Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Mädchen der Reihe uach zum Neigen genommen hat. Ein ähnlicher Tanz
^se die Nezanka, die besonders in der Gegend von Tuchomeritz beliebt ist.
Dieselbe wird mit dem Gesang einer Ballade begleitet, in der ein Herr
einem Mädchen den Krug zerbricht und vergeblich zuerst ein Tuch, dann einen
Ring als Ersatz bietet. Zuletzt schenkt er sich ihr selbst, womit sie zufrieden
gestellt ist. Erwähnung verdient sodann die Zezhulika (Kukuk), der einzige
czechische Nationaltanz, in welchem der feurige Doppelschritt des berühmten
polnischen Mazurs herrscht. Derselbe hat seinen Namen vom Anfang des
ihn begleitenden Liedes, wo vom Ruf des .Kukuks im Buchenwald die Rede
ist. Der Tänzer hält die Tänzerin an der rechten Hand und tanzt mit ihr in
der Route vorwärts. Der markirende Absatz beim vierten Takt ist nicht ge¬
bräuchlich, doch kommen die beim Mazur üblichen Drehungen am Schluß je¬
der Strophe des Liedes vor. Interessant sür den Zuschauer ist ferner der
Dudak (Dudclsackspfeifer), bei welchem der Dudelsackspfeifer während des
Spiels mittanzt, und zwar so, daß er sich in der Mitte des Saals von rechts
nach links ländlermäßig herumdreht, indeß die Andern paarweise ihre Kreise
um ihn beschreiben. Eigenthümlich ist endlich in diesem Bereich die Skakava,
bei der man (namentlich unter den Hannaken) ein von Waldau ungetheiltes
religiöses Lied zu singen pflegt, in welchem "die Mutter vom heiligen Berge"
angefleht wird, für den Sänger Fürbitte einzulegen.

Ein Gegenstück hierzu muß in frühern Jahrhunderten die Husitska, der
Hussitentcmz gewesen sein. Während bei der Skakawa Text und Melodie
von geistlichem Charakter sind, der Tanz selbst aber durchaus weltlicher Natur
ist, war die Husitska ein ähnlicher Ausdruck andächtiger Erregung wie die
Tänze der Sliaker und der Derwische, und diesem Charakter entsprachen die
dazu gesungnen Lieder nach Melodie sowol wie nach den Textesworten. Die
Figuren des Tanzes sind verloren gegangen, der alte Text ebenfalls. Ueber
die Melodien aber theilt Waldau folgendes mit: "In Svata Koruna, unfern
von. dem Geburtsorte des berühmten Taboritenführers Jan Zizka z Troknova
lebt ein Mann, der als Geiger in der ganzen Gegend bekannt und beliebt
ist. Er besitzt als Erbtheil von seinen Vorfahren, ebenfalls Musikanten, ein
altes Notenbuch, in welchem zwanzig Liederweisen handschriftlich aufgezeichnet
sind, die, wie es dort geschrieben steht, seine Vorgänger gar häufig im Wirths¬
haus aufzuspielen pflegten. Es bedarf keiner großen Kenntniß der alten
Kirchenmusik und besonders der Gesänge der Böhmischen Brüder, um in die¬
sen Liedern eine wunderbare Verwandtschaft mit den letztern wahrzunehmen.
Sie sind durchweg in Moll gesetzt, die tiefste Frömmigkeit, die düsterste
Melancholie weht aus jeder Note, und das Anhören derselben ist von er¬
greifender Wirkung. Dabei stehen die Texte der Melodie diametral entgegen;
sie sind nichts weniger als verfificirte Gebete, sondern rein weltliche Ge-


Mädchen der Reihe uach zum Neigen genommen hat. Ein ähnlicher Tanz
^se die Nezanka, die besonders in der Gegend von Tuchomeritz beliebt ist.
Dieselbe wird mit dem Gesang einer Ballade begleitet, in der ein Herr
einem Mädchen den Krug zerbricht und vergeblich zuerst ein Tuch, dann einen
Ring als Ersatz bietet. Zuletzt schenkt er sich ihr selbst, womit sie zufrieden
gestellt ist. Erwähnung verdient sodann die Zezhulika (Kukuk), der einzige
czechische Nationaltanz, in welchem der feurige Doppelschritt des berühmten
polnischen Mazurs herrscht. Derselbe hat seinen Namen vom Anfang des
ihn begleitenden Liedes, wo vom Ruf des .Kukuks im Buchenwald die Rede
ist. Der Tänzer hält die Tänzerin an der rechten Hand und tanzt mit ihr in
der Route vorwärts. Der markirende Absatz beim vierten Takt ist nicht ge¬
bräuchlich, doch kommen die beim Mazur üblichen Drehungen am Schluß je¬
der Strophe des Liedes vor. Interessant sür den Zuschauer ist ferner der
Dudak (Dudclsackspfeifer), bei welchem der Dudelsackspfeifer während des
Spiels mittanzt, und zwar so, daß er sich in der Mitte des Saals von rechts
nach links ländlermäßig herumdreht, indeß die Andern paarweise ihre Kreise
um ihn beschreiben. Eigenthümlich ist endlich in diesem Bereich die Skakava,
bei der man (namentlich unter den Hannaken) ein von Waldau ungetheiltes
religiöses Lied zu singen pflegt, in welchem „die Mutter vom heiligen Berge"
angefleht wird, für den Sänger Fürbitte einzulegen.

Ein Gegenstück hierzu muß in frühern Jahrhunderten die Husitska, der
Hussitentcmz gewesen sein. Während bei der Skakawa Text und Melodie
von geistlichem Charakter sind, der Tanz selbst aber durchaus weltlicher Natur
ist, war die Husitska ein ähnlicher Ausdruck andächtiger Erregung wie die
Tänze der Sliaker und der Derwische, und diesem Charakter entsprachen die
dazu gesungnen Lieder nach Melodie sowol wie nach den Textesworten. Die
Figuren des Tanzes sind verloren gegangen, der alte Text ebenfalls. Ueber
die Melodien aber theilt Waldau folgendes mit: „In Svata Koruna, unfern
von. dem Geburtsorte des berühmten Taboritenführers Jan Zizka z Troknova
lebt ein Mann, der als Geiger in der ganzen Gegend bekannt und beliebt
ist. Er besitzt als Erbtheil von seinen Vorfahren, ebenfalls Musikanten, ein
altes Notenbuch, in welchem zwanzig Liederweisen handschriftlich aufgezeichnet
sind, die, wie es dort geschrieben steht, seine Vorgänger gar häufig im Wirths¬
haus aufzuspielen pflegten. Es bedarf keiner großen Kenntniß der alten
Kirchenmusik und besonders der Gesänge der Böhmischen Brüder, um in die¬
sen Liedern eine wunderbare Verwandtschaft mit den letztern wahrzunehmen.
Sie sind durchweg in Moll gesetzt, die tiefste Frömmigkeit, die düsterste
Melancholie weht aus jeder Note, und das Anhören derselben ist von er¬
greifender Wirkung. Dabei stehen die Texte der Melodie diametral entgegen;
sie sind nichts weniger als verfificirte Gebete, sondern rein weltliche Ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109162"/>
          <p xml:id="ID_1255" prev="#ID_1254"> Mädchen der Reihe uach zum Neigen genommen hat. Ein ähnlicher Tanz<lb/>
^se die Nezanka, die besonders in der Gegend von Tuchomeritz beliebt ist.<lb/>
Dieselbe wird mit dem Gesang einer Ballade begleitet, in der ein Herr<lb/>
einem Mädchen den Krug zerbricht und vergeblich zuerst ein Tuch, dann einen<lb/>
Ring als Ersatz bietet. Zuletzt schenkt er sich ihr selbst, womit sie zufrieden<lb/>
gestellt ist. Erwähnung verdient sodann die Zezhulika (Kukuk), der einzige<lb/>
czechische Nationaltanz, in welchem der feurige Doppelschritt des berühmten<lb/>
polnischen Mazurs herrscht. Derselbe hat seinen Namen vom Anfang des<lb/>
ihn begleitenden Liedes, wo vom Ruf des .Kukuks im Buchenwald die Rede<lb/>
ist. Der Tänzer hält die Tänzerin an der rechten Hand und tanzt mit ihr in<lb/>
der Route vorwärts. Der markirende Absatz beim vierten Takt ist nicht ge¬<lb/>
bräuchlich, doch kommen die beim Mazur üblichen Drehungen am Schluß je¬<lb/>
der Strophe des Liedes vor. Interessant sür den Zuschauer ist ferner der<lb/>
Dudak (Dudclsackspfeifer), bei welchem der Dudelsackspfeifer während des<lb/>
Spiels mittanzt, und zwar so, daß er sich in der Mitte des Saals von rechts<lb/>
nach links ländlermäßig herumdreht, indeß die Andern paarweise ihre Kreise<lb/>
um ihn beschreiben. Eigenthümlich ist endlich in diesem Bereich die Skakava,<lb/>
bei der man (namentlich unter den Hannaken) ein von Waldau ungetheiltes<lb/>
religiöses Lied zu singen pflegt, in welchem &#x201E;die Mutter vom heiligen Berge"<lb/>
angefleht wird, für den Sänger Fürbitte einzulegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1256" next="#ID_1257"> Ein Gegenstück hierzu muß in frühern Jahrhunderten die Husitska, der<lb/>
Hussitentcmz gewesen sein. Während bei der Skakawa Text und Melodie<lb/>
von geistlichem Charakter sind, der Tanz selbst aber durchaus weltlicher Natur<lb/>
ist, war die Husitska ein ähnlicher Ausdruck andächtiger Erregung wie die<lb/>
Tänze der Sliaker und der Derwische, und diesem Charakter entsprachen die<lb/>
dazu gesungnen Lieder nach Melodie sowol wie nach den Textesworten. Die<lb/>
Figuren des Tanzes sind verloren gegangen, der alte Text ebenfalls. Ueber<lb/>
die Melodien aber theilt Waldau folgendes mit: &#x201E;In Svata Koruna, unfern<lb/>
von. dem Geburtsorte des berühmten Taboritenführers Jan Zizka z Troknova<lb/>
lebt ein Mann, der als Geiger in der ganzen Gegend bekannt und beliebt<lb/>
ist. Er besitzt als Erbtheil von seinen Vorfahren, ebenfalls Musikanten, ein<lb/>
altes Notenbuch, in welchem zwanzig Liederweisen handschriftlich aufgezeichnet<lb/>
sind, die, wie es dort geschrieben steht, seine Vorgänger gar häufig im Wirths¬<lb/>
haus aufzuspielen pflegten. Es bedarf keiner großen Kenntniß der alten<lb/>
Kirchenmusik und besonders der Gesänge der Böhmischen Brüder, um in die¬<lb/>
sen Liedern eine wunderbare Verwandtschaft mit den letztern wahrzunehmen.<lb/>
Sie sind durchweg in Moll gesetzt, die tiefste Frömmigkeit, die düsterste<lb/>
Melancholie weht aus jeder Note, und das Anhören derselben ist von er¬<lb/>
greifender Wirkung. Dabei stehen die Texte der Melodie diametral entgegen;<lb/>
sie sind nichts weniger als verfificirte Gebete, sondern rein weltliche Ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0440] Mädchen der Reihe uach zum Neigen genommen hat. Ein ähnlicher Tanz ^se die Nezanka, die besonders in der Gegend von Tuchomeritz beliebt ist. Dieselbe wird mit dem Gesang einer Ballade begleitet, in der ein Herr einem Mädchen den Krug zerbricht und vergeblich zuerst ein Tuch, dann einen Ring als Ersatz bietet. Zuletzt schenkt er sich ihr selbst, womit sie zufrieden gestellt ist. Erwähnung verdient sodann die Zezhulika (Kukuk), der einzige czechische Nationaltanz, in welchem der feurige Doppelschritt des berühmten polnischen Mazurs herrscht. Derselbe hat seinen Namen vom Anfang des ihn begleitenden Liedes, wo vom Ruf des .Kukuks im Buchenwald die Rede ist. Der Tänzer hält die Tänzerin an der rechten Hand und tanzt mit ihr in der Route vorwärts. Der markirende Absatz beim vierten Takt ist nicht ge¬ bräuchlich, doch kommen die beim Mazur üblichen Drehungen am Schluß je¬ der Strophe des Liedes vor. Interessant sür den Zuschauer ist ferner der Dudak (Dudclsackspfeifer), bei welchem der Dudelsackspfeifer während des Spiels mittanzt, und zwar so, daß er sich in der Mitte des Saals von rechts nach links ländlermäßig herumdreht, indeß die Andern paarweise ihre Kreise um ihn beschreiben. Eigenthümlich ist endlich in diesem Bereich die Skakava, bei der man (namentlich unter den Hannaken) ein von Waldau ungetheiltes religiöses Lied zu singen pflegt, in welchem „die Mutter vom heiligen Berge" angefleht wird, für den Sänger Fürbitte einzulegen. Ein Gegenstück hierzu muß in frühern Jahrhunderten die Husitska, der Hussitentcmz gewesen sein. Während bei der Skakawa Text und Melodie von geistlichem Charakter sind, der Tanz selbst aber durchaus weltlicher Natur ist, war die Husitska ein ähnlicher Ausdruck andächtiger Erregung wie die Tänze der Sliaker und der Derwische, und diesem Charakter entsprachen die dazu gesungnen Lieder nach Melodie sowol wie nach den Textesworten. Die Figuren des Tanzes sind verloren gegangen, der alte Text ebenfalls. Ueber die Melodien aber theilt Waldau folgendes mit: „In Svata Koruna, unfern von. dem Geburtsorte des berühmten Taboritenführers Jan Zizka z Troknova lebt ein Mann, der als Geiger in der ganzen Gegend bekannt und beliebt ist. Er besitzt als Erbtheil von seinen Vorfahren, ebenfalls Musikanten, ein altes Notenbuch, in welchem zwanzig Liederweisen handschriftlich aufgezeichnet sind, die, wie es dort geschrieben steht, seine Vorgänger gar häufig im Wirths¬ haus aufzuspielen pflegten. Es bedarf keiner großen Kenntniß der alten Kirchenmusik und besonders der Gesänge der Böhmischen Brüder, um in die¬ sen Liedern eine wunderbare Verwandtschaft mit den letztern wahrzunehmen. Sie sind durchweg in Moll gesetzt, die tiefste Frömmigkeit, die düsterste Melancholie weht aus jeder Note, und das Anhören derselben ist von er¬ greifender Wirkung. Dabei stehen die Texte der Melodie diametral entgegen; sie sind nichts weniger als verfificirte Gebete, sondern rein weltliche Ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/440
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/440>, abgerufen am 23.07.2024.