Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lichen Einfluß der Hauptstadt länger und unmittelbarer erfahren hat. Während
Rom mit einer Bevölkerung von 180,000 Seelen durch seine begünstigte Industrie
nicht mehr als 6000 Personen beschäftigt, zählt Bologna unter seinen 80,000
Einwohnern allein 12,000 Schleiermacher, und während die Mittelmeerküste bei
175 italienischen Meilen Länge nur 109 Handelsschiffe besitzt, hat die adria-
tische bei einer Ausdehnung von 198 Meilen deren 1065, obwol Civita Vec-
chia ebenso wie Ancona Freihafen und auch alle andern Verhältnisse gleich
günstig sind.

In Umbricn, der Heimat der Tyrannen und der Heiligen, mit seiner
durch den Muth ihrer Männer und die Schönheit ihrer Frauen berühmten
Hauptstadt Perugia, so wie in der binnenländischen Provinz Macerata stehen
sich Hohe und Niedrige imUcbcrfluß einiger Lebensbedürfnisse und im Mangel
der Genüsse der Civilisation sehr nahe. Die Nomagnolen sind ein an geistiger
und körperlicher Kraft reicher Menschenschlag, in der Ehe getreu, tapfern Sin¬
nes, nach dem Urtheil östreichischer Generale ein vortreffliches Material zu
Soldaten. Wenn sie bis jetzt in letzterer Hinsicht nichts leisteten, so erklärt
sich das leicht. Bis auf das letzte Jahr ergänzte sich das päpstliche Militär
aus losem Gesindel, das der Werbetrommel folgte, weil es nichts Besseres
zu thun wußte, und einem jungen Mann von Ehrgefühl muß es schwer an¬
kommen, sich von Priestern inspiciren zu lassen; denn auch der Kriegsminister
in Rom ist ein Kleriker. Die Romagna ist unzweifelhaft das werthvollste
Stück des Erbtheils Sanct Peters. Der Sinn für das italienische Vaterland
und der Municipalgeist sind kräftig, trotzig trat schon seit Jahren Bologna
der Willkür der Regierung entgegen. Es besitzt einen Adel, der sich in den
Wissenschaften hervorthut. Wenn Krastbewußtsein und die gebirgige Grenze
viele aus dem niedern Volke verlockte, aus Raub und Schmuggel einen Be¬
ruf zu machen und der Charakter des großen Haufens gewaltthätiger ist, als
man wünschen muß, so liegt die Schuld in der Hauptsache an der verzweifelt
unnatürlichen Stellung der Romagna und an dem Priesterregiment, welches
jenes Kraftbewußtsein in keine bessern Bahnen zu lenken wußte. Will man
die Nomagnolen nicht ungerecht beurtheilen, so muß man sich erinnern, wie
man sie seit Jahrhunderten von oben herab behandelt hat. Ganz dasselbe
gilt von den Bewohnern der südwestlichen Striche des Kirchenstaates, wo
sich jetzt nicht einmal das Material zu guten Bürgern häusig findet. Die
niedere Classe ist hier unwissend, trag und ausschweifend. Man hätschelt sie,
indem man ihr bei Gesetzübertretungen durch die Finger sieht, und sie mit
Almosen füttert. Der Dank dafür war in den letzten Jahren, daß sie die
Reihen der Mazzinisten verstärkte. Die Mittelclasse wird systematisch nieder¬
gedrückt. Mag sie sich in der Kanzlei versuchen, den Degen umgürten, sich
an kaufmännische Unternehmungen wagen, überall tritt ihr der Jnstinct der


lichen Einfluß der Hauptstadt länger und unmittelbarer erfahren hat. Während
Rom mit einer Bevölkerung von 180,000 Seelen durch seine begünstigte Industrie
nicht mehr als 6000 Personen beschäftigt, zählt Bologna unter seinen 80,000
Einwohnern allein 12,000 Schleiermacher, und während die Mittelmeerküste bei
175 italienischen Meilen Länge nur 109 Handelsschiffe besitzt, hat die adria-
tische bei einer Ausdehnung von 198 Meilen deren 1065, obwol Civita Vec-
chia ebenso wie Ancona Freihafen und auch alle andern Verhältnisse gleich
günstig sind.

In Umbricn, der Heimat der Tyrannen und der Heiligen, mit seiner
durch den Muth ihrer Männer und die Schönheit ihrer Frauen berühmten
Hauptstadt Perugia, so wie in der binnenländischen Provinz Macerata stehen
sich Hohe und Niedrige imUcbcrfluß einiger Lebensbedürfnisse und im Mangel
der Genüsse der Civilisation sehr nahe. Die Nomagnolen sind ein an geistiger
und körperlicher Kraft reicher Menschenschlag, in der Ehe getreu, tapfern Sin¬
nes, nach dem Urtheil östreichischer Generale ein vortreffliches Material zu
Soldaten. Wenn sie bis jetzt in letzterer Hinsicht nichts leisteten, so erklärt
sich das leicht. Bis auf das letzte Jahr ergänzte sich das päpstliche Militär
aus losem Gesindel, das der Werbetrommel folgte, weil es nichts Besseres
zu thun wußte, und einem jungen Mann von Ehrgefühl muß es schwer an¬
kommen, sich von Priestern inspiciren zu lassen; denn auch der Kriegsminister
in Rom ist ein Kleriker. Die Romagna ist unzweifelhaft das werthvollste
Stück des Erbtheils Sanct Peters. Der Sinn für das italienische Vaterland
und der Municipalgeist sind kräftig, trotzig trat schon seit Jahren Bologna
der Willkür der Regierung entgegen. Es besitzt einen Adel, der sich in den
Wissenschaften hervorthut. Wenn Krastbewußtsein und die gebirgige Grenze
viele aus dem niedern Volke verlockte, aus Raub und Schmuggel einen Be¬
ruf zu machen und der Charakter des großen Haufens gewaltthätiger ist, als
man wünschen muß, so liegt die Schuld in der Hauptsache an der verzweifelt
unnatürlichen Stellung der Romagna und an dem Priesterregiment, welches
jenes Kraftbewußtsein in keine bessern Bahnen zu lenken wußte. Will man
die Nomagnolen nicht ungerecht beurtheilen, so muß man sich erinnern, wie
man sie seit Jahrhunderten von oben herab behandelt hat. Ganz dasselbe
gilt von den Bewohnern der südwestlichen Striche des Kirchenstaates, wo
sich jetzt nicht einmal das Material zu guten Bürgern häusig findet. Die
niedere Classe ist hier unwissend, trag und ausschweifend. Man hätschelt sie,
indem man ihr bei Gesetzübertretungen durch die Finger sieht, und sie mit
Almosen füttert. Der Dank dafür war in den letzten Jahren, daß sie die
Reihen der Mazzinisten verstärkte. Die Mittelclasse wird systematisch nieder¬
gedrückt. Mag sie sich in der Kanzlei versuchen, den Degen umgürten, sich
an kaufmännische Unternehmungen wagen, überall tritt ihr der Jnstinct der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109070"/>
          <p xml:id="ID_991" prev="#ID_990"> lichen Einfluß der Hauptstadt länger und unmittelbarer erfahren hat. Während<lb/>
Rom mit einer Bevölkerung von 180,000 Seelen durch seine begünstigte Industrie<lb/>
nicht mehr als 6000 Personen beschäftigt, zählt Bologna unter seinen 80,000<lb/>
Einwohnern allein 12,000 Schleiermacher, und während die Mittelmeerküste bei<lb/>
175 italienischen Meilen Länge nur 109 Handelsschiffe besitzt, hat die adria-<lb/>
tische bei einer Ausdehnung von 198 Meilen deren 1065, obwol Civita Vec-<lb/>
chia ebenso wie Ancona Freihafen und auch alle andern Verhältnisse gleich<lb/>
günstig sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_992" next="#ID_993"> In Umbricn, der Heimat der Tyrannen und der Heiligen, mit seiner<lb/>
durch den Muth ihrer Männer und die Schönheit ihrer Frauen berühmten<lb/>
Hauptstadt Perugia, so wie in der binnenländischen Provinz Macerata stehen<lb/>
sich Hohe und Niedrige imUcbcrfluß einiger Lebensbedürfnisse und im Mangel<lb/>
der Genüsse der Civilisation sehr nahe. Die Nomagnolen sind ein an geistiger<lb/>
und körperlicher Kraft reicher Menschenschlag, in der Ehe getreu, tapfern Sin¬<lb/>
nes, nach dem Urtheil östreichischer Generale ein vortreffliches Material zu<lb/>
Soldaten. Wenn sie bis jetzt in letzterer Hinsicht nichts leisteten, so erklärt<lb/>
sich das leicht. Bis auf das letzte Jahr ergänzte sich das päpstliche Militär<lb/>
aus losem Gesindel, das der Werbetrommel folgte, weil es nichts Besseres<lb/>
zu thun wußte, und einem jungen Mann von Ehrgefühl muß es schwer an¬<lb/>
kommen, sich von Priestern inspiciren zu lassen; denn auch der Kriegsminister<lb/>
in Rom ist ein Kleriker. Die Romagna ist unzweifelhaft das werthvollste<lb/>
Stück des Erbtheils Sanct Peters. Der Sinn für das italienische Vaterland<lb/>
und der Municipalgeist sind kräftig, trotzig trat schon seit Jahren Bologna<lb/>
der Willkür der Regierung entgegen. Es besitzt einen Adel, der sich in den<lb/>
Wissenschaften hervorthut. Wenn Krastbewußtsein und die gebirgige Grenze<lb/>
viele aus dem niedern Volke verlockte, aus Raub und Schmuggel einen Be¬<lb/>
ruf zu machen und der Charakter des großen Haufens gewaltthätiger ist, als<lb/>
man wünschen muß, so liegt die Schuld in der Hauptsache an der verzweifelt<lb/>
unnatürlichen Stellung der Romagna und an dem Priesterregiment, welches<lb/>
jenes Kraftbewußtsein in keine bessern Bahnen zu lenken wußte. Will man<lb/>
die Nomagnolen nicht ungerecht beurtheilen, so muß man sich erinnern, wie<lb/>
man sie seit Jahrhunderten von oben herab behandelt hat. Ganz dasselbe<lb/>
gilt von den Bewohnern der südwestlichen Striche des Kirchenstaates, wo<lb/>
sich jetzt nicht einmal das Material zu guten Bürgern häusig findet. Die<lb/>
niedere Classe ist hier unwissend, trag und ausschweifend. Man hätschelt sie,<lb/>
indem man ihr bei Gesetzübertretungen durch die Finger sieht, und sie mit<lb/>
Almosen füttert. Der Dank dafür war in den letzten Jahren, daß sie die<lb/>
Reihen der Mazzinisten verstärkte. Die Mittelclasse wird systematisch nieder¬<lb/>
gedrückt. Mag sie sich in der Kanzlei versuchen, den Degen umgürten, sich<lb/>
an kaufmännische Unternehmungen wagen, überall tritt ihr der Jnstinct der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0348] lichen Einfluß der Hauptstadt länger und unmittelbarer erfahren hat. Während Rom mit einer Bevölkerung von 180,000 Seelen durch seine begünstigte Industrie nicht mehr als 6000 Personen beschäftigt, zählt Bologna unter seinen 80,000 Einwohnern allein 12,000 Schleiermacher, und während die Mittelmeerküste bei 175 italienischen Meilen Länge nur 109 Handelsschiffe besitzt, hat die adria- tische bei einer Ausdehnung von 198 Meilen deren 1065, obwol Civita Vec- chia ebenso wie Ancona Freihafen und auch alle andern Verhältnisse gleich günstig sind. In Umbricn, der Heimat der Tyrannen und der Heiligen, mit seiner durch den Muth ihrer Männer und die Schönheit ihrer Frauen berühmten Hauptstadt Perugia, so wie in der binnenländischen Provinz Macerata stehen sich Hohe und Niedrige imUcbcrfluß einiger Lebensbedürfnisse und im Mangel der Genüsse der Civilisation sehr nahe. Die Nomagnolen sind ein an geistiger und körperlicher Kraft reicher Menschenschlag, in der Ehe getreu, tapfern Sin¬ nes, nach dem Urtheil östreichischer Generale ein vortreffliches Material zu Soldaten. Wenn sie bis jetzt in letzterer Hinsicht nichts leisteten, so erklärt sich das leicht. Bis auf das letzte Jahr ergänzte sich das päpstliche Militär aus losem Gesindel, das der Werbetrommel folgte, weil es nichts Besseres zu thun wußte, und einem jungen Mann von Ehrgefühl muß es schwer an¬ kommen, sich von Priestern inspiciren zu lassen; denn auch der Kriegsminister in Rom ist ein Kleriker. Die Romagna ist unzweifelhaft das werthvollste Stück des Erbtheils Sanct Peters. Der Sinn für das italienische Vaterland und der Municipalgeist sind kräftig, trotzig trat schon seit Jahren Bologna der Willkür der Regierung entgegen. Es besitzt einen Adel, der sich in den Wissenschaften hervorthut. Wenn Krastbewußtsein und die gebirgige Grenze viele aus dem niedern Volke verlockte, aus Raub und Schmuggel einen Be¬ ruf zu machen und der Charakter des großen Haufens gewaltthätiger ist, als man wünschen muß, so liegt die Schuld in der Hauptsache an der verzweifelt unnatürlichen Stellung der Romagna und an dem Priesterregiment, welches jenes Kraftbewußtsein in keine bessern Bahnen zu lenken wußte. Will man die Nomagnolen nicht ungerecht beurtheilen, so muß man sich erinnern, wie man sie seit Jahrhunderten von oben herab behandelt hat. Ganz dasselbe gilt von den Bewohnern der südwestlichen Striche des Kirchenstaates, wo sich jetzt nicht einmal das Material zu guten Bürgern häusig findet. Die niedere Classe ist hier unwissend, trag und ausschweifend. Man hätschelt sie, indem man ihr bei Gesetzübertretungen durch die Finger sieht, und sie mit Almosen füttert. Der Dank dafür war in den letzten Jahren, daß sie die Reihen der Mazzinisten verstärkte. Die Mittelclasse wird systematisch nieder¬ gedrückt. Mag sie sich in der Kanzlei versuchen, den Degen umgürten, sich an kaufmännische Unternehmungen wagen, überall tritt ihr der Jnstinct der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/348
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/348>, abgerufen am 23.07.2024.