Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

liebe Beamte im Kirchenstaat herausgerechnet. Wir wollen von der ganzen
Haltung jener Denkschrift absehen und nicht, wie selbst der langathmige Kämpe
des Conservatismus in der "Leipziger Zeitung" thut*), daran erinnern, daß
auf deren Färbung "eine gewisse persönliche Güte, die Dankbarkeit für wohl¬
wollende Aufnahme und der mächtige Eindruck des Hauptsitzes der alten Römer¬
macht und der modernen katholischen Hierarchie" Einfluß gehabt hat. Es genügt,
zu bemerken, daß der Graf alle Kopisten, Kanzieidiener, Gerichtsboten, Brief¬
träger. Flurschützen und Nachtwächter anzahlte, und daß er die Prälaten nicht
als Kleriker gelten ließ. Auf jenem Wege gelangte er zu imponirenden Zahlen,
auf diesem zur Begründung der Behauptung, daß man selbst die höchsten Stellen
mit Laien besetze, das Berlangen nach einem Laicnrcgimcnt also ein müßi¬
ges sei. Konnte er doch auf den Kardinal Antonelli, den Premierminister,
hinweisen, der nie die letzten Weihen erhalten, nie Messe gelesen hat. Mit
dem Titel Prälat wurden ursprünglich diejenigen Beamten der katholischen
Kirche bezeichnet, welche eine Jurisdiction im eignen Namen auszuüben hatten.
Dann verstand man darunter in Deutschland überhaupt jeden höheren Geistlichen.
In Rom ist der Prälat ein Kleriker, der zwar die Tonsur, aber nicht alle
Weihen erhalten und das Gelübde der Ehelosigkeit nicht abgelegt hat. Er
darf sich verheirathen. aber mit dem Jawort am Traualtar verliert er seine
Stellung und seine Aussichten; er trägt geistliche Tracht, hat die Bildung, die
Weltanschauung, das Gewissen, die Zwecke eines Geistlichen. Er kann zwar
das Wunder der Berwandlung einer Oblate in den Leib Christi nicht voll¬
ziehen, er ist nicht Priester, aber ganz unzweifelhaft Kleriker.

Edmond Abouts "Huvstion liomtüne" ist eine Schmähschrift genannt
worden, und wir gestehen zu, daß der Ton derselben frivol und Manches wol
als ausnahmslose Regel hingestellt ist, weil Ausnahmen den Stil gestört haben
würden. Daß aber die Schrift über die Folgen der Priesterherrschaft in der Haupt¬
sache die Wahrheit, sagt, werden einige Sätze aus derselben zeigen, die wir
sofern sie nicht schon durch das Vorstehende bestätigt sind, mit Belegen aus
verläßlicher Quelle begleiten. About läßt einen Römer sich über die Zustände
im Kirchenstaat in folgender Weise äußern:

"Dieselbe Kaste verwaltet die Sakramente und die Provinzen, confirmirt
die Knaben und die Entscheidungen der niedern Gerichte, füllt die Pfarrer¬
stellen und die Gefängnisse, theilt die letzte Oelung und Majorsepauletten aus.
Diese Vermischung des Weltlichen mit dem Geistlichen bringt an alle hohen
Posten eine Menge von Leuten, die in den Augen Gottes wahrscheinlich vor¬
trefflich, in den Augen der Menschen aber unausstehlich sind. Viele dieser



") Seltsam, wenn auch erklärlich, ist es, daß ein officiöscs Blatt in einem fast aus¬
schließlich protestantischen Lande es für passend halten konnte, die Vertheidigung des
Papstes in solchem Tone und bis zu diesem Grade zu übernehmen.

liebe Beamte im Kirchenstaat herausgerechnet. Wir wollen von der ganzen
Haltung jener Denkschrift absehen und nicht, wie selbst der langathmige Kämpe
des Conservatismus in der „Leipziger Zeitung" thut*), daran erinnern, daß
auf deren Färbung „eine gewisse persönliche Güte, die Dankbarkeit für wohl¬
wollende Aufnahme und der mächtige Eindruck des Hauptsitzes der alten Römer¬
macht und der modernen katholischen Hierarchie" Einfluß gehabt hat. Es genügt,
zu bemerken, daß der Graf alle Kopisten, Kanzieidiener, Gerichtsboten, Brief¬
träger. Flurschützen und Nachtwächter anzahlte, und daß er die Prälaten nicht
als Kleriker gelten ließ. Auf jenem Wege gelangte er zu imponirenden Zahlen,
auf diesem zur Begründung der Behauptung, daß man selbst die höchsten Stellen
mit Laien besetze, das Berlangen nach einem Laicnrcgimcnt also ein müßi¬
ges sei. Konnte er doch auf den Kardinal Antonelli, den Premierminister,
hinweisen, der nie die letzten Weihen erhalten, nie Messe gelesen hat. Mit
dem Titel Prälat wurden ursprünglich diejenigen Beamten der katholischen
Kirche bezeichnet, welche eine Jurisdiction im eignen Namen auszuüben hatten.
Dann verstand man darunter in Deutschland überhaupt jeden höheren Geistlichen.
In Rom ist der Prälat ein Kleriker, der zwar die Tonsur, aber nicht alle
Weihen erhalten und das Gelübde der Ehelosigkeit nicht abgelegt hat. Er
darf sich verheirathen. aber mit dem Jawort am Traualtar verliert er seine
Stellung und seine Aussichten; er trägt geistliche Tracht, hat die Bildung, die
Weltanschauung, das Gewissen, die Zwecke eines Geistlichen. Er kann zwar
das Wunder der Berwandlung einer Oblate in den Leib Christi nicht voll¬
ziehen, er ist nicht Priester, aber ganz unzweifelhaft Kleriker.

Edmond Abouts „Huvstion liomtüne" ist eine Schmähschrift genannt
worden, und wir gestehen zu, daß der Ton derselben frivol und Manches wol
als ausnahmslose Regel hingestellt ist, weil Ausnahmen den Stil gestört haben
würden. Daß aber die Schrift über die Folgen der Priesterherrschaft in der Haupt¬
sache die Wahrheit, sagt, werden einige Sätze aus derselben zeigen, die wir
sofern sie nicht schon durch das Vorstehende bestätigt sind, mit Belegen aus
verläßlicher Quelle begleiten. About läßt einen Römer sich über die Zustände
im Kirchenstaat in folgender Weise äußern:

„Dieselbe Kaste verwaltet die Sakramente und die Provinzen, confirmirt
die Knaben und die Entscheidungen der niedern Gerichte, füllt die Pfarrer¬
stellen und die Gefängnisse, theilt die letzte Oelung und Majorsepauletten aus.
Diese Vermischung des Weltlichen mit dem Geistlichen bringt an alle hohen
Posten eine Menge von Leuten, die in den Augen Gottes wahrscheinlich vor¬
trefflich, in den Augen der Menschen aber unausstehlich sind. Viele dieser



") Seltsam, wenn auch erklärlich, ist es, daß ein officiöscs Blatt in einem fast aus¬
schließlich protestantischen Lande es für passend halten konnte, die Vertheidigung des
Papstes in solchem Tone und bis zu diesem Grade zu übernehmen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109072"/>
          <p xml:id="ID_996" prev="#ID_995"> liebe Beamte im Kirchenstaat herausgerechnet. Wir wollen von der ganzen<lb/>
Haltung jener Denkschrift absehen und nicht, wie selbst der langathmige Kämpe<lb/>
des Conservatismus in der &#x201E;Leipziger Zeitung" thut*), daran erinnern, daß<lb/>
auf deren Färbung &#x201E;eine gewisse persönliche Güte, die Dankbarkeit für wohl¬<lb/>
wollende Aufnahme und der mächtige Eindruck des Hauptsitzes der alten Römer¬<lb/>
macht und der modernen katholischen Hierarchie" Einfluß gehabt hat. Es genügt,<lb/>
zu bemerken, daß der Graf alle Kopisten, Kanzieidiener, Gerichtsboten, Brief¬<lb/>
träger. Flurschützen und Nachtwächter anzahlte, und daß er die Prälaten nicht<lb/>
als Kleriker gelten ließ. Auf jenem Wege gelangte er zu imponirenden Zahlen,<lb/>
auf diesem zur Begründung der Behauptung, daß man selbst die höchsten Stellen<lb/>
mit Laien besetze, das Berlangen nach einem Laicnrcgimcnt also ein müßi¬<lb/>
ges sei. Konnte er doch auf den Kardinal Antonelli, den Premierminister,<lb/>
hinweisen, der nie die letzten Weihen erhalten, nie Messe gelesen hat. Mit<lb/>
dem Titel Prälat wurden ursprünglich diejenigen Beamten der katholischen<lb/>
Kirche bezeichnet, welche eine Jurisdiction im eignen Namen auszuüben hatten.<lb/>
Dann verstand man darunter in Deutschland überhaupt jeden höheren Geistlichen.<lb/>
In Rom ist der Prälat ein Kleriker, der zwar die Tonsur, aber nicht alle<lb/>
Weihen erhalten und das Gelübde der Ehelosigkeit nicht abgelegt hat. Er<lb/>
darf sich verheirathen. aber mit dem Jawort am Traualtar verliert er seine<lb/>
Stellung und seine Aussichten; er trägt geistliche Tracht, hat die Bildung, die<lb/>
Weltanschauung, das Gewissen, die Zwecke eines Geistlichen. Er kann zwar<lb/>
das Wunder der Berwandlung einer Oblate in den Leib Christi nicht voll¬<lb/>
ziehen, er ist nicht Priester, aber ganz unzweifelhaft Kleriker.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_997"> Edmond Abouts &#x201E;Huvstion liomtüne" ist eine Schmähschrift genannt<lb/>
worden, und wir gestehen zu, daß der Ton derselben frivol und Manches wol<lb/>
als ausnahmslose Regel hingestellt ist, weil Ausnahmen den Stil gestört haben<lb/>
würden. Daß aber die Schrift über die Folgen der Priesterherrschaft in der Haupt¬<lb/>
sache die Wahrheit, sagt, werden einige Sätze aus derselben zeigen, die wir<lb/>
sofern sie nicht schon durch das Vorstehende bestätigt sind, mit Belegen aus<lb/>
verläßlicher Quelle begleiten. About läßt einen Römer sich über die Zustände<lb/>
im Kirchenstaat in folgender Weise äußern:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_998" next="#ID_999"> &#x201E;Dieselbe Kaste verwaltet die Sakramente und die Provinzen, confirmirt<lb/>
die Knaben und die Entscheidungen der niedern Gerichte, füllt die Pfarrer¬<lb/>
stellen und die Gefängnisse, theilt die letzte Oelung und Majorsepauletten aus.<lb/>
Diese Vermischung des Weltlichen mit dem Geistlichen bringt an alle hohen<lb/>
Posten eine Menge von Leuten, die in den Augen Gottes wahrscheinlich vor¬<lb/>
trefflich, in den Augen der Menschen aber unausstehlich sind.  Viele dieser</p><lb/>
          <note xml:id="FID_26" place="foot"> ") Seltsam, wenn auch erklärlich, ist es, daß ein officiöscs Blatt in einem fast aus¬<lb/>
schließlich protestantischen Lande es für passend halten konnte, die Vertheidigung des<lb/>
Papstes in solchem Tone und bis zu diesem Grade zu übernehmen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0350] liebe Beamte im Kirchenstaat herausgerechnet. Wir wollen von der ganzen Haltung jener Denkschrift absehen und nicht, wie selbst der langathmige Kämpe des Conservatismus in der „Leipziger Zeitung" thut*), daran erinnern, daß auf deren Färbung „eine gewisse persönliche Güte, die Dankbarkeit für wohl¬ wollende Aufnahme und der mächtige Eindruck des Hauptsitzes der alten Römer¬ macht und der modernen katholischen Hierarchie" Einfluß gehabt hat. Es genügt, zu bemerken, daß der Graf alle Kopisten, Kanzieidiener, Gerichtsboten, Brief¬ träger. Flurschützen und Nachtwächter anzahlte, und daß er die Prälaten nicht als Kleriker gelten ließ. Auf jenem Wege gelangte er zu imponirenden Zahlen, auf diesem zur Begründung der Behauptung, daß man selbst die höchsten Stellen mit Laien besetze, das Berlangen nach einem Laicnrcgimcnt also ein müßi¬ ges sei. Konnte er doch auf den Kardinal Antonelli, den Premierminister, hinweisen, der nie die letzten Weihen erhalten, nie Messe gelesen hat. Mit dem Titel Prälat wurden ursprünglich diejenigen Beamten der katholischen Kirche bezeichnet, welche eine Jurisdiction im eignen Namen auszuüben hatten. Dann verstand man darunter in Deutschland überhaupt jeden höheren Geistlichen. In Rom ist der Prälat ein Kleriker, der zwar die Tonsur, aber nicht alle Weihen erhalten und das Gelübde der Ehelosigkeit nicht abgelegt hat. Er darf sich verheirathen. aber mit dem Jawort am Traualtar verliert er seine Stellung und seine Aussichten; er trägt geistliche Tracht, hat die Bildung, die Weltanschauung, das Gewissen, die Zwecke eines Geistlichen. Er kann zwar das Wunder der Berwandlung einer Oblate in den Leib Christi nicht voll¬ ziehen, er ist nicht Priester, aber ganz unzweifelhaft Kleriker. Edmond Abouts „Huvstion liomtüne" ist eine Schmähschrift genannt worden, und wir gestehen zu, daß der Ton derselben frivol und Manches wol als ausnahmslose Regel hingestellt ist, weil Ausnahmen den Stil gestört haben würden. Daß aber die Schrift über die Folgen der Priesterherrschaft in der Haupt¬ sache die Wahrheit, sagt, werden einige Sätze aus derselben zeigen, die wir sofern sie nicht schon durch das Vorstehende bestätigt sind, mit Belegen aus verläßlicher Quelle begleiten. About läßt einen Römer sich über die Zustände im Kirchenstaat in folgender Weise äußern: „Dieselbe Kaste verwaltet die Sakramente und die Provinzen, confirmirt die Knaben und die Entscheidungen der niedern Gerichte, füllt die Pfarrer¬ stellen und die Gefängnisse, theilt die letzte Oelung und Majorsepauletten aus. Diese Vermischung des Weltlichen mit dem Geistlichen bringt an alle hohen Posten eine Menge von Leuten, die in den Augen Gottes wahrscheinlich vor¬ trefflich, in den Augen der Menschen aber unausstehlich sind. Viele dieser ") Seltsam, wenn auch erklärlich, ist es, daß ein officiöscs Blatt in einem fast aus¬ schließlich protestantischen Lande es für passend halten konnte, die Vertheidigung des Papstes in solchem Tone und bis zu diesem Grade zu übernehmen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/350
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/350>, abgerufen am 23.07.2024.