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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Guß, wo ein Entschluß, der alle Theilhandlungen beherrscht, ihm ent¬
gegentritt."

Ebenso nach der andern Seite. "Falls die Bundesmajorität so hart
bleibt, wie bisher die Feudalen in unserm Lande, was wird die Regierung
thun? Wird sie sagen: Preußen hat seinen moralischen Willen bewiesen,
und damit geleistet, was es konnte? oder wird sie sich entschlossen auf das
Völkerrecht berufen, das ihr gestattet, an ihrer Grenze keine Zustünde zu dul¬
den, welche den Keim zu Unruhen in sich tragen? Zwischen einer Großmacht
und einer Privatperson ist, wie bekannt, ein Unterschied; diese darf sich auf
ihre Gesinnung berufen, jene kann ohne Beschädigung ihres Ansehens nicht
öffentlich einen Willen proclamiren, der nicht zur That wird."

So weit unsere Flugschrift; suchen wir diese allgemeinen Sätze kurz auf
die wichtigsten der schwebenden Fragen anzuwenden. Diese Anwendung ist
um so nothwendiger, da jetzt dem preußischen Landtag nicht blos die größte
Frage vorliegt, über die er seit seinem Bestehen zu entscheiden gehabt, son¬
dern eine Frage, die in ihrem Einfluß auf das gesammte Volksleben weit
durchgreifender ist, als die Einführung der constitutionellen Verfassung selbst.

Würden wir bei diesem Entwurf einer neuen Militärordnung nur die
eine Seite ins Auge fassen, die Bedeutung für die militärische Ausbildung
des Volks und- die Beziehung zum bürgerlichen Leben, so würden wir es ent¬
schieden für die Pflicht des Landtags halten, die Vorlage zu verwerfen. Es
ist gesagt worden, daß Preußen moralische Eroberungen in Deutschland ma¬
chen soll: das kann doch nichts anders heißen, als daß die Angehörigen der
übrigen deutschen Staaten Preußen beneiden und den Wunsch hegen sollen,
gleichfalls Preußen zu werden. Geht aber diese Vorlage durch und wird
im übrigen nichts geändert, so wird die Sache sich anders stellen: je¬
der Deutsche wird sich glücklich preisen, nicht in Preußen geboren zu sein,
und jeder Preuße wird die übrigen Deutschen beneiden.

An sich ist das Prinzip, von welchem der gegenwärtige Gesetzentwurf so
wie der des General Bonin ausgeht, vollkommen zu billigen. Die allgemeine
Wehrpflicht bestand bis jetzt mehr dem Namen als der Sache nach. Es mußte
art derselben Ernst gemacht werden; jeder Staatsbürger, der nicht verkrüppelt
ist, mußte seine Wehrpflicht leisten. Allgemein aber hatte man angenommen,
daß mit dieser Verallgemeinerung der Dienstpflicht eine Herabsetzung der
Dienstzeit auf höchstens zwei Jahre verbunden sein würde. Statt dessen setzt
der Entwurf die Zeit nicht blos auf drei Jahre fest, sondern er verwandelt
den bisherigen Landwehrmann der folgenden fünf Jahre in einen Kriegsre¬
servisten, d. h. er stellt ihn unter das Militärgesetz. Der junge Lieutnant. ist
also ins künftige der Vorgesetzte des Assessors, des Kreisrichters, und muß von
ihm salutirt werden. Wie weit das nun praktisch festzustellen sein wird, daraus


Guß, wo ein Entschluß, der alle Theilhandlungen beherrscht, ihm ent¬
gegentritt."

Ebenso nach der andern Seite. „Falls die Bundesmajorität so hart
bleibt, wie bisher die Feudalen in unserm Lande, was wird die Regierung
thun? Wird sie sagen: Preußen hat seinen moralischen Willen bewiesen,
und damit geleistet, was es konnte? oder wird sie sich entschlossen auf das
Völkerrecht berufen, das ihr gestattet, an ihrer Grenze keine Zustünde zu dul¬
den, welche den Keim zu Unruhen in sich tragen? Zwischen einer Großmacht
und einer Privatperson ist, wie bekannt, ein Unterschied; diese darf sich auf
ihre Gesinnung berufen, jene kann ohne Beschädigung ihres Ansehens nicht
öffentlich einen Willen proclamiren, der nicht zur That wird."

So weit unsere Flugschrift; suchen wir diese allgemeinen Sätze kurz auf
die wichtigsten der schwebenden Fragen anzuwenden. Diese Anwendung ist
um so nothwendiger, da jetzt dem preußischen Landtag nicht blos die größte
Frage vorliegt, über die er seit seinem Bestehen zu entscheiden gehabt, son¬
dern eine Frage, die in ihrem Einfluß auf das gesammte Volksleben weit
durchgreifender ist, als die Einführung der constitutionellen Verfassung selbst.

Würden wir bei diesem Entwurf einer neuen Militärordnung nur die
eine Seite ins Auge fassen, die Bedeutung für die militärische Ausbildung
des Volks und- die Beziehung zum bürgerlichen Leben, so würden wir es ent¬
schieden für die Pflicht des Landtags halten, die Vorlage zu verwerfen. Es
ist gesagt worden, daß Preußen moralische Eroberungen in Deutschland ma¬
chen soll: das kann doch nichts anders heißen, als daß die Angehörigen der
übrigen deutschen Staaten Preußen beneiden und den Wunsch hegen sollen,
gleichfalls Preußen zu werden. Geht aber diese Vorlage durch und wird
im übrigen nichts geändert, so wird die Sache sich anders stellen: je¬
der Deutsche wird sich glücklich preisen, nicht in Preußen geboren zu sein,
und jeder Preuße wird die übrigen Deutschen beneiden.

An sich ist das Prinzip, von welchem der gegenwärtige Gesetzentwurf so
wie der des General Bonin ausgeht, vollkommen zu billigen. Die allgemeine
Wehrpflicht bestand bis jetzt mehr dem Namen als der Sache nach. Es mußte
art derselben Ernst gemacht werden; jeder Staatsbürger, der nicht verkrüppelt
ist, mußte seine Wehrpflicht leisten. Allgemein aber hatte man angenommen,
daß mit dieser Verallgemeinerung der Dienstpflicht eine Herabsetzung der
Dienstzeit auf höchstens zwei Jahre verbunden sein würde. Statt dessen setzt
der Entwurf die Zeit nicht blos auf drei Jahre fest, sondern er verwandelt
den bisherigen Landwehrmann der folgenden fünf Jahre in einen Kriegsre¬
servisten, d. h. er stellt ihn unter das Militärgesetz. Der junge Lieutnant. ist
also ins künftige der Vorgesetzte des Assessors, des Kreisrichters, und muß von
ihm salutirt werden. Wie weit das nun praktisch festzustellen sein wird, daraus


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[0378] Guß, wo ein Entschluß, der alle Theilhandlungen beherrscht, ihm ent¬ gegentritt." Ebenso nach der andern Seite. „Falls die Bundesmajorität so hart bleibt, wie bisher die Feudalen in unserm Lande, was wird die Regierung thun? Wird sie sagen: Preußen hat seinen moralischen Willen bewiesen, und damit geleistet, was es konnte? oder wird sie sich entschlossen auf das Völkerrecht berufen, das ihr gestattet, an ihrer Grenze keine Zustünde zu dul¬ den, welche den Keim zu Unruhen in sich tragen? Zwischen einer Großmacht und einer Privatperson ist, wie bekannt, ein Unterschied; diese darf sich auf ihre Gesinnung berufen, jene kann ohne Beschädigung ihres Ansehens nicht öffentlich einen Willen proclamiren, der nicht zur That wird." So weit unsere Flugschrift; suchen wir diese allgemeinen Sätze kurz auf die wichtigsten der schwebenden Fragen anzuwenden. Diese Anwendung ist um so nothwendiger, da jetzt dem preußischen Landtag nicht blos die größte Frage vorliegt, über die er seit seinem Bestehen zu entscheiden gehabt, son¬ dern eine Frage, die in ihrem Einfluß auf das gesammte Volksleben weit durchgreifender ist, als die Einführung der constitutionellen Verfassung selbst. Würden wir bei diesem Entwurf einer neuen Militärordnung nur die eine Seite ins Auge fassen, die Bedeutung für die militärische Ausbildung des Volks und- die Beziehung zum bürgerlichen Leben, so würden wir es ent¬ schieden für die Pflicht des Landtags halten, die Vorlage zu verwerfen. Es ist gesagt worden, daß Preußen moralische Eroberungen in Deutschland ma¬ chen soll: das kann doch nichts anders heißen, als daß die Angehörigen der übrigen deutschen Staaten Preußen beneiden und den Wunsch hegen sollen, gleichfalls Preußen zu werden. Geht aber diese Vorlage durch und wird im übrigen nichts geändert, so wird die Sache sich anders stellen: je¬ der Deutsche wird sich glücklich preisen, nicht in Preußen geboren zu sein, und jeder Preuße wird die übrigen Deutschen beneiden. An sich ist das Prinzip, von welchem der gegenwärtige Gesetzentwurf so wie der des General Bonin ausgeht, vollkommen zu billigen. Die allgemeine Wehrpflicht bestand bis jetzt mehr dem Namen als der Sache nach. Es mußte art derselben Ernst gemacht werden; jeder Staatsbürger, der nicht verkrüppelt ist, mußte seine Wehrpflicht leisten. Allgemein aber hatte man angenommen, daß mit dieser Verallgemeinerung der Dienstpflicht eine Herabsetzung der Dienstzeit auf höchstens zwei Jahre verbunden sein würde. Statt dessen setzt der Entwurf die Zeit nicht blos auf drei Jahre fest, sondern er verwandelt den bisherigen Landwehrmann der folgenden fünf Jahre in einen Kriegsre¬ servisten, d. h. er stellt ihn unter das Militärgesetz. Der junge Lieutnant. ist also ins künftige der Vorgesetzte des Assessors, des Kreisrichters, und muß von ihm salutirt werden. Wie weit das nun praktisch festzustellen sein wird, daraus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/378>, abgerufen am 23.07.2024.