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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Gesellschaften, Turnvereinen u. s. w, und bei den von diesen veranstalteten
Festlichkeiten waltet das süddeutsche Element unverkennbar vor. Die Nord¬
deutschen sind im Allgemeinen ernster, mehr aufs Erwerben und Sparen be¬
dacht, nüchterner und stiller. Die oft sehr lärmende Lustigkeit der Schwaben,
ihre Trink-, Sing- und Tanzlust hatte früher für die Angloamerikaner und
bis zu einem gewissen Grade auch für die Norddeutschen etwas Abstoßendes,
und man sah sie mit Blicken an, die ziemlich viel von einem Ketzerrichter an
sich hatten. Jetzt hat sich in dieser Beziehung manches geändert, und man denkt
mit mehr weltmännischer Duldsamkeit sogar über die deutsche Art der Sonn¬
tagsfeier, die allerdings das Widerspiel der streng kirchlichen Weise ist. in
welcher der Angloamerikaner seinen "Sabbath" feiert.

Wir geben jetzt einen kurzen Ueberblick über die Anstalten und Vereine,
in denen sich das Leben der ueuyorker Deutschen ausprägt, und beginnen
mit den Zeitungen. Deutsche Blätter gab es zu Ende vorigen Jahres in
Neuyork 13, worunter 3 täglich erschienen. Das verbreitetste und im allge¬
meinen am besten geschriebene unter den letztern ist die Neuyorker Staatszei¬
tung, deren Hauptrednkteur Oswald Ottendorfer ist. Die beiden andern
Tagesblätter sind der Neuyvrker Demokrat, von Wilhelm Kopp, und die Neu¬
yorker Abendzeitung, von Hermann Raster redigirt. Die übrigen Organe
der deutschen Presse sind: die Neuyvrker Handelszeitung, die Neuyorker Krimi-
nalzeitung, der Geist der Weltliteratur, von Dr. A. Wiesner redigirt, die
Schule des Volkes, die Neuyvrker Jllustrirte Zeitung, eine andere von dem
Amerikaner Leslie Heransgegebene Jllustrirte Zeitung, der Neuyorker Humorist,
die Katholische Kirchenzeitung, die Neuyorker Gewerbezeitung und die vom
Arbeiterbund herausgegebene, von einem Herrn Haerbrendt redigirte Sociale
Republik. Heinzens Pionier scheint von der Bühne verschwunden zu sein,
wenigstens findet er sich in dem uns vvrltegenden Verzeichnis; nicht mit aus¬
geführt.

Im Uebrigen ist die Literatur schwach vertreten. Originalwerke in deut¬
scher Sprache erschienen in Neuyork sehr selten. Freiligrath gab ein Bänd¬
chen Gedichte heraus, Struve eine Weltgeschichte. Sonst scheint die Buch¬
druckerpresse in Goddam, soweit sie das deutsche Element vertritt, sich nur
mit Zeitungen, Etiquetten und -- dem Nachdruck deutscher Bücher zu beschäf¬
tigen.

Das deutsche Stadttheater, dessen Eigenthümer und Direktoren die Her¬
ren Hoya und Hauran sind, und dessen Leistungen etwa denen eines von
unsern Theatern dritten Ranges entsprechen, hat 22 männliche und 12 weib¬
liche Mitglieder. Außerdem bestehen drei Gesellschaften, welche kleine Lieb¬
habertheater unterhalten, und von denen der "dramatische Verein Amicitia"
die meisten Mitglieder zählt. Gesangvereine gibt es in Neuyork und den


Gesellschaften, Turnvereinen u. s. w, und bei den von diesen veranstalteten
Festlichkeiten waltet das süddeutsche Element unverkennbar vor. Die Nord¬
deutschen sind im Allgemeinen ernster, mehr aufs Erwerben und Sparen be¬
dacht, nüchterner und stiller. Die oft sehr lärmende Lustigkeit der Schwaben,
ihre Trink-, Sing- und Tanzlust hatte früher für die Angloamerikaner und
bis zu einem gewissen Grade auch für die Norddeutschen etwas Abstoßendes,
und man sah sie mit Blicken an, die ziemlich viel von einem Ketzerrichter an
sich hatten. Jetzt hat sich in dieser Beziehung manches geändert, und man denkt
mit mehr weltmännischer Duldsamkeit sogar über die deutsche Art der Sonn¬
tagsfeier, die allerdings das Widerspiel der streng kirchlichen Weise ist. in
welcher der Angloamerikaner seinen „Sabbath" feiert.

Wir geben jetzt einen kurzen Ueberblick über die Anstalten und Vereine,
in denen sich das Leben der ueuyorker Deutschen ausprägt, und beginnen
mit den Zeitungen. Deutsche Blätter gab es zu Ende vorigen Jahres in
Neuyork 13, worunter 3 täglich erschienen. Das verbreitetste und im allge¬
meinen am besten geschriebene unter den letztern ist die Neuyorker Staatszei¬
tung, deren Hauptrednkteur Oswald Ottendorfer ist. Die beiden andern
Tagesblätter sind der Neuyvrker Demokrat, von Wilhelm Kopp, und die Neu¬
yorker Abendzeitung, von Hermann Raster redigirt. Die übrigen Organe
der deutschen Presse sind: die Neuyvrker Handelszeitung, die Neuyorker Krimi-
nalzeitung, der Geist der Weltliteratur, von Dr. A. Wiesner redigirt, die
Schule des Volkes, die Neuyvrker Jllustrirte Zeitung, eine andere von dem
Amerikaner Leslie Heransgegebene Jllustrirte Zeitung, der Neuyorker Humorist,
die Katholische Kirchenzeitung, die Neuyorker Gewerbezeitung und die vom
Arbeiterbund herausgegebene, von einem Herrn Haerbrendt redigirte Sociale
Republik. Heinzens Pionier scheint von der Bühne verschwunden zu sein,
wenigstens findet er sich in dem uns vvrltegenden Verzeichnis; nicht mit aus¬
geführt.

Im Uebrigen ist die Literatur schwach vertreten. Originalwerke in deut¬
scher Sprache erschienen in Neuyork sehr selten. Freiligrath gab ein Bänd¬
chen Gedichte heraus, Struve eine Weltgeschichte. Sonst scheint die Buch¬
druckerpresse in Goddam, soweit sie das deutsche Element vertritt, sich nur
mit Zeitungen, Etiquetten und — dem Nachdruck deutscher Bücher zu beschäf¬
tigen.

Das deutsche Stadttheater, dessen Eigenthümer und Direktoren die Her¬
ren Hoya und Hauran sind, und dessen Leistungen etwa denen eines von
unsern Theatern dritten Ranges entsprechen, hat 22 männliche und 12 weib¬
liche Mitglieder. Außerdem bestehen drei Gesellschaften, welche kleine Lieb¬
habertheater unterhalten, und von denen der „dramatische Verein Amicitia"
die meisten Mitglieder zählt. Gesangvereine gibt es in Neuyork und den


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[0392] Gesellschaften, Turnvereinen u. s. w, und bei den von diesen veranstalteten Festlichkeiten waltet das süddeutsche Element unverkennbar vor. Die Nord¬ deutschen sind im Allgemeinen ernster, mehr aufs Erwerben und Sparen be¬ dacht, nüchterner und stiller. Die oft sehr lärmende Lustigkeit der Schwaben, ihre Trink-, Sing- und Tanzlust hatte früher für die Angloamerikaner und bis zu einem gewissen Grade auch für die Norddeutschen etwas Abstoßendes, und man sah sie mit Blicken an, die ziemlich viel von einem Ketzerrichter an sich hatten. Jetzt hat sich in dieser Beziehung manches geändert, und man denkt mit mehr weltmännischer Duldsamkeit sogar über die deutsche Art der Sonn¬ tagsfeier, die allerdings das Widerspiel der streng kirchlichen Weise ist. in welcher der Angloamerikaner seinen „Sabbath" feiert. Wir geben jetzt einen kurzen Ueberblick über die Anstalten und Vereine, in denen sich das Leben der ueuyorker Deutschen ausprägt, und beginnen mit den Zeitungen. Deutsche Blätter gab es zu Ende vorigen Jahres in Neuyork 13, worunter 3 täglich erschienen. Das verbreitetste und im allge¬ meinen am besten geschriebene unter den letztern ist die Neuyorker Staatszei¬ tung, deren Hauptrednkteur Oswald Ottendorfer ist. Die beiden andern Tagesblätter sind der Neuyvrker Demokrat, von Wilhelm Kopp, und die Neu¬ yorker Abendzeitung, von Hermann Raster redigirt. Die übrigen Organe der deutschen Presse sind: die Neuyvrker Handelszeitung, die Neuyorker Krimi- nalzeitung, der Geist der Weltliteratur, von Dr. A. Wiesner redigirt, die Schule des Volkes, die Neuyvrker Jllustrirte Zeitung, eine andere von dem Amerikaner Leslie Heransgegebene Jllustrirte Zeitung, der Neuyorker Humorist, die Katholische Kirchenzeitung, die Neuyorker Gewerbezeitung und die vom Arbeiterbund herausgegebene, von einem Herrn Haerbrendt redigirte Sociale Republik. Heinzens Pionier scheint von der Bühne verschwunden zu sein, wenigstens findet er sich in dem uns vvrltegenden Verzeichnis; nicht mit aus¬ geführt. Im Uebrigen ist die Literatur schwach vertreten. Originalwerke in deut¬ scher Sprache erschienen in Neuyork sehr selten. Freiligrath gab ein Bänd¬ chen Gedichte heraus, Struve eine Weltgeschichte. Sonst scheint die Buch¬ druckerpresse in Goddam, soweit sie das deutsche Element vertritt, sich nur mit Zeitungen, Etiquetten und — dem Nachdruck deutscher Bücher zu beschäf¬ tigen. Das deutsche Stadttheater, dessen Eigenthümer und Direktoren die Her¬ ren Hoya und Hauran sind, und dessen Leistungen etwa denen eines von unsern Theatern dritten Ranges entsprechen, hat 22 männliche und 12 weib¬ liche Mitglieder. Außerdem bestehen drei Gesellschaften, welche kleine Lieb¬ habertheater unterhalten, und von denen der „dramatische Verein Amicitia" die meisten Mitglieder zählt. Gesangvereine gibt es in Neuyork und den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/392>, abgerufen am 23.07.2024.