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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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hinziehenden gehören. Allein die Zahl solcher Striche vermindert sich von Jahr
zu Jahr mehr. Die drei großen Durchfahrten in dem erwähnten Stadttheil:
Bowery, Grandstreet und Houstonstreet enthalten Hunderte von kleinen Ge¬
schäften, in denen Deutsch gesprochen wird.

Man kann nicht behaupten, daß diese Quartiere zu den stattlichsten und
saubersten von Neuyork gehören. Besonders die nördliche Hälfte derselben,
die den Namen "Klcindeutschland" führt, hat eher das Gegentheil dieser
Eigenschaften. Die Mehrzahl der Straßen bietet hier einen wenig behaglichen,
thcrlweise sogar einen ärmlichen Anblick, und der Strich ostwärts von der
Avenue ^. unterscheidet sich in dieser Hinsicht kaum von dem Viertel, wo die
Söhne und Töchter der Smaragdinsel mit ihrem Schmuz und ihrer Liederlichfeit
hausen. Indeß wohnt hier die ärmste Classe der neuyorker Deutschen, die vom küm¬
merlichsten Erwerb, als Lumpensammler u. s. w. leben und in kasernenartigen
Gebäuden so eng zusammen hocken, daß die Ausübung der Tugend der Rein¬
lichkeit mindestens große Schwierigkeit hat, wo nicht eine Unmöglichkeit ist.

Da die wohlhabenderen und gebildeteren Deutschen, vorzüglich die großen
Kaufleute und Bankiers, nicht in einer bestimmten Gegend, sondern in den
nngloamerikanischen Stadttheilen zerstreut, zum Theil sogar in Brooklyn, Jer¬
sey-City, Hoboken, Skalen Island u. s. w. wohnen, und überdieß ihr
Deutschthum zwar nicht verleugnen, aber doch wenig hervortreten lassen; so
ist es nicht zu verwundern, daß die Angloamerikaner die Lorstellungen, die sie sich
von den Deutschen im Allgemeinen machen, von dem Charakter jener östlichen
Stadttheile hernehmen, daß sie, abgesehen von weniger erfreulichen und ehren¬
den Meinungen, der Ansicht sind, die deutsche Bevölkerung ihrer Stadt um¬
fasse sast ausschließlich kleine Handwerker, Krämer, Schenkwirthe und Tage¬
arbeiter. In der Wirklichkeit ist dieß keineswegs der Fall, vielmehr begegnet
man in den untern alten Stadttheilen, wo, wie in der Beaver-, der Williams-,
der Front-" Cedar- und Courtlandstreet, der Großhandel und, wie in der Wall¬
street, das Geldgeschäft seine Comptoirs, Speicher und Keller hat, durch¬
schnittlich fast in jedem dritten Hause einer deutschen Firma. Nur im Bereich
der großen Fabriken sowie im Gebiet der Rhederei sind die Deutschen ver¬
hältnißmäßig schwach vertreten, im Großhandel dagegen relativ mindestens
ebenso stark, im Detailgeschäft vielleicht stärker als die Angloamerikaner.

So weit das gesellige Leben der neuyorker Deutschen an die Öffentlich¬
keit tritt, hat es ein sehr entschieden süddeutsches Gepräge. Die größere
Lebendigkeit und Mitteilsamkeit und die stärkere Neigung zu Vergnügungen,
welche die Schwaben kennzeichnen, treten allenthalben deutlich hervor, und der
Hang nach Lebensgenuß offenbart sich namentlich in der Zahl der Bier- und
Weinsäufer und ähnlicher Anstalten, die in der That außerordentlich groß
ist. Auch in den vielen geselligen Vereinen, Singkrünzchen, Liebhavertheater-


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hinziehenden gehören. Allein die Zahl solcher Striche vermindert sich von Jahr
zu Jahr mehr. Die drei großen Durchfahrten in dem erwähnten Stadttheil:
Bowery, Grandstreet und Houstonstreet enthalten Hunderte von kleinen Ge¬
schäften, in denen Deutsch gesprochen wird.

Man kann nicht behaupten, daß diese Quartiere zu den stattlichsten und
saubersten von Neuyork gehören. Besonders die nördliche Hälfte derselben,
die den Namen „Klcindeutschland" führt, hat eher das Gegentheil dieser
Eigenschaften. Die Mehrzahl der Straßen bietet hier einen wenig behaglichen,
thcrlweise sogar einen ärmlichen Anblick, und der Strich ostwärts von der
Avenue ^. unterscheidet sich in dieser Hinsicht kaum von dem Viertel, wo die
Söhne und Töchter der Smaragdinsel mit ihrem Schmuz und ihrer Liederlichfeit
hausen. Indeß wohnt hier die ärmste Classe der neuyorker Deutschen, die vom küm¬
merlichsten Erwerb, als Lumpensammler u. s. w. leben und in kasernenartigen
Gebäuden so eng zusammen hocken, daß die Ausübung der Tugend der Rein¬
lichkeit mindestens große Schwierigkeit hat, wo nicht eine Unmöglichkeit ist.

Da die wohlhabenderen und gebildeteren Deutschen, vorzüglich die großen
Kaufleute und Bankiers, nicht in einer bestimmten Gegend, sondern in den
nngloamerikanischen Stadttheilen zerstreut, zum Theil sogar in Brooklyn, Jer¬
sey-City, Hoboken, Skalen Island u. s. w. wohnen, und überdieß ihr
Deutschthum zwar nicht verleugnen, aber doch wenig hervortreten lassen; so
ist es nicht zu verwundern, daß die Angloamerikaner die Lorstellungen, die sie sich
von den Deutschen im Allgemeinen machen, von dem Charakter jener östlichen
Stadttheile hernehmen, daß sie, abgesehen von weniger erfreulichen und ehren¬
den Meinungen, der Ansicht sind, die deutsche Bevölkerung ihrer Stadt um¬
fasse sast ausschließlich kleine Handwerker, Krämer, Schenkwirthe und Tage¬
arbeiter. In der Wirklichkeit ist dieß keineswegs der Fall, vielmehr begegnet
man in den untern alten Stadttheilen, wo, wie in der Beaver-, der Williams-,
der Front-» Cedar- und Courtlandstreet, der Großhandel und, wie in der Wall¬
street, das Geldgeschäft seine Comptoirs, Speicher und Keller hat, durch¬
schnittlich fast in jedem dritten Hause einer deutschen Firma. Nur im Bereich
der großen Fabriken sowie im Gebiet der Rhederei sind die Deutschen ver¬
hältnißmäßig schwach vertreten, im Großhandel dagegen relativ mindestens
ebenso stark, im Detailgeschäft vielleicht stärker als die Angloamerikaner.

So weit das gesellige Leben der neuyorker Deutschen an die Öffentlich¬
keit tritt, hat es ein sehr entschieden süddeutsches Gepräge. Die größere
Lebendigkeit und Mitteilsamkeit und die stärkere Neigung zu Vergnügungen,
welche die Schwaben kennzeichnen, treten allenthalben deutlich hervor, und der
Hang nach Lebensgenuß offenbart sich namentlich in der Zahl der Bier- und
Weinsäufer und ähnlicher Anstalten, die in der That außerordentlich groß
ist. Auch in den vielen geselligen Vereinen, Singkrünzchen, Liebhavertheater-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/391>, abgerufen am 23.07.2024.