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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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die, theils mit Pferden, theils mit Ochsen bespannt, geduldig in der Reihe
warten, bis sie zur Ladung kommen. Da hier zugleich der Landungsplatz der
Dampfschiffe und der Handelsfahrzeuge ist, ebenso der ganze Verkehr aus dem
Innern hier vorüber muß, so wogt an dieser Stelle ein unaufhörlich reges
Leben.

Eine Merkwürdigkeit Nicolajeffs ist die Brücke über den Bug, welcher
hier von außerordentlicher Breite ist. Früher geschah der Uebergang mittelst
einer Führe; die großen Truppenzüge und der Transport von Kriegsmaterial,
welche während des Krimkrieges hier passiren mußten, auf der Hauptstraße
in die Wunsche Halbinsel, machten die Anlage einer Brücke nothwendig. Der
geniale General Tottleben construirte und vollendete dieselbe innerhalb zwan¬
zig Tagen; es ist eine sogenannte Klotzbrücke, nach Art der Schiffbrücken. Die
Stelle der Pontons vertreten mächtige Baumstämme, die dicht nebeneinander
in der Richtung der Strömung liegen und mittelst Klammern verbunden sind,
auf ihnen ruht eine zweite Lage von geringerem Durchmesser der Länge nach
und trägt einen Boden aus starken Fichtenbohlen. Die letzteren werden durch
schwache auf den Enden liegende Riegel, welche mit Stricken oder gedrehten
Weiden verbunden sind, in ihrer Lage gehalten. Leider habe ich Gelegenheit
gehabt, die Construction dieser Brücke genauer kennen zu lernen, als mir lieb
war. Ich begleitete eines Tags einen werthen Freund auf dessen Besitzung
in den Steppen am oberen Ingut. Eine Karawane von vierzig Ochsenwagen,
welche Getreide nach Odessa geschafft hatten, war beladen mit Lebensbedürf¬
nissen, Geräthen und Maschinen, darunter eine große Locomobile von 80
Ctr. Schwere, schon mehrere Tage voraus gesandt worden. Wir holten sie
auf dem Plateau kurz vor der Stadt Nicolajeff ein und eilten voraus, um zu
ermitteln, ob die Bugbrücke im Stande sei, die gewaltige Last sicher zu tra¬
gen. Da Erkundigungen aus bester Quelle bestätigten, die Brücke habe durch
die schwersten Geschütze nicht gelitten, so sahen wir auch dem Uebergang der
Locomobile mit Zuversicht entgegen. Im Anfang ging auch Alles ziemlich
gut, allein je weiter die schwere Last sich vom User entfernte, um so gefähr¬
licher sing das schwimmende Werk an zu schwanken und zu wogen; die Boh¬
lenbekleidung stauete sich dachförmig zusammen, es war zum Erschrecken.
Dennoch schritten die wackeren Gespanne beharrlich voran auf der beweglichen
Straße, während ihre Führer beteten und sich unaufhörlich bekreuzten. Plötz¬
lich geschah ein lauter Krach, der Hinterwagen lag im Wasser. Die Knebel
waren gesprengt, die Bohlen der Brücke hatten sich auf einen Haufen zu¬
sammengeschoben und der Wagen mit seiner ungeheueren Last war in die
Zwischenräume der obersten, die Stromrichtung kreuzenden Stämme gefallen.
Sofort wurde alles Mögliche versucht, um dem drohenden Uebel zu entkommen
-- der Bug ist hier sehr tief, und die kostbare Locomobile wäre, wenn sie in


die, theils mit Pferden, theils mit Ochsen bespannt, geduldig in der Reihe
warten, bis sie zur Ladung kommen. Da hier zugleich der Landungsplatz der
Dampfschiffe und der Handelsfahrzeuge ist, ebenso der ganze Verkehr aus dem
Innern hier vorüber muß, so wogt an dieser Stelle ein unaufhörlich reges
Leben.

Eine Merkwürdigkeit Nicolajeffs ist die Brücke über den Bug, welcher
hier von außerordentlicher Breite ist. Früher geschah der Uebergang mittelst
einer Führe; die großen Truppenzüge und der Transport von Kriegsmaterial,
welche während des Krimkrieges hier passiren mußten, auf der Hauptstraße
in die Wunsche Halbinsel, machten die Anlage einer Brücke nothwendig. Der
geniale General Tottleben construirte und vollendete dieselbe innerhalb zwan¬
zig Tagen; es ist eine sogenannte Klotzbrücke, nach Art der Schiffbrücken. Die
Stelle der Pontons vertreten mächtige Baumstämme, die dicht nebeneinander
in der Richtung der Strömung liegen und mittelst Klammern verbunden sind,
auf ihnen ruht eine zweite Lage von geringerem Durchmesser der Länge nach
und trägt einen Boden aus starken Fichtenbohlen. Die letzteren werden durch
schwache auf den Enden liegende Riegel, welche mit Stricken oder gedrehten
Weiden verbunden sind, in ihrer Lage gehalten. Leider habe ich Gelegenheit
gehabt, die Construction dieser Brücke genauer kennen zu lernen, als mir lieb
war. Ich begleitete eines Tags einen werthen Freund auf dessen Besitzung
in den Steppen am oberen Ingut. Eine Karawane von vierzig Ochsenwagen,
welche Getreide nach Odessa geschafft hatten, war beladen mit Lebensbedürf¬
nissen, Geräthen und Maschinen, darunter eine große Locomobile von 80
Ctr. Schwere, schon mehrere Tage voraus gesandt worden. Wir holten sie
auf dem Plateau kurz vor der Stadt Nicolajeff ein und eilten voraus, um zu
ermitteln, ob die Bugbrücke im Stande sei, die gewaltige Last sicher zu tra¬
gen. Da Erkundigungen aus bester Quelle bestätigten, die Brücke habe durch
die schwersten Geschütze nicht gelitten, so sahen wir auch dem Uebergang der
Locomobile mit Zuversicht entgegen. Im Anfang ging auch Alles ziemlich
gut, allein je weiter die schwere Last sich vom User entfernte, um so gefähr¬
licher sing das schwimmende Werk an zu schwanken und zu wogen; die Boh¬
lenbekleidung stauete sich dachförmig zusammen, es war zum Erschrecken.
Dennoch schritten die wackeren Gespanne beharrlich voran auf der beweglichen
Straße, während ihre Führer beteten und sich unaufhörlich bekreuzten. Plötz¬
lich geschah ein lauter Krach, der Hinterwagen lag im Wasser. Die Knebel
waren gesprengt, die Bohlen der Brücke hatten sich auf einen Haufen zu¬
sammengeschoben und der Wagen mit seiner ungeheueren Last war in die
Zwischenräume der obersten, die Stromrichtung kreuzenden Stämme gefallen.
Sofort wurde alles Mögliche versucht, um dem drohenden Uebel zu entkommen
— der Bug ist hier sehr tief, und die kostbare Locomobile wäre, wenn sie in


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[0475] die, theils mit Pferden, theils mit Ochsen bespannt, geduldig in der Reihe warten, bis sie zur Ladung kommen. Da hier zugleich der Landungsplatz der Dampfschiffe und der Handelsfahrzeuge ist, ebenso der ganze Verkehr aus dem Innern hier vorüber muß, so wogt an dieser Stelle ein unaufhörlich reges Leben. Eine Merkwürdigkeit Nicolajeffs ist die Brücke über den Bug, welcher hier von außerordentlicher Breite ist. Früher geschah der Uebergang mittelst einer Führe; die großen Truppenzüge und der Transport von Kriegsmaterial, welche während des Krimkrieges hier passiren mußten, auf der Hauptstraße in die Wunsche Halbinsel, machten die Anlage einer Brücke nothwendig. Der geniale General Tottleben construirte und vollendete dieselbe innerhalb zwan¬ zig Tagen; es ist eine sogenannte Klotzbrücke, nach Art der Schiffbrücken. Die Stelle der Pontons vertreten mächtige Baumstämme, die dicht nebeneinander in der Richtung der Strömung liegen und mittelst Klammern verbunden sind, auf ihnen ruht eine zweite Lage von geringerem Durchmesser der Länge nach und trägt einen Boden aus starken Fichtenbohlen. Die letzteren werden durch schwache auf den Enden liegende Riegel, welche mit Stricken oder gedrehten Weiden verbunden sind, in ihrer Lage gehalten. Leider habe ich Gelegenheit gehabt, die Construction dieser Brücke genauer kennen zu lernen, als mir lieb war. Ich begleitete eines Tags einen werthen Freund auf dessen Besitzung in den Steppen am oberen Ingut. Eine Karawane von vierzig Ochsenwagen, welche Getreide nach Odessa geschafft hatten, war beladen mit Lebensbedürf¬ nissen, Geräthen und Maschinen, darunter eine große Locomobile von 80 Ctr. Schwere, schon mehrere Tage voraus gesandt worden. Wir holten sie auf dem Plateau kurz vor der Stadt Nicolajeff ein und eilten voraus, um zu ermitteln, ob die Bugbrücke im Stande sei, die gewaltige Last sicher zu tra¬ gen. Da Erkundigungen aus bester Quelle bestätigten, die Brücke habe durch die schwersten Geschütze nicht gelitten, so sahen wir auch dem Uebergang der Locomobile mit Zuversicht entgegen. Im Anfang ging auch Alles ziemlich gut, allein je weiter die schwere Last sich vom User entfernte, um so gefähr¬ licher sing das schwimmende Werk an zu schwanken und zu wogen; die Boh¬ lenbekleidung stauete sich dachförmig zusammen, es war zum Erschrecken. Dennoch schritten die wackeren Gespanne beharrlich voran auf der beweglichen Straße, während ihre Führer beteten und sich unaufhörlich bekreuzten. Plötz¬ lich geschah ein lauter Krach, der Hinterwagen lag im Wasser. Die Knebel waren gesprengt, die Bohlen der Brücke hatten sich auf einen Haufen zu¬ sammengeschoben und der Wagen mit seiner ungeheueren Last war in die Zwischenräume der obersten, die Stromrichtung kreuzenden Stämme gefallen. Sofort wurde alles Mögliche versucht, um dem drohenden Uebel zu entkommen — der Bug ist hier sehr tief, und die kostbare Locomobile wäre, wenn sie in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/475>, abgerufen am 23.07.2024.