Zweck, als<lb/> daß es ihm gelungen wäre, die Lösung befriedigend zu geben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1388"> Der Zweck ist, die große französische Revolution in ihren wildesten Gestal¬<lb/> ten genetisch begreiflich zu machen. Dickens führt uns in die entsetzlichen Zeiten<lb/> der Septembermorde 1792 und des Jakobincrthums von 1793, aber er bleibt<lb/> nicht bei der Oberfläche der politischen Bewegung stehn, sondern vertieft sich<lb/> in die geheimen Schlupfwinkel der Vorstadt Se. Antoine, um den wahren<lb/> Souverän jener Tage zu zeigen, das Proletariat, von dem Robespierre, Dan¬<lb/> ton und Marat nur die erbärmlichen Vertreter waren. Den Schrecken jener<lb/> Zeit stellt er mit einer bewundernswürdigen Sinnlichkeit dar, mehr durch den<lb/> Eindruck auf die Seelen, als durch die Thatsachen selbst. Die unheimliche Figur<lb/> jenes Holzhackers, der bei jedem Stück Holz, das unter seiner Säge fallt, an<lb/> einen Hals denkt, und der genau berechnet, wie viel Köpse von der Guillo¬<lb/> tine rasirt werden, während er eine Pfeife ausraucht, ist als Arabeske, als<lb/> symbolische Figur, um den Schrecken zu versinnlichen, vortrefflich erfunden.<lb/> Sehr schön schildert Dickens, wie die kommenden Ereignisse ihren ^Schatten<lb/> auf die Gegenwart werfen, wie die Furcht Gespenster heraufbeschwört, die<lb/> dann in Fleisch und Blut übergehn. In einem seiner frühern Romane ..Bar¬<lb/> navy Nudge" schildert Dickens viel ausführlicher und in viel greulichem Farben<lb/> einen jener Momente, wo Satan die Menge erfaßt und sie toll macht, und ein¬<lb/> zelne Figuren dieser Schilderung, der Centaur, der Henker, auch der Häuptling<lb/> der vereinigten Bullenbeißer würden wol einen Platz in einem großen Revo-<lb/> lutionsgemüide finden; allein man hat immer das Gefühl, daß die Mittel<lb/> über den Zweck hinausgehn, daß für einen Spectakel von einigen Tagen, in dem<lb/> es sich doch hauptsächlich um bloßen Straßenunsug und Plünderung handelt,<lb/> die Farben zu grell ausgetragen sind; bei der großen französischen Revolution<lb/> dagegen wissen wir sehr gut, was sie zu bedeuten hatte, und der Dichter kann<lb/> mit bescheidenen Mitteln eine größere Wirkung erreichen, weil ihm unsere histo¬<lb/> risch geschulte Phantasie zu Hilfe kommt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1389" next="#ID_1390"> Seine Aufgabe ist nun, zu zeigen, wie diese auf mehrere Jahre ausrei¬<lb/> chende Wuth in der Seele des Volks möglich geworden ist. An sich war der<lb/> Weg nicht schwer zu finden: der furchtbare Druck, den der Adel auf das ge¬<lb/> meine Volk ausübt, die vollständige Ohnmacht des Gesetzes den Reichen und<lb/> Mächtigen gegenüber, wird in allen Details ausgeführt; man sieht an meh¬<lb/> reren einzelnen Fällen, wie der Adel das Volk als eine gemeine Thierart an¬<lb/> sieht und behandelt; ein Arzt, der das Verbrechen eines Edelmanns denuncirt,<lb/> wird heimlich in die Bastille gebracht, dort 18 Jahre in einsamer Haft ge°</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0483]
sich setzt, der Gewaltsamkeit der Mittel angemessen, und er zeigt wenigstens eine
Ahnung davon, wie das Problem zu lösen wäre. Freilich besitzt er zu wenig
Ruhe und Ordnung des Geistes, die Sinnlichkeit überwiegt zu sehr den Ge¬
danken, mit andern Worten, das Mittel verwandelt sich zu oft in Zweck, als
daß es ihm gelungen wäre, die Lösung befriedigend zu geben.
Der Zweck ist, die große französische Revolution in ihren wildesten Gestal¬
ten genetisch begreiflich zu machen. Dickens führt uns in die entsetzlichen Zeiten
der Septembermorde 1792 und des Jakobincrthums von 1793, aber er bleibt
nicht bei der Oberfläche der politischen Bewegung stehn, sondern vertieft sich
in die geheimen Schlupfwinkel der Vorstadt Se. Antoine, um den wahren
Souverän jener Tage zu zeigen, das Proletariat, von dem Robespierre, Dan¬
ton und Marat nur die erbärmlichen Vertreter waren. Den Schrecken jener
Zeit stellt er mit einer bewundernswürdigen Sinnlichkeit dar, mehr durch den
Eindruck auf die Seelen, als durch die Thatsachen selbst. Die unheimliche Figur
jenes Holzhackers, der bei jedem Stück Holz, das unter seiner Säge fallt, an
einen Hals denkt, und der genau berechnet, wie viel Köpse von der Guillo¬
tine rasirt werden, während er eine Pfeife ausraucht, ist als Arabeske, als
symbolische Figur, um den Schrecken zu versinnlichen, vortrefflich erfunden.
Sehr schön schildert Dickens, wie die kommenden Ereignisse ihren ^Schatten
auf die Gegenwart werfen, wie die Furcht Gespenster heraufbeschwört, die
dann in Fleisch und Blut übergehn. In einem seiner frühern Romane ..Bar¬
navy Nudge" schildert Dickens viel ausführlicher und in viel greulichem Farben
einen jener Momente, wo Satan die Menge erfaßt und sie toll macht, und ein¬
zelne Figuren dieser Schilderung, der Centaur, der Henker, auch der Häuptling
der vereinigten Bullenbeißer würden wol einen Platz in einem großen Revo-
lutionsgemüide finden; allein man hat immer das Gefühl, daß die Mittel
über den Zweck hinausgehn, daß für einen Spectakel von einigen Tagen, in dem
es sich doch hauptsächlich um bloßen Straßenunsug und Plünderung handelt,
die Farben zu grell ausgetragen sind; bei der großen französischen Revolution
dagegen wissen wir sehr gut, was sie zu bedeuten hatte, und der Dichter kann
mit bescheidenen Mitteln eine größere Wirkung erreichen, weil ihm unsere histo¬
risch geschulte Phantasie zu Hilfe kommt.
Seine Aufgabe ist nun, zu zeigen, wie diese auf mehrere Jahre ausrei¬
chende Wuth in der Seele des Volks möglich geworden ist. An sich war der
Weg nicht schwer zu finden: der furchtbare Druck, den der Adel auf das ge¬
meine Volk ausübt, die vollständige Ohnmacht des Gesetzes den Reichen und
Mächtigen gegenüber, wird in allen Details ausgeführt; man sieht an meh¬
reren einzelnen Fällen, wie der Adel das Volk als eine gemeine Thierart an¬
sieht und behandelt; ein Arzt, der das Verbrechen eines Edelmanns denuncirt,
wird heimlich in die Bastille gebracht, dort 18 Jahre in einsamer Haft ge°
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