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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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wie eine eign"? Stadt. Dies ist nicht einmal möglich. Wenn nichts anderes,
so mühte es schon die Stammesverschiedenheit der Deutschen verhindern, die
zwar das Zusammenkommen gelegentlicher allgemein deutscher Kundgebungen
wie etwa das Schillerfest nicht ausschließt, aber im gewöhnlichen Alltagsleben
eine Anzahl ziemlich streng voneinander geschiedener Gruppen erzeugt, welche
sich fast so fremd gegenüberstehen wie dem Amcrikanerthum. Diese Stammes-
unterschiede kommen, wie leicht erklärlich, hier deutlicher zum Bewußtsein als
in der Heimat. Besonders schroff, oft feindlich treten sich die Plattdeutschen
und die Schwaben gegenüber. Unter letzterer Bezeichnung begreift der nord¬
deutsche in der Regel alle Süddeutschen, d. h. so ziemlich alles, was südlich
von der Mainlinie seinen Geburtsort hat. Zu dem Unterschied der Sprache
und Lebensart-tritt bei diesen Hauptgruppen noch die Verschiedenheit der Con-
fession; denn unter den Platt- oder Norddeutschen ist das protestantische Ele¬
ment überwiegend, während unter den Süddeutschen das katholische stärker
vertreten ist. Ferner mag als Regel gelten, daß unter den Norddeutschen
mehr Repräsentanten der gebildeten Classen find, als unter den Schwaben.
Die nngcsehneren deutscheu Kaufleute Neuyorks sind der großen Mehrzahl nach
Hamburger, Bremer und andere norddeutsche, dagegen gehört die Majorität
der Handwerker und Arbeiter ihrer Abkunft nach süddeutschen Ländern an.
Jene schließen sich in Sprache und Sitte den Angloamerikanern mit größerer
Leichtigkeit an. Den Süddeutschen "nacht ihr Dialect bei Erlernung der eng¬
lischen Sprache mehr Schwierigkeiten, und ebenso stehen ihre Lebensgewohn-
heiten und ihr ganzes Dichten und Trachten, namentlich ihr leichterer Sum,
dem anglvamerikanischen Wesen ferner als die Alt der Norddeutschen. Ein
beachtenswerther Theil der deutschen Bevölkerung von Neuyork sind die Juden.
Sie betheiligen sich sehr lebhaft an den gemeinsamen Bestrebungen der dor¬
tigen Deutschen, und es ist z. B. eine bekannte Thatsache, daß ohne ihre
Gönnerschaft sich vis auf den heutigen Tag kein deutsches Theater dort zu
halten vermocht hätte.

Abgesehen von den Groccrs, d. h. den Krämer" und Bictualienhändlern,
die zu mehr als neun Zehntheilen aus Plattdeutschen bestehen, und die über
die ganze Stadt zerstreut wohnen, sind die genannten Hauptgruppen der deut¬
schen Einwohner Neuyorks auch räumlich ziemlich scharf von einander geschie¬
den. Die Süddeutschen haben sich größtentheils in den östlichen Quartieren,
die von der Bowery im Westen, der Divisionstreet im Süden, dem Eastriver
im Osten und der zehnten Straße im Norden begrenzt werden, niedergelassen.
Auf dieser weiten Fläche trifft man allerdings eine Anzahl fast ausschließlich
von Angloamerikanern und Jrländern besetzte Straßen, wohin z. B. alle nörd¬
lich von der Hvustoustreet, zwischen der Bowery und der ersten Avenue hin¬
laufenden, einige Theile der Rivingtonstrect und mehre der am Eastriver sich


wie eine eign«? Stadt. Dies ist nicht einmal möglich. Wenn nichts anderes,
so mühte es schon die Stammesverschiedenheit der Deutschen verhindern, die
zwar das Zusammenkommen gelegentlicher allgemein deutscher Kundgebungen
wie etwa das Schillerfest nicht ausschließt, aber im gewöhnlichen Alltagsleben
eine Anzahl ziemlich streng voneinander geschiedener Gruppen erzeugt, welche
sich fast so fremd gegenüberstehen wie dem Amcrikanerthum. Diese Stammes-
unterschiede kommen, wie leicht erklärlich, hier deutlicher zum Bewußtsein als
in der Heimat. Besonders schroff, oft feindlich treten sich die Plattdeutschen
und die Schwaben gegenüber. Unter letzterer Bezeichnung begreift der nord¬
deutsche in der Regel alle Süddeutschen, d. h. so ziemlich alles, was südlich
von der Mainlinie seinen Geburtsort hat. Zu dem Unterschied der Sprache
und Lebensart-tritt bei diesen Hauptgruppen noch die Verschiedenheit der Con-
fession; denn unter den Platt- oder Norddeutschen ist das protestantische Ele¬
ment überwiegend, während unter den Süddeutschen das katholische stärker
vertreten ist. Ferner mag als Regel gelten, daß unter den Norddeutschen
mehr Repräsentanten der gebildeten Classen find, als unter den Schwaben.
Die nngcsehneren deutscheu Kaufleute Neuyorks sind der großen Mehrzahl nach
Hamburger, Bremer und andere norddeutsche, dagegen gehört die Majorität
der Handwerker und Arbeiter ihrer Abkunft nach süddeutschen Ländern an.
Jene schließen sich in Sprache und Sitte den Angloamerikanern mit größerer
Leichtigkeit an. Den Süddeutschen »nacht ihr Dialect bei Erlernung der eng¬
lischen Sprache mehr Schwierigkeiten, und ebenso stehen ihre Lebensgewohn-
heiten und ihr ganzes Dichten und Trachten, namentlich ihr leichterer Sum,
dem anglvamerikanischen Wesen ferner als die Alt der Norddeutschen. Ein
beachtenswerther Theil der deutschen Bevölkerung von Neuyork sind die Juden.
Sie betheiligen sich sehr lebhaft an den gemeinsamen Bestrebungen der dor¬
tigen Deutschen, und es ist z. B. eine bekannte Thatsache, daß ohne ihre
Gönnerschaft sich vis auf den heutigen Tag kein deutsches Theater dort zu
halten vermocht hätte.

Abgesehen von den Groccrs, d. h. den Krämer» und Bictualienhändlern,
die zu mehr als neun Zehntheilen aus Plattdeutschen bestehen, und die über
die ganze Stadt zerstreut wohnen, sind die genannten Hauptgruppen der deut¬
schen Einwohner Neuyorks auch räumlich ziemlich scharf von einander geschie¬
den. Die Süddeutschen haben sich größtentheils in den östlichen Quartieren,
die von der Bowery im Westen, der Divisionstreet im Süden, dem Eastriver
im Osten und der zehnten Straße im Norden begrenzt werden, niedergelassen.
Auf dieser weiten Fläche trifft man allerdings eine Anzahl fast ausschließlich
von Angloamerikanern und Jrländern besetzte Straßen, wohin z. B. alle nörd¬
lich von der Hvustoustreet, zwischen der Bowery und der ersten Avenue hin¬
laufenden, einige Theile der Rivingtonstrect und mehre der am Eastriver sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/390>, abgerufen am 23.07.2024.