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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Priesterschaft entgegen, der in ihr seinen Hauptfeind wittert. In Rom leben einige
gelehrte Aerzte, einige tüchtige Advocaten, einige Künstler. Den Reichthum
des Mittelstandes vertreten etliche Landläufer und Intendanten, die auf Kosten
des Adels wohlhabend geworden sind. Wird ein Gcwerbtreibender reich, so
sucht er in der Regel sofort durch Ankauf eines adeligen Gutes oder vermit¬
telst eines Adelsbriefs in den Adel zu kommen. Beispiele sind die Torlonia,
deren Stammbaum in einem Wechslertisch wurzelt, die Ferrazuoli, die als
Tabakshändler reich wurden, die Macchi, deren Großvater ein Müller war,
die Calabrini, die als Pächter sich emporhalfen. Andere Adclshäuser ver¬
danken dem Nepotismus der Päpste ihre Erhebung, wieder andere, z. B. die
Orsini und die Colonna, waren schon im Mittelalter mächtige Familien, noch
andere leiten ihren Ursprung gar bis auf altrömische Helden zurück, so die
Massimo auf Fabius Maximus Cunctator, die Muti auf Mucius Scävola.
Der ältere Adel ist trotz seiner Majorate und Fideicommisse großentheils ver¬
armt. Zu trüge, um seine Güter selbst zu verwalten, zu prunkliebend, um
sich nach der ihm gebliebenen Decke zu strecken, ist er zu mehr als der Hälfte
seiner Mitglieder eine entschiedene Karrikatur auf die Titel, die er trügt. Fürsten
und Grafen leben vom Vermiethen der prächtigen Paläste, die ihr einziges
und untheilbares Erbtheil sind, aber derselbe Herr, der vielleicht den ärmlich¬
sten Tisch führt, muß ein Schloß in der Stadt und eins auf dem Lande, einen
Garten mit Bildsäulen, eine Gemäldegallerie, Karossen, Luxuspferde und La¬
kaien haben.

So arm ein großer Bruchtheil der Aristokratie im Kirchenstaat ist, so ein¬
flußlos ist der ganze Stand als solcher. Die Ergebenheitsadrcsse, die vor Kurzem
von einer Anzahl hoher Adeliger an Pius den Neunten gerichtet wurde, hat nicht
entfernt die Bedeutung,, die eine ähnliche Kundgebung in einem andern Staat
haben würde. Die einzige Classe, welche Macht und Einfluß besitzt, ist die
Priesterschaft. Kleriker sind die sämmtlichen Minister, die sämmtlichen Mit¬
glieder der apostolischen Kammer, fast alle Statthalter in den Provinzen, alle
Diplomaten Roms. Unter jedem Urtheil der Gerichte, unter jedem Erlaß der
Verwaltungsbehörden liest man die Unterschrift eines geistlichen Herrn. Der
Papst, nach ihm sein Cardinalsctretär, dann die übrigen Cardinüle, zuletzt die
Prälaten, verfügen zu Gunsten von Klerikern über alle höhern Stellen, mit
denen einiger Einfluß, und über die meisten niedern, mit denen guter Gehalt
verknüpft ist. Was übrig bleibt, fällt den Laien zu, wie die Brosamen vom
Tisch des reichen Mannes im Evangelium. Ausnahmen von der Regel werden
entweder als Gnadenausflüsse oder als ungern gegebene Zugeständnisse zur
Beschwichtigung der Unzufriedenen betrachtet.

Vertheidiger des Papstthums haben das Uebertreibung genannt; Graf
Nayneval in seiner bekannten Denkschrift hat nicht weniger als 14,576 welt-


Grenzboten I. 1360. 43

Priesterschaft entgegen, der in ihr seinen Hauptfeind wittert. In Rom leben einige
gelehrte Aerzte, einige tüchtige Advocaten, einige Künstler. Den Reichthum
des Mittelstandes vertreten etliche Landläufer und Intendanten, die auf Kosten
des Adels wohlhabend geworden sind. Wird ein Gcwerbtreibender reich, so
sucht er in der Regel sofort durch Ankauf eines adeligen Gutes oder vermit¬
telst eines Adelsbriefs in den Adel zu kommen. Beispiele sind die Torlonia,
deren Stammbaum in einem Wechslertisch wurzelt, die Ferrazuoli, die als
Tabakshändler reich wurden, die Macchi, deren Großvater ein Müller war,
die Calabrini, die als Pächter sich emporhalfen. Andere Adclshäuser ver¬
danken dem Nepotismus der Päpste ihre Erhebung, wieder andere, z. B. die
Orsini und die Colonna, waren schon im Mittelalter mächtige Familien, noch
andere leiten ihren Ursprung gar bis auf altrömische Helden zurück, so die
Massimo auf Fabius Maximus Cunctator, die Muti auf Mucius Scävola.
Der ältere Adel ist trotz seiner Majorate und Fideicommisse großentheils ver¬
armt. Zu trüge, um seine Güter selbst zu verwalten, zu prunkliebend, um
sich nach der ihm gebliebenen Decke zu strecken, ist er zu mehr als der Hälfte
seiner Mitglieder eine entschiedene Karrikatur auf die Titel, die er trügt. Fürsten
und Grafen leben vom Vermiethen der prächtigen Paläste, die ihr einziges
und untheilbares Erbtheil sind, aber derselbe Herr, der vielleicht den ärmlich¬
sten Tisch führt, muß ein Schloß in der Stadt und eins auf dem Lande, einen
Garten mit Bildsäulen, eine Gemäldegallerie, Karossen, Luxuspferde und La¬
kaien haben.

So arm ein großer Bruchtheil der Aristokratie im Kirchenstaat ist, so ein¬
flußlos ist der ganze Stand als solcher. Die Ergebenheitsadrcsse, die vor Kurzem
von einer Anzahl hoher Adeliger an Pius den Neunten gerichtet wurde, hat nicht
entfernt die Bedeutung,, die eine ähnliche Kundgebung in einem andern Staat
haben würde. Die einzige Classe, welche Macht und Einfluß besitzt, ist die
Priesterschaft. Kleriker sind die sämmtlichen Minister, die sämmtlichen Mit¬
glieder der apostolischen Kammer, fast alle Statthalter in den Provinzen, alle
Diplomaten Roms. Unter jedem Urtheil der Gerichte, unter jedem Erlaß der
Verwaltungsbehörden liest man die Unterschrift eines geistlichen Herrn. Der
Papst, nach ihm sein Cardinalsctretär, dann die übrigen Cardinüle, zuletzt die
Prälaten, verfügen zu Gunsten von Klerikern über alle höhern Stellen, mit
denen einiger Einfluß, und über die meisten niedern, mit denen guter Gehalt
verknüpft ist. Was übrig bleibt, fällt den Laien zu, wie die Brosamen vom
Tisch des reichen Mannes im Evangelium. Ausnahmen von der Regel werden
entweder als Gnadenausflüsse oder als ungern gegebene Zugeständnisse zur
Beschwichtigung der Unzufriedenen betrachtet.

Vertheidiger des Papstthums haben das Uebertreibung genannt; Graf
Nayneval in seiner bekannten Denkschrift hat nicht weniger als 14,576 welt-


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[0349] Priesterschaft entgegen, der in ihr seinen Hauptfeind wittert. In Rom leben einige gelehrte Aerzte, einige tüchtige Advocaten, einige Künstler. Den Reichthum des Mittelstandes vertreten etliche Landläufer und Intendanten, die auf Kosten des Adels wohlhabend geworden sind. Wird ein Gcwerbtreibender reich, so sucht er in der Regel sofort durch Ankauf eines adeligen Gutes oder vermit¬ telst eines Adelsbriefs in den Adel zu kommen. Beispiele sind die Torlonia, deren Stammbaum in einem Wechslertisch wurzelt, die Ferrazuoli, die als Tabakshändler reich wurden, die Macchi, deren Großvater ein Müller war, die Calabrini, die als Pächter sich emporhalfen. Andere Adclshäuser ver¬ danken dem Nepotismus der Päpste ihre Erhebung, wieder andere, z. B. die Orsini und die Colonna, waren schon im Mittelalter mächtige Familien, noch andere leiten ihren Ursprung gar bis auf altrömische Helden zurück, so die Massimo auf Fabius Maximus Cunctator, die Muti auf Mucius Scävola. Der ältere Adel ist trotz seiner Majorate und Fideicommisse großentheils ver¬ armt. Zu trüge, um seine Güter selbst zu verwalten, zu prunkliebend, um sich nach der ihm gebliebenen Decke zu strecken, ist er zu mehr als der Hälfte seiner Mitglieder eine entschiedene Karrikatur auf die Titel, die er trügt. Fürsten und Grafen leben vom Vermiethen der prächtigen Paläste, die ihr einziges und untheilbares Erbtheil sind, aber derselbe Herr, der vielleicht den ärmlich¬ sten Tisch führt, muß ein Schloß in der Stadt und eins auf dem Lande, einen Garten mit Bildsäulen, eine Gemäldegallerie, Karossen, Luxuspferde und La¬ kaien haben. So arm ein großer Bruchtheil der Aristokratie im Kirchenstaat ist, so ein¬ flußlos ist der ganze Stand als solcher. Die Ergebenheitsadrcsse, die vor Kurzem von einer Anzahl hoher Adeliger an Pius den Neunten gerichtet wurde, hat nicht entfernt die Bedeutung,, die eine ähnliche Kundgebung in einem andern Staat haben würde. Die einzige Classe, welche Macht und Einfluß besitzt, ist die Priesterschaft. Kleriker sind die sämmtlichen Minister, die sämmtlichen Mit¬ glieder der apostolischen Kammer, fast alle Statthalter in den Provinzen, alle Diplomaten Roms. Unter jedem Urtheil der Gerichte, unter jedem Erlaß der Verwaltungsbehörden liest man die Unterschrift eines geistlichen Herrn. Der Papst, nach ihm sein Cardinalsctretär, dann die übrigen Cardinüle, zuletzt die Prälaten, verfügen zu Gunsten von Klerikern über alle höhern Stellen, mit denen einiger Einfluß, und über die meisten niedern, mit denen guter Gehalt verknüpft ist. Was übrig bleibt, fällt den Laien zu, wie die Brosamen vom Tisch des reichen Mannes im Evangelium. Ausnahmen von der Regel werden entweder als Gnadenausflüsse oder als ungern gegebene Zugeständnisse zur Beschwichtigung der Unzufriedenen betrachtet. Vertheidiger des Papstthums haben das Uebertreibung genannt; Graf Nayneval in seiner bekannten Denkschrift hat nicht weniger als 14,576 welt- Grenzboten I. 1360. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/349>, abgerufen am 23.07.2024.