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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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für das. was es wollte, warm zu machen. Das ist aber nicht blos wün¬
schenswert!), sondern nothwendig, wenn sich das Volk zu. großen Opfern ent¬
schließen soll.

Eine ungeheure Veränderung des europäischen Völkerrechts hat statt ge¬
sunden ohne irgend eine Betheiligung Preußens, und ohne daß Preußen aus
seiner Stellung den geringsten Nutzen gezogen hätte. Seitdem der Antrag
von Du Cane mit einer so ungeheuren Majorität verworfen ist. steht in
unsern Augen das englisch-französische Bündniß fest, d. h. es steht fest, daß
sich Napoleon die Einverleibung Mittelitalicns in Sardinien, daß sich England
die Einverleibung Savoyens in Frankreich gefallen läßt. Das erste ist ein
sehr wünschenswertes, das zweite ein sehr trauriges, ein sehr Gefahr dro¬
hendes Ereigniß. Was hat nun Preußen durch sein Schweigen erreicht? Es
hat nicht einmal die günstige Conjunctur benutzt, Frankreich zu bestimmen,
seinerseits die Regulirung der Schleswig-Holsteinischen Angelegenheiten zuzu¬
lassen. Jetzt liest man in den Zeitungen, daß es ebenso wie Rußland, nur
etwas leiser, das Prinzip der Legitimität wieder aufs Tapet bringt, auch wie¬
der den Wunsch nach einem Congreß ausspricht. Vor drei Monaten war das
vielleicht eine nicht wünschenswerthe, aber durchführbare Politik, was es aber
jetzt heißen soll, das ist dem Uneingeweihten vollkommen unverständlich. Und,
wohl gemerkt! die preußische Politik ist jetzt in der Lage, durch Verständlichkeit
alles zu gewinnen, durch UnVerständlichkeit alles einzubüßen. Preußen ist ein
sehr mächtiger Staat, wenn es den Geist seines Volks für sich erweckt, es ist
von allen Staaten der ohnmächtigste, wenn dies ihm nicht gelingt.

Wie steht es jetzt eigentlich zu Oestreich? wie steht es zu Deutschland? --
Es wird gemeldet, daß der Bundestag nachträglich Preußens Antrag in Be¬
zug auf die Bundeskricgsverfassung angenommen d. h. daß er beschlossen
habe, auch die organischen Paragraphen des Statuts in Betracht zu ziehen.
Schon dies formelle Zugeständniß zeigt augenscheinlich, daß man aus jener
Seite das Gefühl hat, Preußens zu bedürfen. Es zeigt aber noch lange
nicht, daß man materielle Zugeständnisse zu machen gedenkt: denn was sich
als Resultat jener Inbetrachtnahme herausstellen wird, darüber weiß man
nichts. Ueber die hessische Frage ist alles still, und was Schleswig-Holstein
betrifft, so beschließt der Bundestag in dem Augenblick, wo die dänische Re¬
ierung, die Regierung eines ganz zerrütteten Staats, an Unverschämtheit
alles überbietet was sie bisher gethan, in einem Augenblick, wo sie die deut¬
schen Herzogthümer geradeso als eroberte Provinzen behandelt, wie Kaiser
Nikolaus die Polen Is32 -- beschließt der Bundestag, in Erwartung von
diesem und jenem die Execution wieder zu vertagen! -- Ist das eine Politik,
für die man jährlich 11 -- 12 Millionen mehr ausgeben, für die man die
Blüthe des männlichen Alters ins Militär stecken darf?


für das. was es wollte, warm zu machen. Das ist aber nicht blos wün¬
schenswert!), sondern nothwendig, wenn sich das Volk zu. großen Opfern ent¬
schließen soll.

Eine ungeheure Veränderung des europäischen Völkerrechts hat statt ge¬
sunden ohne irgend eine Betheiligung Preußens, und ohne daß Preußen aus
seiner Stellung den geringsten Nutzen gezogen hätte. Seitdem der Antrag
von Du Cane mit einer so ungeheuren Majorität verworfen ist. steht in
unsern Augen das englisch-französische Bündniß fest, d. h. es steht fest, daß
sich Napoleon die Einverleibung Mittelitalicns in Sardinien, daß sich England
die Einverleibung Savoyens in Frankreich gefallen läßt. Das erste ist ein
sehr wünschenswertes, das zweite ein sehr trauriges, ein sehr Gefahr dro¬
hendes Ereigniß. Was hat nun Preußen durch sein Schweigen erreicht? Es
hat nicht einmal die günstige Conjunctur benutzt, Frankreich zu bestimmen,
seinerseits die Regulirung der Schleswig-Holsteinischen Angelegenheiten zuzu¬
lassen. Jetzt liest man in den Zeitungen, daß es ebenso wie Rußland, nur
etwas leiser, das Prinzip der Legitimität wieder aufs Tapet bringt, auch wie¬
der den Wunsch nach einem Congreß ausspricht. Vor drei Monaten war das
vielleicht eine nicht wünschenswerthe, aber durchführbare Politik, was es aber
jetzt heißen soll, das ist dem Uneingeweihten vollkommen unverständlich. Und,
wohl gemerkt! die preußische Politik ist jetzt in der Lage, durch Verständlichkeit
alles zu gewinnen, durch UnVerständlichkeit alles einzubüßen. Preußen ist ein
sehr mächtiger Staat, wenn es den Geist seines Volks für sich erweckt, es ist
von allen Staaten der ohnmächtigste, wenn dies ihm nicht gelingt.

Wie steht es jetzt eigentlich zu Oestreich? wie steht es zu Deutschland? —
Es wird gemeldet, daß der Bundestag nachträglich Preußens Antrag in Be¬
zug auf die Bundeskricgsverfassung angenommen d. h. daß er beschlossen
habe, auch die organischen Paragraphen des Statuts in Betracht zu ziehen.
Schon dies formelle Zugeständniß zeigt augenscheinlich, daß man aus jener
Seite das Gefühl hat, Preußens zu bedürfen. Es zeigt aber noch lange
nicht, daß man materielle Zugeständnisse zu machen gedenkt: denn was sich
als Resultat jener Inbetrachtnahme herausstellen wird, darüber weiß man
nichts. Ueber die hessische Frage ist alles still, und was Schleswig-Holstein
betrifft, so beschließt der Bundestag in dem Augenblick, wo die dänische Re¬
ierung, die Regierung eines ganz zerrütteten Staats, an Unverschämtheit
alles überbietet was sie bisher gethan, in einem Augenblick, wo sie die deut¬
schen Herzogthümer geradeso als eroberte Provinzen behandelt, wie Kaiser
Nikolaus die Polen Is32 — beschließt der Bundestag, in Erwartung von
diesem und jenem die Execution wieder zu vertagen! — Ist das eine Politik,
für die man jährlich 11 — 12 Millionen mehr ausgeben, für die man die
Blüthe des männlichen Alters ins Militär stecken darf?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/380>, abgerufen am 23.07.2024.