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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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mangeln." Die Konservativen hofften den Staatssekretär Lambruschini, die
Seele des bisherigen Regiments, durchzusetzen. Die Wünsche der Liberalen
waren auf den Cardinal Gizzi gerichtet, der sich als Legat von Forli dadurch -
empfohlen, daß er die Ausnahmegerichte von seiner Provinz abgelehnt hatte.
Von den Genannten erhielt nur Lambruschini viele Stimmen, keiner die
Majorität. Negative Eigenschaften empfehlen oft bei den Wählern mehr als
positive. Dem gutmüthigen Bischof von Jmvla, Mastai Ferretti, konnte nichts
Schlimmes, namentlich keine Härte nachgesagt werden, er galt für ein men¬
schenfreundliches frommes Herz und für der Reform geneigt, die vor dem Schluß
der Conclave von Rossi, dem Gesandten Frankreichs, ernstlich empfohlen worden
war. Aus ihn vereinigte sich am dritten Tage die Majorität der Stimmen.

Die große Mehrzal der Römer kannte den neuen Pontifex nicht. Es
galt zunächst die enttäuschten Parteien mit der unerwarteten Wahl zu ver¬
söhnen. Dem niedern Volk erzählte man eine derbe Anekdote von seinem Kan¬
didaten. "Wenn der Teufel die Cardinäle inspirirt," sollte Micara zu Lam¬
bruschini gesagt haben, "so wird einer von uns beiden gewählt; thut es
aber der heilige Geist, so wird dieser gute Mastai Papst. Den Liberalen
ließ man andeuten, daß Oestreich gegen die Wahl sein Veto geltend zu ma¬
chen beabsichtigt habe, und sie begannen zu hoffen. Die gestürzte reactionäre
Partei war nicht zu versöhnen, doch mußte sie sich mit stummem Grollen be¬
gnügen.

Allmälig erfuhr man in weiteren Kreisen, welchen Charakter man in dem
neuen Fürsten vor sich habe. Johann Maria Mastai gehörte einer geachteten
Adelsfamilie in Sinigaglia an. Er war für einen Papst noch in jugendlichem
Alter. In jüngern Jahren hatte er in den Militärstand treten wollen; später
Kleriker geworden, hatte er auf einer Reise nach Chile ein Stück Welt gesehen.
Dann in höhere Würden aufgerückt, war er ein gewissenhafter Bischof, ein
sorgsamer Verwalter milder Stiftungen gewesen. An Hofintrigucn hatte er
sich nicht betheiligt, ebenso wenig an der Verfolgung der Liberalen -- einer
von seinen Brüdern war als entschieden Liberaler seit 1831 in der Verbannung.
Von seiner Wirksamkeit als Bischof wurden Züge mitgetheilt, die eines Fene-
lon würdig waren.

Pius der Neunte, wie der neue Papst sich bei seiner Thronbesteigung
nannte, ist ein Charaker. der eine unverkennbare Aehnlichkeit mit Ludwig dem
Sechzehnten besitzt. Er sagte von sich selbst, er sei wie ein Stein; wo er hin¬
falle, bleibe er durch sein eignes Gewicht liegen. Wie er schon in jungen
Jahren die meiste Vorliebe für die Musik gezeigt, war er weich, vielleicht
schwach für äußere Eindrücke. Aber sobald er etwas für Gewissenssache an¬
sah, trat er unbeugsam auf. Man sagte daher von ihm, er habe das Tem¬
perament zu einem Märtyrer, wenig Entschlossenheit zu eigner That, Lenksam-


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mangeln." Die Konservativen hofften den Staatssekretär Lambruschini, die
Seele des bisherigen Regiments, durchzusetzen. Die Wünsche der Liberalen
waren auf den Cardinal Gizzi gerichtet, der sich als Legat von Forli dadurch -
empfohlen, daß er die Ausnahmegerichte von seiner Provinz abgelehnt hatte.
Von den Genannten erhielt nur Lambruschini viele Stimmen, keiner die
Majorität. Negative Eigenschaften empfehlen oft bei den Wählern mehr als
positive. Dem gutmüthigen Bischof von Jmvla, Mastai Ferretti, konnte nichts
Schlimmes, namentlich keine Härte nachgesagt werden, er galt für ein men¬
schenfreundliches frommes Herz und für der Reform geneigt, die vor dem Schluß
der Conclave von Rossi, dem Gesandten Frankreichs, ernstlich empfohlen worden
war. Aus ihn vereinigte sich am dritten Tage die Majorität der Stimmen.

Die große Mehrzal der Römer kannte den neuen Pontifex nicht. Es
galt zunächst die enttäuschten Parteien mit der unerwarteten Wahl zu ver¬
söhnen. Dem niedern Volk erzählte man eine derbe Anekdote von seinem Kan¬
didaten. „Wenn der Teufel die Cardinäle inspirirt," sollte Micara zu Lam¬
bruschini gesagt haben, „so wird einer von uns beiden gewählt; thut es
aber der heilige Geist, so wird dieser gute Mastai Papst. Den Liberalen
ließ man andeuten, daß Oestreich gegen die Wahl sein Veto geltend zu ma¬
chen beabsichtigt habe, und sie begannen zu hoffen. Die gestürzte reactionäre
Partei war nicht zu versöhnen, doch mußte sie sich mit stummem Grollen be¬
gnügen.

Allmälig erfuhr man in weiteren Kreisen, welchen Charakter man in dem
neuen Fürsten vor sich habe. Johann Maria Mastai gehörte einer geachteten
Adelsfamilie in Sinigaglia an. Er war für einen Papst noch in jugendlichem
Alter. In jüngern Jahren hatte er in den Militärstand treten wollen; später
Kleriker geworden, hatte er auf einer Reise nach Chile ein Stück Welt gesehen.
Dann in höhere Würden aufgerückt, war er ein gewissenhafter Bischof, ein
sorgsamer Verwalter milder Stiftungen gewesen. An Hofintrigucn hatte er
sich nicht betheiligt, ebenso wenig an der Verfolgung der Liberalen — einer
von seinen Brüdern war als entschieden Liberaler seit 1831 in der Verbannung.
Von seiner Wirksamkeit als Bischof wurden Züge mitgetheilt, die eines Fene-
lon würdig waren.

Pius der Neunte, wie der neue Papst sich bei seiner Thronbesteigung
nannte, ist ein Charaker. der eine unverkennbare Aehnlichkeit mit Ludwig dem
Sechzehnten besitzt. Er sagte von sich selbst, er sei wie ein Stein; wo er hin¬
falle, bleibe er durch sein eignes Gewicht liegen. Wie er schon in jungen
Jahren die meiste Vorliebe für die Musik gezeigt, war er weich, vielleicht
schwach für äußere Eindrücke. Aber sobald er etwas für Gewissenssache an¬
sah, trat er unbeugsam auf. Man sagte daher von ihm, er habe das Tem¬
perament zu einem Märtyrer, wenig Entschlossenheit zu eigner That, Lenksam-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/303>, abgerufen am 23.07.2024.