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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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rathen eine große Formgewandtheit und ein gesundes politisches Gefühl. --
Wir gehen zum Roman über, in dem wir auch diesmal durchweg weibliche
Hände anzuführen haben. -- Von den ausgewählten Werten Fern an Ca¬
balleros, übersehe von Lemcke (dem sich für die spätern Lieferungen noch
F. Wolf und L. Clarus anschließen werden), sind zwei ne"e Bände erschienen:
die Familie Alvarede und kleine Erzählungen. .(Paderborn, Schöningh). Der
Uebersetzer hat, wie wir es schon früher als nothwendig dargestellt, diesmal
wörtlich übersetzt. Im Uebrigen können wir uns auf unsere frühere Kritik
beziehn; die beiden Bände kommen zwar'der "Möve" an Interesse nicht gleich,
enthalten aber doch viel anziehende und charakteristische Bilder. -- Zwei neue
Romane von Fanny. Lewald ("das Mädchen von Hcla", 2 Bd. Berlin,
Zanke) und Elise Polko ("Faustina Hasse", 2 Bd. Leipzig. Schlicke) gehören
zu dem besten was diese beiden Damen geschrieben haben. Namentlich sticht
der neue musikalische Roman von Elise Polko sehr vortheilhaft gegen ihre
früheren ab. Beiden hat eine Figur von G. Sand vorgeschwebt: das Mäd¬
chen von Hcla erinnert an die xvtiw I^cielo, Faustina an Consuclo. Es
soll damit kein Tadel ausgesprochen sein; denn nur die allgemeine Klangfarbe
und Stimmung ist beibehalten, wahrscheinlich sogar unbewußt, im übrigen sind
die Figuren frei componirt. Was die Form betrifft, so geben wir Fanny Le¬
wald entschieden den Vorzug; sie ist in der Sprache sehr einfach und weiß sie
doch, wo es darauf ankommt, zu großer Kraft zu erheben; namentlich im ersten
Bande, der überhaupt bei weitem der bessere ist. In den Mitteln ist sie sehr
bescheiden, die Zahl der Figuren ist gering, aber jede von ihnen deutlich und
bestimmt, die Composition des Ganzen durchsichtig und zweckmäßig, Elise
Polkos Sprache hat immer noch hin und wieder etwas Verschwommenes, und
die große Zahl von Figuren, die sie in Scene setzt, ist auch darum unbequem,
weil sie eine entschiedene Familienähnlichkeit untereinander haben, und schwer
zu unterscheiden sind. -- Der sittliche Eindruck beider Romane hat etwas Pei¬
nigendes. Wir wollen von den Liebeshändeln absehn, in welche Faustina in
Italien verwickelt wird, obgleich man sich unwillkürlich an die bezaubernde
Frische erinnert, mit welcher G. Sand solche Dinge darstellt; aber ihr Ehe-
belen geht über die Grenzen des Angenehmen und Nützlichen hinaus. Daß
es einer Frau von Geist und Temperament zuletzt sehr langweilig werden muß,
wenn der Herr Gemahl sich immer auf Knieen mit ihr unterhält, ist sehr be¬
greiflich; daß er, als sie sich öffentlich als königliche Maitresse ankündigt, dem
Dinge aus dem Wege geht und eine mehrjährige Reise nach Italien macht,
finden wir sehr verständig; daß ihm bei der Gelegenheit ein wenig das Herz
bricht, thut uns leid; daß sie ihn wiederkommen läßt, als sie des königlichen
Galans überdrüssig wird, und daß er sich sofort wieder einstellt -- nun es
kommen im Theater manche sonderbare Dinge vor! Daß man an all diesen


rathen eine große Formgewandtheit und ein gesundes politisches Gefühl. —
Wir gehen zum Roman über, in dem wir auch diesmal durchweg weibliche
Hände anzuführen haben. — Von den ausgewählten Werten Fern an Ca¬
balleros, übersehe von Lemcke (dem sich für die spätern Lieferungen noch
F. Wolf und L. Clarus anschließen werden), sind zwei ne»e Bände erschienen:
die Familie Alvarede und kleine Erzählungen. .(Paderborn, Schöningh). Der
Uebersetzer hat, wie wir es schon früher als nothwendig dargestellt, diesmal
wörtlich übersetzt. Im Uebrigen können wir uns auf unsere frühere Kritik
beziehn; die beiden Bände kommen zwar'der „Möve" an Interesse nicht gleich,
enthalten aber doch viel anziehende und charakteristische Bilder. — Zwei neue
Romane von Fanny. Lewald („das Mädchen von Hcla", 2 Bd. Berlin,
Zanke) und Elise Polko („Faustina Hasse", 2 Bd. Leipzig. Schlicke) gehören
zu dem besten was diese beiden Damen geschrieben haben. Namentlich sticht
der neue musikalische Roman von Elise Polko sehr vortheilhaft gegen ihre
früheren ab. Beiden hat eine Figur von G. Sand vorgeschwebt: das Mäd¬
chen von Hcla erinnert an die xvtiw I^cielo, Faustina an Consuclo. Es
soll damit kein Tadel ausgesprochen sein; denn nur die allgemeine Klangfarbe
und Stimmung ist beibehalten, wahrscheinlich sogar unbewußt, im übrigen sind
die Figuren frei componirt. Was die Form betrifft, so geben wir Fanny Le¬
wald entschieden den Vorzug; sie ist in der Sprache sehr einfach und weiß sie
doch, wo es darauf ankommt, zu großer Kraft zu erheben; namentlich im ersten
Bande, der überhaupt bei weitem der bessere ist. In den Mitteln ist sie sehr
bescheiden, die Zahl der Figuren ist gering, aber jede von ihnen deutlich und
bestimmt, die Composition des Ganzen durchsichtig und zweckmäßig, Elise
Polkos Sprache hat immer noch hin und wieder etwas Verschwommenes, und
die große Zahl von Figuren, die sie in Scene setzt, ist auch darum unbequem,
weil sie eine entschiedene Familienähnlichkeit untereinander haben, und schwer
zu unterscheiden sind. — Der sittliche Eindruck beider Romane hat etwas Pei¬
nigendes. Wir wollen von den Liebeshändeln absehn, in welche Faustina in
Italien verwickelt wird, obgleich man sich unwillkürlich an die bezaubernde
Frische erinnert, mit welcher G. Sand solche Dinge darstellt; aber ihr Ehe-
belen geht über die Grenzen des Angenehmen und Nützlichen hinaus. Daß
es einer Frau von Geist und Temperament zuletzt sehr langweilig werden muß,
wenn der Herr Gemahl sich immer auf Knieen mit ihr unterhält, ist sehr be¬
greiflich; daß er, als sie sich öffentlich als königliche Maitresse ankündigt, dem
Dinge aus dem Wege geht und eine mehrjährige Reise nach Italien macht,
finden wir sehr verständig; daß ihm bei der Gelegenheit ein wenig das Herz
bricht, thut uns leid; daß sie ihn wiederkommen läßt, als sie des königlichen
Galans überdrüssig wird, und daß er sich sofort wieder einstellt — nun es
kommen im Theater manche sonderbare Dinge vor! Daß man an all diesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/428>, abgerufen am 23.07.2024.