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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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uung besser beim Anschluß an das Amerikanerthum als durch Abschliehung
von demselben, Viele haben die Heimat mit Haß gegen dieselbe verlassen,
die meisten wußten, als sie sich in die neue Welt einschifften, nur von Kur¬
hessen, Würtemberg, Hannover oder irgend einem andern "engern Vaterland",
nichts oder sehr wenig von Deutschland; es ist eine ungerechtfertigte Zumu-
thung, wenn sie mit der Erinnerung an, enge kleinliche Verhältnisse im Herzen
diese Erinnerung mit dem trotz aller Mängel immherhin großartigen Getriebe
des staatlichen und socialen Lebens Amerikas zusammenhalten und jener den
Vorzug geben sollen. Bei einem solchen Vergleich wird sich in der Hauptsache
bei Ungebildeten nur eins zu Gunsten der verlassenen alten Zustände heraus¬
stellen. Es lebte sich "gemüthlicher" in Deutschland. Und so reducirt sich
das Streben, sein Deutschthum geltend zu machen, bei den Meisten eben auf
Wiederherstellung dieser Gemüthlichkeit in der ungemüthlichen neuen Heimat.
Was von Einzelnen oder dem einen und dem andern Kreise darüber hinaus
versucht worden ist, schwebt bis jetzt fast ganz in der Luft, ist Traum und
Phantasie. Nur wo Beeinträchtigung der Gemüthlichkeit durch die Amerikaner
drohte, wie etwa durch das Liquor^Law, oder wo es eine Gesetzgebung abzu¬
wehren galt, die materielle Verluste in Aussicht stellte, wie bei der Agitation
der Knownothings, gelang es, einen Theil der Masse zu einiger Energie an¬
zustacheln.

Daß die Masse der Deutschen eine imponirende ist, daß sie einen guten
Theil des amerikanischen Capitals an Geld- und Arbeitskräften repräsentirt,
kann nicht in Abrede gestellt werden. Je mächtiger sie aber nach dieser Seite
hin erscheint, desto mehr macht sie nach der andern den Eindruck der Ohnmacht,
und beide Seiten zusammen geben das Bild eines schwachen, mindestens un¬
beholfenen und unschlüssiger Riesen, womit sie der Komik verfallen. Wenn
wir in den Zeitungen bisweilen Berichte lesen, die dem widersprechen, so
rühren dieselben von Leuten her, welchen die Fähigkeit zu vergleichen abhan¬
den gekommen ist, oder von solchen, welche die Dinge schon so sehen wie sie
sein sollten. Wenn das Werk den Meister nicht lob!, muß der Meister das
Werk loben.

Dennoch ist es von Interesse, einen Blick auf das Leben der amerikanischen
Deutschen zu werfen, und so mögen die nachstehenden Notizen über die Ver-
theilung unsrer Landsleute in Neuyork und deren sonstige Lebensverhältnisse
willkommen sein.

Man bezeichnet Neuyork zuweilen als die drittgrößte deutsche Stadt, da
nur Wien und Berlin von mehr Deutschen bewohnt sind. Der Ausdruck hat
indeß nur geringe Berechtigung; denn wenn tue Annahme, nach welcher in
der Manhattanstadt mehr als 140,000 Deutsche wohnen, auch keine übertriebene
sein sollte, so bilden dieselben doch keine geschlossene, einheitliche Gemeinschaft


Grenzboten I, 1860, , 48

uung besser beim Anschluß an das Amerikanerthum als durch Abschliehung
von demselben, Viele haben die Heimat mit Haß gegen dieselbe verlassen,
die meisten wußten, als sie sich in die neue Welt einschifften, nur von Kur¬
hessen, Würtemberg, Hannover oder irgend einem andern „engern Vaterland",
nichts oder sehr wenig von Deutschland; es ist eine ungerechtfertigte Zumu-
thung, wenn sie mit der Erinnerung an, enge kleinliche Verhältnisse im Herzen
diese Erinnerung mit dem trotz aller Mängel immherhin großartigen Getriebe
des staatlichen und socialen Lebens Amerikas zusammenhalten und jener den
Vorzug geben sollen. Bei einem solchen Vergleich wird sich in der Hauptsache
bei Ungebildeten nur eins zu Gunsten der verlassenen alten Zustände heraus¬
stellen. Es lebte sich „gemüthlicher" in Deutschland. Und so reducirt sich
das Streben, sein Deutschthum geltend zu machen, bei den Meisten eben auf
Wiederherstellung dieser Gemüthlichkeit in der ungemüthlichen neuen Heimat.
Was von Einzelnen oder dem einen und dem andern Kreise darüber hinaus
versucht worden ist, schwebt bis jetzt fast ganz in der Luft, ist Traum und
Phantasie. Nur wo Beeinträchtigung der Gemüthlichkeit durch die Amerikaner
drohte, wie etwa durch das Liquor^Law, oder wo es eine Gesetzgebung abzu¬
wehren galt, die materielle Verluste in Aussicht stellte, wie bei der Agitation
der Knownothings, gelang es, einen Theil der Masse zu einiger Energie an¬
zustacheln.

Daß die Masse der Deutschen eine imponirende ist, daß sie einen guten
Theil des amerikanischen Capitals an Geld- und Arbeitskräften repräsentirt,
kann nicht in Abrede gestellt werden. Je mächtiger sie aber nach dieser Seite
hin erscheint, desto mehr macht sie nach der andern den Eindruck der Ohnmacht,
und beide Seiten zusammen geben das Bild eines schwachen, mindestens un¬
beholfenen und unschlüssiger Riesen, womit sie der Komik verfallen. Wenn
wir in den Zeitungen bisweilen Berichte lesen, die dem widersprechen, so
rühren dieselben von Leuten her, welchen die Fähigkeit zu vergleichen abhan¬
den gekommen ist, oder von solchen, welche die Dinge schon so sehen wie sie
sein sollten. Wenn das Werk den Meister nicht lob!, muß der Meister das
Werk loben.

Dennoch ist es von Interesse, einen Blick auf das Leben der amerikanischen
Deutschen zu werfen, und so mögen die nachstehenden Notizen über die Ver-
theilung unsrer Landsleute in Neuyork und deren sonstige Lebensverhältnisse
willkommen sein.

Man bezeichnet Neuyork zuweilen als die drittgrößte deutsche Stadt, da
nur Wien und Berlin von mehr Deutschen bewohnt sind. Der Ausdruck hat
indeß nur geringe Berechtigung; denn wenn tue Annahme, nach welcher in
der Manhattanstadt mehr als 140,000 Deutsche wohnen, auch keine übertriebene
sein sollte, so bilden dieselben doch keine geschlossene, einheitliche Gemeinschaft


Grenzboten I, 1860, , 48
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[0389] uung besser beim Anschluß an das Amerikanerthum als durch Abschliehung von demselben, Viele haben die Heimat mit Haß gegen dieselbe verlassen, die meisten wußten, als sie sich in die neue Welt einschifften, nur von Kur¬ hessen, Würtemberg, Hannover oder irgend einem andern „engern Vaterland", nichts oder sehr wenig von Deutschland; es ist eine ungerechtfertigte Zumu- thung, wenn sie mit der Erinnerung an, enge kleinliche Verhältnisse im Herzen diese Erinnerung mit dem trotz aller Mängel immherhin großartigen Getriebe des staatlichen und socialen Lebens Amerikas zusammenhalten und jener den Vorzug geben sollen. Bei einem solchen Vergleich wird sich in der Hauptsache bei Ungebildeten nur eins zu Gunsten der verlassenen alten Zustände heraus¬ stellen. Es lebte sich „gemüthlicher" in Deutschland. Und so reducirt sich das Streben, sein Deutschthum geltend zu machen, bei den Meisten eben auf Wiederherstellung dieser Gemüthlichkeit in der ungemüthlichen neuen Heimat. Was von Einzelnen oder dem einen und dem andern Kreise darüber hinaus versucht worden ist, schwebt bis jetzt fast ganz in der Luft, ist Traum und Phantasie. Nur wo Beeinträchtigung der Gemüthlichkeit durch die Amerikaner drohte, wie etwa durch das Liquor^Law, oder wo es eine Gesetzgebung abzu¬ wehren galt, die materielle Verluste in Aussicht stellte, wie bei der Agitation der Knownothings, gelang es, einen Theil der Masse zu einiger Energie an¬ zustacheln. Daß die Masse der Deutschen eine imponirende ist, daß sie einen guten Theil des amerikanischen Capitals an Geld- und Arbeitskräften repräsentirt, kann nicht in Abrede gestellt werden. Je mächtiger sie aber nach dieser Seite hin erscheint, desto mehr macht sie nach der andern den Eindruck der Ohnmacht, und beide Seiten zusammen geben das Bild eines schwachen, mindestens un¬ beholfenen und unschlüssiger Riesen, womit sie der Komik verfallen. Wenn wir in den Zeitungen bisweilen Berichte lesen, die dem widersprechen, so rühren dieselben von Leuten her, welchen die Fähigkeit zu vergleichen abhan¬ den gekommen ist, oder von solchen, welche die Dinge schon so sehen wie sie sein sollten. Wenn das Werk den Meister nicht lob!, muß der Meister das Werk loben. Dennoch ist es von Interesse, einen Blick auf das Leben der amerikanischen Deutschen zu werfen, und so mögen die nachstehenden Notizen über die Ver- theilung unsrer Landsleute in Neuyork und deren sonstige Lebensverhältnisse willkommen sein. Man bezeichnet Neuyork zuweilen als die drittgrößte deutsche Stadt, da nur Wien und Berlin von mehr Deutschen bewohnt sind. Der Ausdruck hat indeß nur geringe Berechtigung; denn wenn tue Annahme, nach welcher in der Manhattanstadt mehr als 140,000 Deutsche wohnen, auch keine übertriebene sein sollte, so bilden dieselben doch keine geschlossene, einheitliche Gemeinschaft Grenzboten I, 1860, , 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/389>, abgerufen am 23.07.2024.