Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

durch Wunden oder Strapazen untüchtig geworden sind, ohne Unterstützung
verabschiedet. Sie haben weder Anhänglichkeit an ihre Fahne, noch Respect
vor ihren Vorgesetzten, noch eine stramme militärische Haltung. Sie sind rotten¬
weise in das Lager der Revolution desertirt, nur die Schweizerregimenter zeigten
sich meist treu und tapfer. Ob die übrigen Truppen durch die neuen Elemente,
die in den letzten Monaten aus Oestreich kamen, wesentlich gewonnen haben,
ist zweifelhaft. Wenn diese Rekruten nicht Abtheilungen für sich bilden, so
ist weit eher anzunehmen, daß sie allmälig die Natur der Schlüsselsoidaten
annehmen, als daß sie diese umwandeln werden.

Die Franzosen haben sich mehre Jahre hindurch alle erdenkliche Mühe
gegeben, dem Papst ein brauchbares Heer zu schaffen. General Goyon leitete
die Uebungen der Bataillone und Regimenter selbst und verwendete auf die
Besserung ihrer Disciplin und ihrer Ausrüstung ungemein viel Zeit; aber der
Erfolg entsprach dem aufgewandten Eifer nicht, und wenn morgen die Fran¬
zosen sich einschifften, so würde übermorgen die Fahne der Revolution auf
dem Vatikan wehen. Die Schweizer könnten für den heiligen Vater sterben,
schützen könnten sie ihn nicht. Die andern Fremden, die im Ganzen schwerlich
mehr als 1500 bis 2000 Kopfe zählen, würden vielleicht nicht weniger, aber
gewiß auch nicht mehr zu thun vermögen. Die eingeborne Armee -- die Kara-
biniers, die gegen 3000 Mann stark sind, etwa ausgenommen -- würde sicher
auf die erste Kunde vom Einrücken der Romagnolen auseinanderlausen.

Wie stark die päpstliche Kriegsmacht jetzt ist, läßt sich nicht wohl angeben.
Vor dem Ausbruch des Krieges in Oberitalien bestand sie aus ungefähr 3500
Schweizern, die in zwei Regimenter getheilt waren, aus den Karabiniers, die
in drei Legionen 3452 Mann zu Fuß und 918 Pferde zählten und als Gen¬
darmerie in den verschiedenen Gegenden des Kirchenstaats dienten, ferner aus
zwei Regimentern eingeborner Linieninfanterie, von denen jedes 2314 Mann
stark sein sollte, einem Jägerbataillon von S82, einem Dragonerregimenl von
766 und zwei Veteranenbatailloncn von je 811 Mann, sowie 1008 Artilleristen.
Die päpstliche Nobelgarde, ein Trabantencorps, welches sich aus der römischen
Aristokratie rekrutirt, kann nicht wohl zur Armee gerechnet werden. Sie trägt
die Waffen nur zum Schmuck und könnte ebensowol einen Kammerherrnschlüs¬
sel als den Degen anstecken.

Seitdem hat sich vieles verändert. Mehr als ein Viertel des Heeres ist
in das Lager der Revolution übergetreten oder sonstwohin abhanden gekommen,
und man wird eher zu viel als zu wenig annehmen, wenn man die verfüg¬
bare Streitmacht des Papstes jetzt auf etwa 12,000 Mann veranschlagt.

Wir haben ein trübseliges Gemälde aufzurollen gehabt, das um so trau¬
riger erscheint, als das Elend, das es zeigt, ein hoffnungsloses ist. Daß es
anders werden muß. wenn das übrige Italien aus dem Wege, den es eingc-


durch Wunden oder Strapazen untüchtig geworden sind, ohne Unterstützung
verabschiedet. Sie haben weder Anhänglichkeit an ihre Fahne, noch Respect
vor ihren Vorgesetzten, noch eine stramme militärische Haltung. Sie sind rotten¬
weise in das Lager der Revolution desertirt, nur die Schweizerregimenter zeigten
sich meist treu und tapfer. Ob die übrigen Truppen durch die neuen Elemente,
die in den letzten Monaten aus Oestreich kamen, wesentlich gewonnen haben,
ist zweifelhaft. Wenn diese Rekruten nicht Abtheilungen für sich bilden, so
ist weit eher anzunehmen, daß sie allmälig die Natur der Schlüsselsoidaten
annehmen, als daß sie diese umwandeln werden.

Die Franzosen haben sich mehre Jahre hindurch alle erdenkliche Mühe
gegeben, dem Papst ein brauchbares Heer zu schaffen. General Goyon leitete
die Uebungen der Bataillone und Regimenter selbst und verwendete auf die
Besserung ihrer Disciplin und ihrer Ausrüstung ungemein viel Zeit; aber der
Erfolg entsprach dem aufgewandten Eifer nicht, und wenn morgen die Fran¬
zosen sich einschifften, so würde übermorgen die Fahne der Revolution auf
dem Vatikan wehen. Die Schweizer könnten für den heiligen Vater sterben,
schützen könnten sie ihn nicht. Die andern Fremden, die im Ganzen schwerlich
mehr als 1500 bis 2000 Kopfe zählen, würden vielleicht nicht weniger, aber
gewiß auch nicht mehr zu thun vermögen. Die eingeborne Armee — die Kara-
biniers, die gegen 3000 Mann stark sind, etwa ausgenommen — würde sicher
auf die erste Kunde vom Einrücken der Romagnolen auseinanderlausen.

Wie stark die päpstliche Kriegsmacht jetzt ist, läßt sich nicht wohl angeben.
Vor dem Ausbruch des Krieges in Oberitalien bestand sie aus ungefähr 3500
Schweizern, die in zwei Regimenter getheilt waren, aus den Karabiniers, die
in drei Legionen 3452 Mann zu Fuß und 918 Pferde zählten und als Gen¬
darmerie in den verschiedenen Gegenden des Kirchenstaats dienten, ferner aus
zwei Regimentern eingeborner Linieninfanterie, von denen jedes 2314 Mann
stark sein sollte, einem Jägerbataillon von S82, einem Dragonerregimenl von
766 und zwei Veteranenbatailloncn von je 811 Mann, sowie 1008 Artilleristen.
Die päpstliche Nobelgarde, ein Trabantencorps, welches sich aus der römischen
Aristokratie rekrutirt, kann nicht wohl zur Armee gerechnet werden. Sie trägt
die Waffen nur zum Schmuck und könnte ebensowol einen Kammerherrnschlüs¬
sel als den Degen anstecken.

Seitdem hat sich vieles verändert. Mehr als ein Viertel des Heeres ist
in das Lager der Revolution übergetreten oder sonstwohin abhanden gekommen,
und man wird eher zu viel als zu wenig annehmen, wenn man die verfüg¬
bare Streitmacht des Papstes jetzt auf etwa 12,000 Mann veranschlagt.

Wir haben ein trübseliges Gemälde aufzurollen gehabt, das um so trau¬
riger erscheint, als das Elend, das es zeigt, ein hoffnungsloses ist. Daß es
anders werden muß. wenn das übrige Italien aus dem Wege, den es eingc-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109078"/>
          <p xml:id="ID_1011" prev="#ID_1010"> durch Wunden oder Strapazen untüchtig geworden sind, ohne Unterstützung<lb/>
verabschiedet. Sie haben weder Anhänglichkeit an ihre Fahne, noch Respect<lb/>
vor ihren Vorgesetzten, noch eine stramme militärische Haltung. Sie sind rotten¬<lb/>
weise in das Lager der Revolution desertirt, nur die Schweizerregimenter zeigten<lb/>
sich meist treu und tapfer. Ob die übrigen Truppen durch die neuen Elemente,<lb/>
die in den letzten Monaten aus Oestreich kamen, wesentlich gewonnen haben,<lb/>
ist zweifelhaft. Wenn diese Rekruten nicht Abtheilungen für sich bilden, so<lb/>
ist weit eher anzunehmen, daß sie allmälig die Natur der Schlüsselsoidaten<lb/>
annehmen, als daß sie diese umwandeln werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1012"> Die Franzosen haben sich mehre Jahre hindurch alle erdenkliche Mühe<lb/>
gegeben, dem Papst ein brauchbares Heer zu schaffen. General Goyon leitete<lb/>
die Uebungen der Bataillone und Regimenter selbst und verwendete auf die<lb/>
Besserung ihrer Disciplin und ihrer Ausrüstung ungemein viel Zeit; aber der<lb/>
Erfolg entsprach dem aufgewandten Eifer nicht, und wenn morgen die Fran¬<lb/>
zosen sich einschifften, so würde übermorgen die Fahne der Revolution auf<lb/>
dem Vatikan wehen. Die Schweizer könnten für den heiligen Vater sterben,<lb/>
schützen könnten sie ihn nicht. Die andern Fremden, die im Ganzen schwerlich<lb/>
mehr als 1500 bis 2000 Kopfe zählen, würden vielleicht nicht weniger, aber<lb/>
gewiß auch nicht mehr zu thun vermögen. Die eingeborne Armee &#x2014; die Kara-<lb/>
biniers, die gegen 3000 Mann stark sind, etwa ausgenommen &#x2014; würde sicher<lb/>
auf die erste Kunde vom Einrücken der Romagnolen auseinanderlausen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1013"> Wie stark die päpstliche Kriegsmacht jetzt ist, läßt sich nicht wohl angeben.<lb/>
Vor dem Ausbruch des Krieges in Oberitalien bestand sie aus ungefähr 3500<lb/>
Schweizern, die in zwei Regimenter getheilt waren, aus den Karabiniers, die<lb/>
in drei Legionen 3452 Mann zu Fuß und 918 Pferde zählten und als Gen¬<lb/>
darmerie in den verschiedenen Gegenden des Kirchenstaats dienten, ferner aus<lb/>
zwei Regimentern eingeborner Linieninfanterie, von denen jedes 2314 Mann<lb/>
stark sein sollte, einem Jägerbataillon von S82, einem Dragonerregimenl von<lb/>
766 und zwei Veteranenbatailloncn von je 811 Mann, sowie 1008 Artilleristen.<lb/>
Die päpstliche Nobelgarde, ein Trabantencorps, welches sich aus der römischen<lb/>
Aristokratie rekrutirt, kann nicht wohl zur Armee gerechnet werden. Sie trägt<lb/>
die Waffen nur zum Schmuck und könnte ebensowol einen Kammerherrnschlüs¬<lb/>
sel als den Degen anstecken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1014"> Seitdem hat sich vieles verändert. Mehr als ein Viertel des Heeres ist<lb/>
in das Lager der Revolution übergetreten oder sonstwohin abhanden gekommen,<lb/>
und man wird eher zu viel als zu wenig annehmen, wenn man die verfüg¬<lb/>
bare Streitmacht des Papstes jetzt auf etwa 12,000 Mann veranschlagt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1015" next="#ID_1016"> Wir haben ein trübseliges Gemälde aufzurollen gehabt, das um so trau¬<lb/>
riger erscheint, als das Elend, das es zeigt, ein hoffnungsloses ist. Daß es<lb/>
anders werden muß. wenn das übrige Italien aus dem Wege, den es eingc-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0356] durch Wunden oder Strapazen untüchtig geworden sind, ohne Unterstützung verabschiedet. Sie haben weder Anhänglichkeit an ihre Fahne, noch Respect vor ihren Vorgesetzten, noch eine stramme militärische Haltung. Sie sind rotten¬ weise in das Lager der Revolution desertirt, nur die Schweizerregimenter zeigten sich meist treu und tapfer. Ob die übrigen Truppen durch die neuen Elemente, die in den letzten Monaten aus Oestreich kamen, wesentlich gewonnen haben, ist zweifelhaft. Wenn diese Rekruten nicht Abtheilungen für sich bilden, so ist weit eher anzunehmen, daß sie allmälig die Natur der Schlüsselsoidaten annehmen, als daß sie diese umwandeln werden. Die Franzosen haben sich mehre Jahre hindurch alle erdenkliche Mühe gegeben, dem Papst ein brauchbares Heer zu schaffen. General Goyon leitete die Uebungen der Bataillone und Regimenter selbst und verwendete auf die Besserung ihrer Disciplin und ihrer Ausrüstung ungemein viel Zeit; aber der Erfolg entsprach dem aufgewandten Eifer nicht, und wenn morgen die Fran¬ zosen sich einschifften, so würde übermorgen die Fahne der Revolution auf dem Vatikan wehen. Die Schweizer könnten für den heiligen Vater sterben, schützen könnten sie ihn nicht. Die andern Fremden, die im Ganzen schwerlich mehr als 1500 bis 2000 Kopfe zählen, würden vielleicht nicht weniger, aber gewiß auch nicht mehr zu thun vermögen. Die eingeborne Armee — die Kara- biniers, die gegen 3000 Mann stark sind, etwa ausgenommen — würde sicher auf die erste Kunde vom Einrücken der Romagnolen auseinanderlausen. Wie stark die päpstliche Kriegsmacht jetzt ist, läßt sich nicht wohl angeben. Vor dem Ausbruch des Krieges in Oberitalien bestand sie aus ungefähr 3500 Schweizern, die in zwei Regimenter getheilt waren, aus den Karabiniers, die in drei Legionen 3452 Mann zu Fuß und 918 Pferde zählten und als Gen¬ darmerie in den verschiedenen Gegenden des Kirchenstaats dienten, ferner aus zwei Regimentern eingeborner Linieninfanterie, von denen jedes 2314 Mann stark sein sollte, einem Jägerbataillon von S82, einem Dragonerregimenl von 766 und zwei Veteranenbatailloncn von je 811 Mann, sowie 1008 Artilleristen. Die päpstliche Nobelgarde, ein Trabantencorps, welches sich aus der römischen Aristokratie rekrutirt, kann nicht wohl zur Armee gerechnet werden. Sie trägt die Waffen nur zum Schmuck und könnte ebensowol einen Kammerherrnschlüs¬ sel als den Degen anstecken. Seitdem hat sich vieles verändert. Mehr als ein Viertel des Heeres ist in das Lager der Revolution übergetreten oder sonstwohin abhanden gekommen, und man wird eher zu viel als zu wenig annehmen, wenn man die verfüg¬ bare Streitmacht des Papstes jetzt auf etwa 12,000 Mann veranschlagt. Wir haben ein trübseliges Gemälde aufzurollen gehabt, das um so trau¬ riger erscheint, als das Elend, das es zeigt, ein hoffnungsloses ist. Daß es anders werden muß. wenn das übrige Italien aus dem Wege, den es eingc-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/356
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/356>, abgerufen am 23.07.2024.