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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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als solches thue, bewußtlos geschehe. -- Diese Umwandlung der Gesinnungen
bezieht sich nicht blos aus die Theorie; wie sehr sie auch auf seine Praxis
eingewirkt, zeigen die Korrespondenzen mit Humboldt und namentlich mit
Körner, in denen er mit immer größerer Schroffheit die Goethescher Glaubens¬
sätze vertritt. Freilich kann eine Wiedergeburt des Glaubens die Natur eines
Menschen nicht verwandeln, und insofern hat Drobisch vollkommen Recht, daß
spater wie früher zwischen dem Schaffen der beiden Dichter ein durchgreifender
Gegensatz bestand. Betrachten wir die Art und Weise, wie auf der einen
Seite der Werther, der Götz, der Fischer u. s. w., wie auf der andern der
Wallenstein, Don Carlos, die Künstler u. s. w. entstanden, so werden wir
es sehr begreiflich finden, daß insgeheim Goethe stets die Natur, Schiller
stets die Freiheit als seine Muse verehrte; denn Goethe beschränkte sich
daraus, was ihm im Innern oder von Draußen erklang, mit möglichst ge¬
ringer Anstrengung zu fixiren, während Schiller von einem ganz unklaren
Gefühl ausgehend, mit großartigen Blicken einen Bau gleichsam a, priori
ausführte.

In der Heidelberger Diensttagsgesellschaft, die, wie wir erfahren, haupt¬
sächlich aus Theologen besteht, hat ein ungenannter Professor den 8. Nov.
1859 zur Schillerfeier einen Vortrag gehalten, der hauptsächlich daraus aus¬
geht, Schillers Christenthum zu retten. Das Bestreben ist nicht so neu, als
der Versasser sich vorstellt, Schillers Biographie von Gustav Schwab hat keinen
andern Zweck als nachzuweisen, daß der Dichter ein guter Christ gewesen sei.
Beide wackere Männer versteh" im Grunde das Wort wie Lessings Kloster¬
bruder, wenn er Nathan zuruft: ihr seid ein Christ! d. h. ein vortrefflicher,
herrlicher Mensch. Dagegen wäre nun nichts zu sagen und man könnte sogar
noch weiter gehn, wenn man historisch verfährt, und die moderne Bildung
seit dem siebenten Jahrhundert in eine christliche, mohamedanische, jüdische,
buddhistische u. s. w. sondert. In dieser Weise sind wir alle Christen, weil
unsere Bildung, auf christlicher Basis steht, so ketzerisch wir uns auch gegen
dieselbe verhalten mögen. Eine spätere Nachwelt wird sich in der That so
ausdrücken, denn man bezeichnet ja auch Homer, Hesiod, Sokrates, Aristo-
phanes mit dem gemeinsamen Namen Heiden, obgleich sie in ihren Ideen doch
wohl noch weiter auseinander gingen/ als Hengstenberg und Feuerbach. Vor¬
läufig aber hat man mit jener Bezeichnung etwas anderes im Sinn: man
bezeichnet damit entweder die Stärke, in der sich der specifisch christliche Geist
unbewußt in einer Seele ausprägt, oder das bewußte Verhalten zu dieser
historischen Erscheinung. Was das erste betrifft, so kann seit der Trennung
der beiden Confessionen nicht mehr von einem abstract christlichen Geist, son¬
dern nur von den speciellen Formen desselben die Rede sein. Wenn also der
Verfasser den Umstand, daß Schiller in der Maria Stuart sowohl die prote-


als solches thue, bewußtlos geschehe. — Diese Umwandlung der Gesinnungen
bezieht sich nicht blos aus die Theorie; wie sehr sie auch auf seine Praxis
eingewirkt, zeigen die Korrespondenzen mit Humboldt und namentlich mit
Körner, in denen er mit immer größerer Schroffheit die Goethescher Glaubens¬
sätze vertritt. Freilich kann eine Wiedergeburt des Glaubens die Natur eines
Menschen nicht verwandeln, und insofern hat Drobisch vollkommen Recht, daß
spater wie früher zwischen dem Schaffen der beiden Dichter ein durchgreifender
Gegensatz bestand. Betrachten wir die Art und Weise, wie auf der einen
Seite der Werther, der Götz, der Fischer u. s. w., wie auf der andern der
Wallenstein, Don Carlos, die Künstler u. s. w. entstanden, so werden wir
es sehr begreiflich finden, daß insgeheim Goethe stets die Natur, Schiller
stets die Freiheit als seine Muse verehrte; denn Goethe beschränkte sich
daraus, was ihm im Innern oder von Draußen erklang, mit möglichst ge¬
ringer Anstrengung zu fixiren, während Schiller von einem ganz unklaren
Gefühl ausgehend, mit großartigen Blicken einen Bau gleichsam a, priori
ausführte.

In der Heidelberger Diensttagsgesellschaft, die, wie wir erfahren, haupt¬
sächlich aus Theologen besteht, hat ein ungenannter Professor den 8. Nov.
1859 zur Schillerfeier einen Vortrag gehalten, der hauptsächlich daraus aus¬
geht, Schillers Christenthum zu retten. Das Bestreben ist nicht so neu, als
der Versasser sich vorstellt, Schillers Biographie von Gustav Schwab hat keinen
andern Zweck als nachzuweisen, daß der Dichter ein guter Christ gewesen sei.
Beide wackere Männer versteh» im Grunde das Wort wie Lessings Kloster¬
bruder, wenn er Nathan zuruft: ihr seid ein Christ! d. h. ein vortrefflicher,
herrlicher Mensch. Dagegen wäre nun nichts zu sagen und man könnte sogar
noch weiter gehn, wenn man historisch verfährt, und die moderne Bildung
seit dem siebenten Jahrhundert in eine christliche, mohamedanische, jüdische,
buddhistische u. s. w. sondert. In dieser Weise sind wir alle Christen, weil
unsere Bildung, auf christlicher Basis steht, so ketzerisch wir uns auch gegen
dieselbe verhalten mögen. Eine spätere Nachwelt wird sich in der That so
ausdrücken, denn man bezeichnet ja auch Homer, Hesiod, Sokrates, Aristo-
phanes mit dem gemeinsamen Namen Heiden, obgleich sie in ihren Ideen doch
wohl noch weiter auseinander gingen/ als Hengstenberg und Feuerbach. Vor¬
läufig aber hat man mit jener Bezeichnung etwas anderes im Sinn: man
bezeichnet damit entweder die Stärke, in der sich der specifisch christliche Geist
unbewußt in einer Seele ausprägt, oder das bewußte Verhalten zu dieser
historischen Erscheinung. Was das erste betrifft, so kann seit der Trennung
der beiden Confessionen nicht mehr von einem abstract christlichen Geist, son¬
dern nur von den speciellen Formen desselben die Rede sein. Wenn also der
Verfasser den Umstand, daß Schiller in der Maria Stuart sowohl die prote-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/424>, abgerufen am 25.08.2024.