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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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der Drehorgel und Harfe, bei größern Festlichkeiten nach den Tönen eines
Dorfmusikanten-Orchesters, so hat dies dem Vergnügen keinen Eintrag gethan,
und es gibt fast keine Dorfschaft, in der sich nicht noch gelegentlich ein neuer
Tanz ganz plötzlich neben die alten stellte. Ein Beispiel ist die Polka. Zu
Anfang der dreißiger Jahre tanzte ein Dienstmädchen in Elbe-Teinitz eines
Sonntags einen Tanz, den es sich selbst erdacht, und sang hierzu eine passende
Melodie. Der dortige Lehrer, der zufällig dabei war, schrieb die Melodie
nieder, und bald nachher wurde der Tanz im Städtchen beliebt. 1835 fand
er in Prag Eingang und erst jetzt (wahrscheinlich wegen des in ihm waltenden
Halbschrittcs*) einen Namen. Vier Jahre später wurde er durch die Musik¬
bande der Präger Scharfschützen nach Wien gebracht. Von hier verpflanzte ihn
1840 der Tanzmeister Raab auf das Odeoutheatcr in Paris und von dort
machte er seine Weltreise nach allen fünf Erdtheilen. Die erste Polka, die im
Musikalienhandel erschien, war von dem Lehrer Hilmar im Dorfe Kopidlno
componirt. Der Name des Mädchens, welches den weltberühmten Tanz er¬
funden, ist unbekannt; unser Gewährsmann will indessen gehört haben, daß
sie jetzt im Dorfe Konetopy auf der ehemaligen Herrschaft Brandeis verhei-
rathet lebe. Aehnlich erging es einem Verwandten der Polka, dem Trasak,
der. seit ihm der pariser Tanzmeister Cellarius Grazie und Tournüre und einen
französischen Namen gegeben, als ?o1Ki>, tremol-into alle Welt entzückt hat,
ähnlich der Skocna, die in Wien als "Zäpperlpvlka" die Vorstädter begeisterte.
Der letzte Tanz ist von neckischen, scherzhaftem Charakter, und man begleitet
ihn unter den Czechen noch bisweilen mit lustigen Liedchen, von denen unsre
Quelle mehre anführt.

Andere nationale Tanze sind weit origineller, wie schon ihre Namen an¬
deuten. Wir nennen aus dem Verzeichnis) Waldaus nur einige der auffallend¬
sten. Man hat einen Tanz, der das alte Weib, und einen andern, welcher
der Teufel heißt. Man hat ferner einen Müller- und einen Barbiertanz, einen Kor¬
poral, einen Ulanen, einen Bauer, eine5 Schuster und einen Weber, einen Juden,
einen Schornsteinfeger und einen Schmied, einen Sachsen, einen Italiener
und einen Baiern. Man tanzt einen Kukuk, einen Truthahn, einen Bock und
eine Kuh, einen Frosch und eine Wachtel, sogar einen Enterich und einen
Krebs. Weit verbreitet sind das Rasirmesser. der Dudelsack, der Kegel, der
Häckerling, die Haspel, das Stoppelfeld, sehr beliebt in manchen Gegenden
der Hängebalken, das Schnappmesser, der Hafer, die Gerste, die Schaukel, die
Peitsche, die Kellerrübe und der Gemüsekohl, das Schilf und der Fiedelbogen.
Neben einem Schubkarren begegnen wir einem Leiterwagen, neben einem
Dreifuß einer Strohschüssel und einem Stiefelknecht, neben einem Tanz, der den



") Pulka heißt im Czechischm die Hälfte.

der Drehorgel und Harfe, bei größern Festlichkeiten nach den Tönen eines
Dorfmusikanten-Orchesters, so hat dies dem Vergnügen keinen Eintrag gethan,
und es gibt fast keine Dorfschaft, in der sich nicht noch gelegentlich ein neuer
Tanz ganz plötzlich neben die alten stellte. Ein Beispiel ist die Polka. Zu
Anfang der dreißiger Jahre tanzte ein Dienstmädchen in Elbe-Teinitz eines
Sonntags einen Tanz, den es sich selbst erdacht, und sang hierzu eine passende
Melodie. Der dortige Lehrer, der zufällig dabei war, schrieb die Melodie
nieder, und bald nachher wurde der Tanz im Städtchen beliebt. 1835 fand
er in Prag Eingang und erst jetzt (wahrscheinlich wegen des in ihm waltenden
Halbschrittcs*) einen Namen. Vier Jahre später wurde er durch die Musik¬
bande der Präger Scharfschützen nach Wien gebracht. Von hier verpflanzte ihn
1840 der Tanzmeister Raab auf das Odeoutheatcr in Paris und von dort
machte er seine Weltreise nach allen fünf Erdtheilen. Die erste Polka, die im
Musikalienhandel erschien, war von dem Lehrer Hilmar im Dorfe Kopidlno
componirt. Der Name des Mädchens, welches den weltberühmten Tanz er¬
funden, ist unbekannt; unser Gewährsmann will indessen gehört haben, daß
sie jetzt im Dorfe Konetopy auf der ehemaligen Herrschaft Brandeis verhei-
rathet lebe. Aehnlich erging es einem Verwandten der Polka, dem Trasak,
der. seit ihm der pariser Tanzmeister Cellarius Grazie und Tournüre und einen
französischen Namen gegeben, als ?o1Ki>, tremol-into alle Welt entzückt hat,
ähnlich der Skocna, die in Wien als „Zäpperlpvlka" die Vorstädter begeisterte.
Der letzte Tanz ist von neckischen, scherzhaftem Charakter, und man begleitet
ihn unter den Czechen noch bisweilen mit lustigen Liedchen, von denen unsre
Quelle mehre anführt.

Andere nationale Tanze sind weit origineller, wie schon ihre Namen an¬
deuten. Wir nennen aus dem Verzeichnis) Waldaus nur einige der auffallend¬
sten. Man hat einen Tanz, der das alte Weib, und einen andern, welcher
der Teufel heißt. Man hat ferner einen Müller- und einen Barbiertanz, einen Kor¬
poral, einen Ulanen, einen Bauer, eine5 Schuster und einen Weber, einen Juden,
einen Schornsteinfeger und einen Schmied, einen Sachsen, einen Italiener
und einen Baiern. Man tanzt einen Kukuk, einen Truthahn, einen Bock und
eine Kuh, einen Frosch und eine Wachtel, sogar einen Enterich und einen
Krebs. Weit verbreitet sind das Rasirmesser. der Dudelsack, der Kegel, der
Häckerling, die Haspel, das Stoppelfeld, sehr beliebt in manchen Gegenden
der Hängebalken, das Schnappmesser, der Hafer, die Gerste, die Schaukel, die
Peitsche, die Kellerrübe und der Gemüsekohl, das Schilf und der Fiedelbogen.
Neben einem Schubkarren begegnen wir einem Leiterwagen, neben einem
Dreifuß einer Strohschüssel und einem Stiefelknecht, neben einem Tanz, der den



") Pulka heißt im Czechischm die Hälfte.
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[0435] der Drehorgel und Harfe, bei größern Festlichkeiten nach den Tönen eines Dorfmusikanten-Orchesters, so hat dies dem Vergnügen keinen Eintrag gethan, und es gibt fast keine Dorfschaft, in der sich nicht noch gelegentlich ein neuer Tanz ganz plötzlich neben die alten stellte. Ein Beispiel ist die Polka. Zu Anfang der dreißiger Jahre tanzte ein Dienstmädchen in Elbe-Teinitz eines Sonntags einen Tanz, den es sich selbst erdacht, und sang hierzu eine passende Melodie. Der dortige Lehrer, der zufällig dabei war, schrieb die Melodie nieder, und bald nachher wurde der Tanz im Städtchen beliebt. 1835 fand er in Prag Eingang und erst jetzt (wahrscheinlich wegen des in ihm waltenden Halbschrittcs*) einen Namen. Vier Jahre später wurde er durch die Musik¬ bande der Präger Scharfschützen nach Wien gebracht. Von hier verpflanzte ihn 1840 der Tanzmeister Raab auf das Odeoutheatcr in Paris und von dort machte er seine Weltreise nach allen fünf Erdtheilen. Die erste Polka, die im Musikalienhandel erschien, war von dem Lehrer Hilmar im Dorfe Kopidlno componirt. Der Name des Mädchens, welches den weltberühmten Tanz er¬ funden, ist unbekannt; unser Gewährsmann will indessen gehört haben, daß sie jetzt im Dorfe Konetopy auf der ehemaligen Herrschaft Brandeis verhei- rathet lebe. Aehnlich erging es einem Verwandten der Polka, dem Trasak, der. seit ihm der pariser Tanzmeister Cellarius Grazie und Tournüre und einen französischen Namen gegeben, als ?o1Ki>, tremol-into alle Welt entzückt hat, ähnlich der Skocna, die in Wien als „Zäpperlpvlka" die Vorstädter begeisterte. Der letzte Tanz ist von neckischen, scherzhaftem Charakter, und man begleitet ihn unter den Czechen noch bisweilen mit lustigen Liedchen, von denen unsre Quelle mehre anführt. Andere nationale Tanze sind weit origineller, wie schon ihre Namen an¬ deuten. Wir nennen aus dem Verzeichnis) Waldaus nur einige der auffallend¬ sten. Man hat einen Tanz, der das alte Weib, und einen andern, welcher der Teufel heißt. Man hat ferner einen Müller- und einen Barbiertanz, einen Kor¬ poral, einen Ulanen, einen Bauer, eine5 Schuster und einen Weber, einen Juden, einen Schornsteinfeger und einen Schmied, einen Sachsen, einen Italiener und einen Baiern. Man tanzt einen Kukuk, einen Truthahn, einen Bock und eine Kuh, einen Frosch und eine Wachtel, sogar einen Enterich und einen Krebs. Weit verbreitet sind das Rasirmesser. der Dudelsack, der Kegel, der Häckerling, die Haspel, das Stoppelfeld, sehr beliebt in manchen Gegenden der Hängebalken, das Schnappmesser, der Hafer, die Gerste, die Schaukel, die Peitsche, die Kellerrübe und der Gemüsekohl, das Schilf und der Fiedelbogen. Neben einem Schubkarren begegnen wir einem Leiterwagen, neben einem Dreifuß einer Strohschüssel und einem Stiefelknecht, neben einem Tanz, der den ") Pulka heißt im Czechischm die Hälfte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/435>, abgerufen am 23.07.2024.