Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.Die Mobilisirung des vorigen Jahres zeigte noch augenscheinlicher als Die plötzliche Entlassung des General Bonin erregte keinen geringen Schreck, Als nach Eröffnung des Landtags der Finanzminister den Mehraufwand Die Sensation war groß, man kann es fast Betäubung nennen: und doch Die Mobilisirung des vorigen Jahres zeigte noch augenscheinlicher als Die plötzliche Entlassung des General Bonin erregte keinen geringen Schreck, Als nach Eröffnung des Landtags der Finanzminister den Mehraufwand Die Sensation war groß, man kann es fast Betäubung nennen: und doch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109176"/> <p xml:id="ID_1297"> Die Mobilisirung des vorigen Jahres zeigte noch augenscheinlicher als<lb/> früher, wie dringend nothwendig eine durchgreifende Reform sei. -Denn wenn<lb/> Preußen nicht ein einfaches Corps aufstellen konnte, ohne das bürgerliche Leben<lb/> einer ganzen Provinz in die grenzenloseste Verwirrung, ohne den natürlichen<lb/> Kreislauf des Lebensbluts ins Stocken zu bringen, so war Preußen trotz seines<lb/> großen Heeres militärisch schlechter gestellt als alle seine Nachbarn. Der Grund<lb/> dieser Erscheinung war damals im Publicum noch wenig bekannt. Man wußte<lb/> nicht oder hatte nicht daraus geachtet, daß die Selbstständigkeit der Landwehr<lb/> erst seit einigen Jahren aufgehoben und dadurch zugleich auch die Linie un-<lb/> selbstständig und bis zu einem gewissen Grade bewegungsunfähig geworden<lb/> war; daß man seit Jahren systematisch daran gearbeitet hatte, die Landwehr<lb/> als solche zu desorganisiren und dadurch allmälig ihre völlige Aufhebung vor¬<lb/> zubereiten. Man dachte über die nähern Umstände nicht weiter nach und hatt<lb/> zu der Regierung so großes Vertrauen, daß man nicht zweifelte, sie werde die<lb/> richtige Lösung finden. Daß die neue Einrichtung nicht unbedeutende Opfer<lb/> fordern würde, darauf war man gefaßt, und entschlossen, sie zu bringen, in<lb/> der Voraussetzung, daß man auch Großes dadurch erreichen werde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1298"> Die plötzliche Entlassung des General Bonin erregte keinen geringen Schreck,<lb/> um so mehr, da offenbar aus kundiger Feder als Grund dieser Entlassung<lb/> sehr erhebliche principielle Differenzen angegeben waren. Zwar beeiferte sich<lb/> das Gesammtministerium, officiös oder man kann sagen officiell, diesen Be¬<lb/> richten zu widersprechen, und den Abschied des Generals Bonin gewissermaßen<lb/> psychologisch zu erklären; aber wenn das Vertrauen zum Ministerium auch so<lb/> groß war, daß damals eine öffentliche Discussion unterblieb, so sing man doch<lb/> an, sehr bedenklich und ängstlich zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1299"> Als nach Eröffnung des Landtags der Finanzminister den Mehraufwand<lb/> der neuen Einrichtung auf beiläufig 9V- Millionen jährlich angab, zeigte sich<lb/> auf allen Seiten des Hauses große Sensation; diese Sensation wurde nicht<lb/> geringer, als er bald darauf andeutete, die Kosten würden in Bezug auf an¬<lb/> dere militärische Verhältnisse noch beträchtlich größer sein. Zuletzt hat man<lb/> gewissermaßen beiläufig erfahren, daß auch die Flotte drei Millionen mehr in<lb/> Anspruch nimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1300" next="#ID_1301"> Die Sensation war groß, man kann es fast Betäubung nennen: und doch<lb/> verhinderte wiederum das Vertrauen zur Regierung im Allgemeinen, daß nicht<lb/> sofort eine heftige Opposition sich erhob. Allmälig rechnete man nach, und<lb/> es ergab sich einerseits aus der einfachen Verhältnißrechnung, daß die Kosten<lb/> allerdings um beträchtliche Millionen zu niedrig angegeben seien; es ergab sich<lb/> ferner, daß durch das neue System einer jährlichen Aushebung von 63.000<lb/> statt 40.000 Mann zugleich die Arbeits- und Steuerkraft des Landes sehr ver¬<lb/> mindert, das Deficit also verhältnißmäßig gesteigert werden müsse; und fragte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0454]
Die Mobilisirung des vorigen Jahres zeigte noch augenscheinlicher als
früher, wie dringend nothwendig eine durchgreifende Reform sei. -Denn wenn
Preußen nicht ein einfaches Corps aufstellen konnte, ohne das bürgerliche Leben
einer ganzen Provinz in die grenzenloseste Verwirrung, ohne den natürlichen
Kreislauf des Lebensbluts ins Stocken zu bringen, so war Preußen trotz seines
großen Heeres militärisch schlechter gestellt als alle seine Nachbarn. Der Grund
dieser Erscheinung war damals im Publicum noch wenig bekannt. Man wußte
nicht oder hatte nicht daraus geachtet, daß die Selbstständigkeit der Landwehr
erst seit einigen Jahren aufgehoben und dadurch zugleich auch die Linie un-
selbstständig und bis zu einem gewissen Grade bewegungsunfähig geworden
war; daß man seit Jahren systematisch daran gearbeitet hatte, die Landwehr
als solche zu desorganisiren und dadurch allmälig ihre völlige Aufhebung vor¬
zubereiten. Man dachte über die nähern Umstände nicht weiter nach und hatt
zu der Regierung so großes Vertrauen, daß man nicht zweifelte, sie werde die
richtige Lösung finden. Daß die neue Einrichtung nicht unbedeutende Opfer
fordern würde, darauf war man gefaßt, und entschlossen, sie zu bringen, in
der Voraussetzung, daß man auch Großes dadurch erreichen werde.
Die plötzliche Entlassung des General Bonin erregte keinen geringen Schreck,
um so mehr, da offenbar aus kundiger Feder als Grund dieser Entlassung
sehr erhebliche principielle Differenzen angegeben waren. Zwar beeiferte sich
das Gesammtministerium, officiös oder man kann sagen officiell, diesen Be¬
richten zu widersprechen, und den Abschied des Generals Bonin gewissermaßen
psychologisch zu erklären; aber wenn das Vertrauen zum Ministerium auch so
groß war, daß damals eine öffentliche Discussion unterblieb, so sing man doch
an, sehr bedenklich und ängstlich zu werden.
Als nach Eröffnung des Landtags der Finanzminister den Mehraufwand
der neuen Einrichtung auf beiläufig 9V- Millionen jährlich angab, zeigte sich
auf allen Seiten des Hauses große Sensation; diese Sensation wurde nicht
geringer, als er bald darauf andeutete, die Kosten würden in Bezug auf an¬
dere militärische Verhältnisse noch beträchtlich größer sein. Zuletzt hat man
gewissermaßen beiläufig erfahren, daß auch die Flotte drei Millionen mehr in
Anspruch nimmt.
Die Sensation war groß, man kann es fast Betäubung nennen: und doch
verhinderte wiederum das Vertrauen zur Regierung im Allgemeinen, daß nicht
sofort eine heftige Opposition sich erhob. Allmälig rechnete man nach, und
es ergab sich einerseits aus der einfachen Verhältnißrechnung, daß die Kosten
allerdings um beträchtliche Millionen zu niedrig angegeben seien; es ergab sich
ferner, daß durch das neue System einer jährlichen Aushebung von 63.000
statt 40.000 Mann zugleich die Arbeits- und Steuerkraft des Landes sehr ver¬
mindert, das Deficit also verhältnißmäßig gesteigert werden müsse; und fragte
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