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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Wäre im Jahre 1848 die Verfassung Kmhcssens auf ahnliche Weise,
natürlich durch Vermittlung des Nationalparlaments anstatt des Bundestags,
beseitigt und umgewandelt worden, so würde jetzt alle Welt und vor allem
die Bundesversannnlung sagen: "das war Revolution, eine solche Umgestaltung
der Verfassung kann nicht als gültig betrachtet werden; denn sie ist nicht er¬
folgt in bundesverfassungsmäßiger Weise, nämlich nicht nach den Vorschriften
und Voraussetzungen des Art. 56 der W. Seht. Acte; die Verfassung bestand
in anerkannter Wirksamkeit, sie kann also nur auf die in ihr selbst, also nach
§ 153, bestimmte Weise verändert oder erläutert werden. Das ist nicht ge¬
schehen,, darum ist der revolutionäre Act null und nichtig."

Und der Bundestag, von seinem Standpunkte aus, würde sich sogar im
Rechte befinden, wenn er so spräche, wenn er streng und treu festhielte an den
Grundbestimmungen des Bundes. Ja, in gewisser Beziehung thut es eben
rücksichtlich der hessischen Verfassung heute noch der Bundestag; denn er prüft,
ob die Gesetze, welche 1848 und 1849 zwischen Regierung und Ständen --
also nicht auf revolutionärer Basis -- zu Stande kamen und die Verfassung
berühren, auch ritg, d. h. nach den Voraussetzungen des Art. 56 der W. sah.
A. und § 153 der hessischen Verfassungsurkunde von 1831 zu Stande'gekom¬
men seien.

Gleichwohl hat derselbe Bundestag die seit 21 Jahren in anerkannter,
segensreicher Wirksamkeit bestehende Verfassung durch Beschluß vom 27.
März 1852 beseitigt und durch eme andere ersetzt, ohne auch nur im
Entferntesten darum sich zu kümmern. daß er dadurch die Vorschriften des
Art. 56. der W. sah. A. und § 153 der Verfassungsurkunde mit Füßen trat,
daß er dadurch selbst Revolution machte und aller Welt das gefährlichste
Beispiel gab. Oder ist der Umsturz einer bestehenden Landesverfassung etwa
nicht Revolution, wenn der Umsturz ausgeführt wird durch Kräfte, die acht
unmittelbar unter jener Verfassung begriffen sind? Der Bundestag hat aber
nicht bloß die kurhessische Verfassung, sondern auch die eignen Grundgesetze,
den Art. 56 der W. sah. Acte, gebrochen, seine Pflicht, über Beobachtung
dieser Vorschrift zu wachen, hintangesetzt.

Noch heute steht der Bundestag und mit ihm die kurh. Negierung auf
revolutionärem Boden, und ihnen gegenüber das hessische und deutsche Volk
als streng conservatives Element da. Diese wollen Rückkehr zum Staatsgrund¬
gesetze, jene wollen das Unrecht, die Revolution verewigen. Oder läßt sich
das in anderer Weise bezeichnen, wenn jetzt von Neuem, nach jahrelanger,
gründlicher Prüfung, beschlossen wird, es bei dem Umsturze der Verfassung zu
belassen, das an ihre Stelle Gesetzte zu erhalten und mit Flittern zu behängen,
welche aus jener entnommen sind? HM man das hessische und deutsche Volk
für so kindisch, daß es sich durch diese Flitter werde täuschen und einreden


Wäre im Jahre 1848 die Verfassung Kmhcssens auf ahnliche Weise,
natürlich durch Vermittlung des Nationalparlaments anstatt des Bundestags,
beseitigt und umgewandelt worden, so würde jetzt alle Welt und vor allem
die Bundesversannnlung sagen: „das war Revolution, eine solche Umgestaltung
der Verfassung kann nicht als gültig betrachtet werden; denn sie ist nicht er¬
folgt in bundesverfassungsmäßiger Weise, nämlich nicht nach den Vorschriften
und Voraussetzungen des Art. 56 der W. Seht. Acte; die Verfassung bestand
in anerkannter Wirksamkeit, sie kann also nur auf die in ihr selbst, also nach
§ 153, bestimmte Weise verändert oder erläutert werden. Das ist nicht ge¬
schehen,, darum ist der revolutionäre Act null und nichtig."

Und der Bundestag, von seinem Standpunkte aus, würde sich sogar im
Rechte befinden, wenn er so spräche, wenn er streng und treu festhielte an den
Grundbestimmungen des Bundes. Ja, in gewisser Beziehung thut es eben
rücksichtlich der hessischen Verfassung heute noch der Bundestag; denn er prüft,
ob die Gesetze, welche 1848 und 1849 zwischen Regierung und Ständen —
also nicht auf revolutionärer Basis — zu Stande kamen und die Verfassung
berühren, auch ritg, d. h. nach den Voraussetzungen des Art. 56 der W. sah.
A. und § 153 der hessischen Verfassungsurkunde von 1831 zu Stande'gekom¬
men seien.

Gleichwohl hat derselbe Bundestag die seit 21 Jahren in anerkannter,
segensreicher Wirksamkeit bestehende Verfassung durch Beschluß vom 27.
März 1852 beseitigt und durch eme andere ersetzt, ohne auch nur im
Entferntesten darum sich zu kümmern. daß er dadurch die Vorschriften des
Art. 56. der W. sah. A. und § 153 der Verfassungsurkunde mit Füßen trat,
daß er dadurch selbst Revolution machte und aller Welt das gefährlichste
Beispiel gab. Oder ist der Umsturz einer bestehenden Landesverfassung etwa
nicht Revolution, wenn der Umsturz ausgeführt wird durch Kräfte, die acht
unmittelbar unter jener Verfassung begriffen sind? Der Bundestag hat aber
nicht bloß die kurhessische Verfassung, sondern auch die eignen Grundgesetze,
den Art. 56 der W. sah. Acte, gebrochen, seine Pflicht, über Beobachtung
dieser Vorschrift zu wachen, hintangesetzt.

Noch heute steht der Bundestag und mit ihm die kurh. Negierung auf
revolutionärem Boden, und ihnen gegenüber das hessische und deutsche Volk
als streng conservatives Element da. Diese wollen Rückkehr zum Staatsgrund¬
gesetze, jene wollen das Unrecht, die Revolution verewigen. Oder läßt sich
das in anderer Weise bezeichnen, wenn jetzt von Neuem, nach jahrelanger,
gründlicher Prüfung, beschlossen wird, es bei dem Umsturze der Verfassung zu
belassen, das an ihre Stelle Gesetzte zu erhalten und mit Flittern zu behängen,
welche aus jener entnommen sind? HM man das hessische und deutsche Volk
für so kindisch, daß es sich durch diese Flitter werde täuschen und einreden


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[0362] Wäre im Jahre 1848 die Verfassung Kmhcssens auf ahnliche Weise, natürlich durch Vermittlung des Nationalparlaments anstatt des Bundestags, beseitigt und umgewandelt worden, so würde jetzt alle Welt und vor allem die Bundesversannnlung sagen: „das war Revolution, eine solche Umgestaltung der Verfassung kann nicht als gültig betrachtet werden; denn sie ist nicht er¬ folgt in bundesverfassungsmäßiger Weise, nämlich nicht nach den Vorschriften und Voraussetzungen des Art. 56 der W. Seht. Acte; die Verfassung bestand in anerkannter Wirksamkeit, sie kann also nur auf die in ihr selbst, also nach § 153, bestimmte Weise verändert oder erläutert werden. Das ist nicht ge¬ schehen,, darum ist der revolutionäre Act null und nichtig." Und der Bundestag, von seinem Standpunkte aus, würde sich sogar im Rechte befinden, wenn er so spräche, wenn er streng und treu festhielte an den Grundbestimmungen des Bundes. Ja, in gewisser Beziehung thut es eben rücksichtlich der hessischen Verfassung heute noch der Bundestag; denn er prüft, ob die Gesetze, welche 1848 und 1849 zwischen Regierung und Ständen — also nicht auf revolutionärer Basis — zu Stande kamen und die Verfassung berühren, auch ritg, d. h. nach den Voraussetzungen des Art. 56 der W. sah. A. und § 153 der hessischen Verfassungsurkunde von 1831 zu Stande'gekom¬ men seien. Gleichwohl hat derselbe Bundestag die seit 21 Jahren in anerkannter, segensreicher Wirksamkeit bestehende Verfassung durch Beschluß vom 27. März 1852 beseitigt und durch eme andere ersetzt, ohne auch nur im Entferntesten darum sich zu kümmern. daß er dadurch die Vorschriften des Art. 56. der W. sah. A. und § 153 der Verfassungsurkunde mit Füßen trat, daß er dadurch selbst Revolution machte und aller Welt das gefährlichste Beispiel gab. Oder ist der Umsturz einer bestehenden Landesverfassung etwa nicht Revolution, wenn der Umsturz ausgeführt wird durch Kräfte, die acht unmittelbar unter jener Verfassung begriffen sind? Der Bundestag hat aber nicht bloß die kurhessische Verfassung, sondern auch die eignen Grundgesetze, den Art. 56 der W. sah. Acte, gebrochen, seine Pflicht, über Beobachtung dieser Vorschrift zu wachen, hintangesetzt. Noch heute steht der Bundestag und mit ihm die kurh. Negierung auf revolutionärem Boden, und ihnen gegenüber das hessische und deutsche Volk als streng conservatives Element da. Diese wollen Rückkehr zum Staatsgrund¬ gesetze, jene wollen das Unrecht, die Revolution verewigen. Oder läßt sich das in anderer Weise bezeichnen, wenn jetzt von Neuem, nach jahrelanger, gründlicher Prüfung, beschlossen wird, es bei dem Umsturze der Verfassung zu belassen, das an ihre Stelle Gesetzte zu erhalten und mit Flittern zu behängen, welche aus jener entnommen sind? HM man das hessische und deutsche Volk für so kindisch, daß es sich durch diese Flitter werde täuschen und einreden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/362>, abgerufen am 23.07.2024.