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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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solche sehr viel Truppen, die, weil sie vertheilt sind, da zu schwach sein wer¬
den, wo der Feind einen ernsten Angriff unternimmt. Wie viel Geld hat es
England gekostet, seine User zu befestigen, und wie wenig würde ihm dies
nützen, wenn es nicht eine starke Flotte besäße. Wie tüchtig sind dagegen
die Vertheidigungsanstalten an der französischen Nordküste. Werfen wir einen
raschen Blick auf die charakteristischen Unterschiede der englischen und franzö¬
sischen Uftrverthcidigung, um das zu begründen, was über die Befestigung
der deutschen Nordküste zu sagen ist.

England übergibt den Schutz seiner Küsten im Wesentlichen seinen höl¬
zernen oder eisernen schwimmenden Festungen, es sucht seine Stärke in erster
Linie in seiner Kriegsflotte, in zweiter Linie liegt hinter dieser eine Anzahl
befestigter Hasen, deren Zwischenräume durch Martellos (kleine runde casemattirte
Thürme) besetzt sind, von denen jedes höchstens hundert Mann faßt und mit
zwei bis vier Geschützen armirt ist. An eine Neservestellung hinter dieser
zweiten Linie hat man nicht gedacht, ebenso wenig an rückwärtsliegende
Festungen, welche die Fortschritte des Feindes hemmen, wenn derselbe einmal
die Landung erzwungen hat. In Frankreich ist dies anders: nur die wesent¬
lichsten Küstenpunkte sind stark befestigt, und zwar so, daß die Flotte in ihnen
Schutz findet, zur Vertheidigung derselben aber nicht mitzuwirken braucht,
während bei den englischen Seefesten, außer in Malta und Gibraltar, stets da¬
rauf gerechnet ist. Während z. B. in Cherbourg die Flotte im Kriegshafen
durch Befestigungen aller Art vor einem feindlichen Angriffe vollständig ge¬
schützt und geborgen ist, muß sie in Portsmouth die Rhede von Spithead
halten, um dem Feinde das Vordringen zwischen der Insel Wight und dem
Festlande -- also nach dem Kriegshafen -- zu wehren. Ebenso ist es in
Dover sowie in den Seefesten an der Themsemündung. Ist die Flotte geschlagen,
so verlieren jene Festungen natürlich bedeutend an Widerstandsfähigkeit, auch
muß man stets eine Anzahl Schiffe zu ihrer Vertheidigung zurücklassen: die
bei einem Seekriege anderwärts besser verwendet werden können. In Frank¬
reich ist Paris der Centralpunkt der Befestigungen der Nordgrenze sowol als
der des Rheins und der gegen Belgien, es ist der Knotenpunkt aller Eisen¬
bahnen und können von hier aus Truppenmassen in der größten Geschwindig¬
keit nach den bedrohten Küstenpunkten geworfen werden, um die Fortschritte
eines gekanteten Feindes zu verhindern und ihn zur Einschiffung zu zwingen;
die Besatzung dieser Stadt mit Umgebung beträgt mehr als 100,000 Mann,
welche sich stets auf dem Kriegsfuße befinden. Damit begnügte man sich
aber noch nicht: das stehende Lager von Boulogne ist eine der englischen
Küste zunächst gelegene Stellung, die bei jeder versuchten Landung den feindlichen
Truppen in der Flanke liegt, so wie diese sich von der Küste Frankreichs
nach dessen Innern in Bewegung setzen sollten. Frankreich besitzt demnach


solche sehr viel Truppen, die, weil sie vertheilt sind, da zu schwach sein wer¬
den, wo der Feind einen ernsten Angriff unternimmt. Wie viel Geld hat es
England gekostet, seine User zu befestigen, und wie wenig würde ihm dies
nützen, wenn es nicht eine starke Flotte besäße. Wie tüchtig sind dagegen
die Vertheidigungsanstalten an der französischen Nordküste. Werfen wir einen
raschen Blick auf die charakteristischen Unterschiede der englischen und franzö¬
sischen Uftrverthcidigung, um das zu begründen, was über die Befestigung
der deutschen Nordküste zu sagen ist.

England übergibt den Schutz seiner Küsten im Wesentlichen seinen höl¬
zernen oder eisernen schwimmenden Festungen, es sucht seine Stärke in erster
Linie in seiner Kriegsflotte, in zweiter Linie liegt hinter dieser eine Anzahl
befestigter Hasen, deren Zwischenräume durch Martellos (kleine runde casemattirte
Thürme) besetzt sind, von denen jedes höchstens hundert Mann faßt und mit
zwei bis vier Geschützen armirt ist. An eine Neservestellung hinter dieser
zweiten Linie hat man nicht gedacht, ebenso wenig an rückwärtsliegende
Festungen, welche die Fortschritte des Feindes hemmen, wenn derselbe einmal
die Landung erzwungen hat. In Frankreich ist dies anders: nur die wesent¬
lichsten Küstenpunkte sind stark befestigt, und zwar so, daß die Flotte in ihnen
Schutz findet, zur Vertheidigung derselben aber nicht mitzuwirken braucht,
während bei den englischen Seefesten, außer in Malta und Gibraltar, stets da¬
rauf gerechnet ist. Während z. B. in Cherbourg die Flotte im Kriegshafen
durch Befestigungen aller Art vor einem feindlichen Angriffe vollständig ge¬
schützt und geborgen ist, muß sie in Portsmouth die Rhede von Spithead
halten, um dem Feinde das Vordringen zwischen der Insel Wight und dem
Festlande — also nach dem Kriegshafen — zu wehren. Ebenso ist es in
Dover sowie in den Seefesten an der Themsemündung. Ist die Flotte geschlagen,
so verlieren jene Festungen natürlich bedeutend an Widerstandsfähigkeit, auch
muß man stets eine Anzahl Schiffe zu ihrer Vertheidigung zurücklassen: die
bei einem Seekriege anderwärts besser verwendet werden können. In Frank¬
reich ist Paris der Centralpunkt der Befestigungen der Nordgrenze sowol als
der des Rheins und der gegen Belgien, es ist der Knotenpunkt aller Eisen¬
bahnen und können von hier aus Truppenmassen in der größten Geschwindig¬
keit nach den bedrohten Küstenpunkten geworfen werden, um die Fortschritte
eines gekanteten Feindes zu verhindern und ihn zur Einschiffung zu zwingen;
die Besatzung dieser Stadt mit Umgebung beträgt mehr als 100,000 Mann,
welche sich stets auf dem Kriegsfuße befinden. Damit begnügte man sich
aber noch nicht: das stehende Lager von Boulogne ist eine der englischen
Küste zunächst gelegene Stellung, die bei jeder versuchten Landung den feindlichen
Truppen in der Flanke liegt, so wie diese sich von der Küste Frankreichs
nach dessen Innern in Bewegung setzen sollten. Frankreich besitzt demnach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/323>, abgerufen am 25.08.2024.