Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kann nicht als eine europäische Großmacht neutral bleiben, während es sein
Buudcscontingent zum Kriege, schickt, wie es z> B. bei Dänemark möglich ist,
und Deutschland hat dasselbe Interesse daran, daß die preußische Armee, seine
Hauptstärke, zusammen bleibe. -- Am schwächsten ist, was über ein ander¬
weitiges Arrangement gesagt ist. Wenn nämlich Preußen sich weigert, seine
Truppen einem nicht preußischen Feldherrn unterzuordnen, so sei die natürliche
Folge, daß die Staaten außer Oestreich und Preußen ihre Truppen zu einem
dritten Heerkörper vereinigen. -- Die Unmöglichkeit ergibt sich bei einem flüch¬
tigen Blick auf die Karte, selbst wenn wir die kiizliche Frage, ob die hannö-
verschen Truppen lieber unter einem preußischen oder baierschcn General stehen
wollten, bei Seite lassen.

Was nun jenen sehr benchtenSwerthen kritischen Theil der Beust'scheu
Denkschrift betrifft, so müssen wir zur Erörterung desselben etwas tiefer zu-
rückgehn. Es ist nach unserer Ueberzeugung bei politischen Arrangements
von größerer Tragweite nothwendig, nicht die Gefühle, sondern die Interessen
zu Grunde zu legen. Die Gefühle können sehr mächtig sein im Moment
einer gewaltigen Erhebung, aber sie können nicht dauernd einer Institution
zu Grunde liegen. Das Gefühl des deutschen Patriotismus hat 1813 seine
Feuerprobe bestanden; aber es wird für Deutschlands Wohl am räthlichsten
sein, wenn man es so selten als möglich anspannt. Die Bundesverfassung
ging auch ursprünglich nicht darauf aus. Sie hatte den Zweck, die politische
Bewegung so viel als möglich zu unterdrücken. Was aver in Zeiten möglich
war, wo auch das Ausland keine besondere Kraft zeigte, würde jetzt nicht mehr
durchführbar sein. Frankreich und Rußland stehen mit verdoppelten Kräften
an unsern Grenzen, und jeder Tag bringt die Gefahr näher, daß sie dieselben
überschreiten. So weit in Deutschland die politischen Ansichten sich von ein¬
ander trennen mögen, in einem Punkt wenigstens glauben wir vollständige
Uebereinstimmung annehmen zu dürfen: daß dem Ausländer, daß den Fran¬
zosen und Nüssen kein Fuß breit dentschen Bodens abgetreten werden dürfe.
Die Hoffnungen aber des Ausländers, uns etwas abzugewinnen, sind darauf
basirt, daß die beiden hauptsächlichen Rechtstitel unserer Verfassung, die
Souveränetät der einzelnen Fürsten und der Bundesvertrag, sich an vielen
Stellen an einander reiben.

Formell hat jeder deutsche Fürst mit Ausnahme seiner Beziehungen zu
den übrigen deutschen Bundcsgliedern die volle Souveränetät; materiell kann
sie aber außer Oestreich Niemand ausüben. Wenn Hannover von' Frankreich
beleidigt wird, so ist kein rechtlicher Grund vorhanden, warum es ihm nicht
Krieg erklären soll; aber ein Recht, das nie in Ausübung gebracht werden
kann, hört auf ein Recht zu sein. Preußen hat noch dazu den Titel einer eu¬
ropäischen Großmacht; aber es kann seit Errichtung des deutschen Bundes


kann nicht als eine europäische Großmacht neutral bleiben, während es sein
Buudcscontingent zum Kriege, schickt, wie es z> B. bei Dänemark möglich ist,
und Deutschland hat dasselbe Interesse daran, daß die preußische Armee, seine
Hauptstärke, zusammen bleibe. — Am schwächsten ist, was über ein ander¬
weitiges Arrangement gesagt ist. Wenn nämlich Preußen sich weigert, seine
Truppen einem nicht preußischen Feldherrn unterzuordnen, so sei die natürliche
Folge, daß die Staaten außer Oestreich und Preußen ihre Truppen zu einem
dritten Heerkörper vereinigen. — Die Unmöglichkeit ergibt sich bei einem flüch¬
tigen Blick auf die Karte, selbst wenn wir die kiizliche Frage, ob die hannö-
verschen Truppen lieber unter einem preußischen oder baierschcn General stehen
wollten, bei Seite lassen.

Was nun jenen sehr benchtenSwerthen kritischen Theil der Beust'scheu
Denkschrift betrifft, so müssen wir zur Erörterung desselben etwas tiefer zu-
rückgehn. Es ist nach unserer Ueberzeugung bei politischen Arrangements
von größerer Tragweite nothwendig, nicht die Gefühle, sondern die Interessen
zu Grunde zu legen. Die Gefühle können sehr mächtig sein im Moment
einer gewaltigen Erhebung, aber sie können nicht dauernd einer Institution
zu Grunde liegen. Das Gefühl des deutschen Patriotismus hat 1813 seine
Feuerprobe bestanden; aber es wird für Deutschlands Wohl am räthlichsten
sein, wenn man es so selten als möglich anspannt. Die Bundesverfassung
ging auch ursprünglich nicht darauf aus. Sie hatte den Zweck, die politische
Bewegung so viel als möglich zu unterdrücken. Was aver in Zeiten möglich
war, wo auch das Ausland keine besondere Kraft zeigte, würde jetzt nicht mehr
durchführbar sein. Frankreich und Rußland stehen mit verdoppelten Kräften
an unsern Grenzen, und jeder Tag bringt die Gefahr näher, daß sie dieselben
überschreiten. So weit in Deutschland die politischen Ansichten sich von ein¬
ander trennen mögen, in einem Punkt wenigstens glauben wir vollständige
Uebereinstimmung annehmen zu dürfen: daß dem Ausländer, daß den Fran¬
zosen und Nüssen kein Fuß breit dentschen Bodens abgetreten werden dürfe.
Die Hoffnungen aber des Ausländers, uns etwas abzugewinnen, sind darauf
basirt, daß die beiden hauptsächlichen Rechtstitel unserer Verfassung, die
Souveränetät der einzelnen Fürsten und der Bundesvertrag, sich an vielen
Stellen an einander reiben.

Formell hat jeder deutsche Fürst mit Ausnahme seiner Beziehungen zu
den übrigen deutschen Bundcsgliedern die volle Souveränetät; materiell kann
sie aber außer Oestreich Niemand ausüben. Wenn Hannover von' Frankreich
beleidigt wird, so ist kein rechtlicher Grund vorhanden, warum es ihm nicht
Krieg erklären soll; aber ein Recht, das nie in Ausübung gebracht werden
kann, hört auf ein Recht zu sein. Preußen hat noch dazu den Titel einer eu¬
ropäischen Großmacht; aber es kann seit Errichtung des deutschen Bundes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0337" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109059"/>
          <p xml:id="ID_961" prev="#ID_960"> kann nicht als eine europäische Großmacht neutral bleiben, während es sein<lb/>
Buudcscontingent zum Kriege, schickt, wie es z&gt; B. bei Dänemark möglich ist,<lb/>
und Deutschland hat dasselbe Interesse daran, daß die preußische Armee, seine<lb/>
Hauptstärke, zusammen bleibe. &#x2014; Am schwächsten ist, was über ein ander¬<lb/>
weitiges Arrangement gesagt ist. Wenn nämlich Preußen sich weigert, seine<lb/>
Truppen einem nicht preußischen Feldherrn unterzuordnen, so sei die natürliche<lb/>
Folge, daß die Staaten außer Oestreich und Preußen ihre Truppen zu einem<lb/>
dritten Heerkörper vereinigen. &#x2014; Die Unmöglichkeit ergibt sich bei einem flüch¬<lb/>
tigen Blick auf die Karte, selbst wenn wir die kiizliche Frage, ob die hannö-<lb/>
verschen Truppen lieber unter einem preußischen oder baierschcn General stehen<lb/>
wollten, bei Seite lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_962"> Was nun jenen sehr benchtenSwerthen kritischen Theil der Beust'scheu<lb/>
Denkschrift betrifft, so müssen wir zur Erörterung desselben etwas tiefer zu-<lb/>
rückgehn. Es ist nach unserer Ueberzeugung bei politischen Arrangements<lb/>
von größerer Tragweite nothwendig, nicht die Gefühle, sondern die Interessen<lb/>
zu Grunde zu legen. Die Gefühle können sehr mächtig sein im Moment<lb/>
einer gewaltigen Erhebung, aber sie können nicht dauernd einer Institution<lb/>
zu Grunde liegen. Das Gefühl des deutschen Patriotismus hat 1813 seine<lb/>
Feuerprobe bestanden; aber es wird für Deutschlands Wohl am räthlichsten<lb/>
sein, wenn man es so selten als möglich anspannt. Die Bundesverfassung<lb/>
ging auch ursprünglich nicht darauf aus. Sie hatte den Zweck, die politische<lb/>
Bewegung so viel als möglich zu unterdrücken. Was aver in Zeiten möglich<lb/>
war, wo auch das Ausland keine besondere Kraft zeigte, würde jetzt nicht mehr<lb/>
durchführbar sein. Frankreich und Rußland stehen mit verdoppelten Kräften<lb/>
an unsern Grenzen, und jeder Tag bringt die Gefahr näher, daß sie dieselben<lb/>
überschreiten. So weit in Deutschland die politischen Ansichten sich von ein¬<lb/>
ander trennen mögen, in einem Punkt wenigstens glauben wir vollständige<lb/>
Uebereinstimmung annehmen zu dürfen: daß dem Ausländer, daß den Fran¬<lb/>
zosen und Nüssen kein Fuß breit dentschen Bodens abgetreten werden dürfe.<lb/>
Die Hoffnungen aber des Ausländers, uns etwas abzugewinnen, sind darauf<lb/>
basirt, daß die beiden hauptsächlichen Rechtstitel unserer Verfassung, die<lb/>
Souveränetät der einzelnen Fürsten und der Bundesvertrag, sich an vielen<lb/>
Stellen an einander reiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_963" next="#ID_964"> Formell hat jeder deutsche Fürst mit Ausnahme seiner Beziehungen zu<lb/>
den übrigen deutschen Bundcsgliedern die volle Souveränetät; materiell kann<lb/>
sie aber außer Oestreich Niemand ausüben. Wenn Hannover von' Frankreich<lb/>
beleidigt wird, so ist kein rechtlicher Grund vorhanden, warum es ihm nicht<lb/>
Krieg erklären soll; aber ein Recht, das nie in Ausübung gebracht werden<lb/>
kann, hört auf ein Recht zu sein. Preußen hat noch dazu den Titel einer eu¬<lb/>
ropäischen Großmacht; aber es kann seit Errichtung des deutschen Bundes</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0337] kann nicht als eine europäische Großmacht neutral bleiben, während es sein Buudcscontingent zum Kriege, schickt, wie es z> B. bei Dänemark möglich ist, und Deutschland hat dasselbe Interesse daran, daß die preußische Armee, seine Hauptstärke, zusammen bleibe. — Am schwächsten ist, was über ein ander¬ weitiges Arrangement gesagt ist. Wenn nämlich Preußen sich weigert, seine Truppen einem nicht preußischen Feldherrn unterzuordnen, so sei die natürliche Folge, daß die Staaten außer Oestreich und Preußen ihre Truppen zu einem dritten Heerkörper vereinigen. — Die Unmöglichkeit ergibt sich bei einem flüch¬ tigen Blick auf die Karte, selbst wenn wir die kiizliche Frage, ob die hannö- verschen Truppen lieber unter einem preußischen oder baierschcn General stehen wollten, bei Seite lassen. Was nun jenen sehr benchtenSwerthen kritischen Theil der Beust'scheu Denkschrift betrifft, so müssen wir zur Erörterung desselben etwas tiefer zu- rückgehn. Es ist nach unserer Ueberzeugung bei politischen Arrangements von größerer Tragweite nothwendig, nicht die Gefühle, sondern die Interessen zu Grunde zu legen. Die Gefühle können sehr mächtig sein im Moment einer gewaltigen Erhebung, aber sie können nicht dauernd einer Institution zu Grunde liegen. Das Gefühl des deutschen Patriotismus hat 1813 seine Feuerprobe bestanden; aber es wird für Deutschlands Wohl am räthlichsten sein, wenn man es so selten als möglich anspannt. Die Bundesverfassung ging auch ursprünglich nicht darauf aus. Sie hatte den Zweck, die politische Bewegung so viel als möglich zu unterdrücken. Was aver in Zeiten möglich war, wo auch das Ausland keine besondere Kraft zeigte, würde jetzt nicht mehr durchführbar sein. Frankreich und Rußland stehen mit verdoppelten Kräften an unsern Grenzen, und jeder Tag bringt die Gefahr näher, daß sie dieselben überschreiten. So weit in Deutschland die politischen Ansichten sich von ein¬ ander trennen mögen, in einem Punkt wenigstens glauben wir vollständige Uebereinstimmung annehmen zu dürfen: daß dem Ausländer, daß den Fran¬ zosen und Nüssen kein Fuß breit dentschen Bodens abgetreten werden dürfe. Die Hoffnungen aber des Ausländers, uns etwas abzugewinnen, sind darauf basirt, daß die beiden hauptsächlichen Rechtstitel unserer Verfassung, die Souveränetät der einzelnen Fürsten und der Bundesvertrag, sich an vielen Stellen an einander reiben. Formell hat jeder deutsche Fürst mit Ausnahme seiner Beziehungen zu den übrigen deutschen Bundcsgliedern die volle Souveränetät; materiell kann sie aber außer Oestreich Niemand ausüben. Wenn Hannover von' Frankreich beleidigt wird, so ist kein rechtlicher Grund vorhanden, warum es ihm nicht Krieg erklären soll; aber ein Recht, das nie in Ausübung gebracht werden kann, hört auf ein Recht zu sein. Preußen hat noch dazu den Titel einer eu¬ ropäischen Großmacht; aber es kann seit Errichtung des deutschen Bundes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/337
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/337>, abgerufen am 23.07.2024.