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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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weltlicher Fürst nicht oder nur dem Volk gegenüber souverän, daß er als sol.
cher Lehensmann. Unterthan, wenn man will Knecht des Papstes als kirch¬
lichen Fürsten sei.

Um dies einzusehen, bedarf es, meinen wir, keiner ungewöhnlich scharfen
Augen. In andern Ländern haben die Einnahmen des Staates keinen an¬
dern Zweck als Erhaltung und Förderung der Wohlfahrt des Volkes, welches
das betreffende Land bewohnt. Im Kirchenstaat ist dem nicht so. Der Be¬
herrscher desselben ist zugleich Oberhaupt der gesammten katholischen Christen¬
heit, und seine Stellung als Pontifex ist ungefähr in demselben Maße wich¬
tiger als seine Stellung als König, wie die Zahl seiner weltlichen Unter¬
thanen größer ist als die seiner kirchlichen. Weil er Fürst der Kirche ist.
hat man ihm seine Staaten gegeben) sie ihm, so weit er sie sich selbst nahm,
gelassen, unter der Bedingung, daß er sie zu Nutz und Frommen der Kirche
verwalte. Seine Person mit dem Goldgrund zu umgeben, der zu den Hei¬
ligenbildern gehört, den Würdenträgern, die ihm in der ewigen Stadt regieren
helfen, die Mittel zu verleihen, mit denen man den Gläubigen imponirt, geist¬
liche Behörden zu unterhalten, deren Wirksamkeit das urdi et vrbi der päpst¬
lichen Erlasse zur Wahrheit macht, sür die Ausbildung von Aposteln zu sor¬
gen, welche den Kreis der Kirche durch Eroberungen unter Heiden und Ketzern
erweitern, nach allen Weltgegenden Briefe, Verordnungen und Gesandte aus¬
gehen zu lassen -- dazu sind die Einkünfte des Kirchenstaates zunächst bestimmt.
Was nach Deckung dieser nothwendigsten aller Ausgaben von den Einnahmen
übrig bleibt, mag immerhin sür die Bedürfnisse des kleinen Kreises verwen¬
det werden, über den dem Papste auch die weltliche Herrschaft zusteht.

Und wie mit der Geldkraft verhält es sich auch mit der Arbeitskraft der
päpstlichen Regierung. Je mehr der Katholicismus sich anstrengt, den an
andere Kirchen Verlornen Boden wieder zu gewinnen, um so weniger bleibt
dem Papst und seinen Beamten Zeit, sich mit dem zeitlichen Wohl seiner
Unterthanen im engern Sinn zu beschäftigen. Wenn man das in Rom ge¬
fühlt und deshalb den Gebrauch eingeführt hat, womöglich abwechselnd einen
kirchlich eifrigen (zieloso) und einen staatsmännisch gebildeten, mehr den In¬
teressen des Staates als der Kirche zugewandten Charakter (xolitieo) zum
Papst zu wählen, so ist das ein Palliativmittel, welches ungefähr eben so
viel Nutzen schafft, wie ihn das von gewissen naiven Seelen vorgeschlagene Mit¬
tel zur Ertödtung des deutschen Dualismus verspricht, nach welchem abwech¬
selnd aus den Dynastien Lothringen und Hohenzollern ein Kaiser über Deutsch¬
land zu wühlen wäre -- ganz abgesehen davon, daß selbst der weltlichste
Papst der Natur der Sache nach viel zu sehr von kirchlichen Angelegenheiten
in Anspruch genommen sein wird, um seinen Neigungen mit einiger Energie
Ausdruck geben zu können. Immer wird auch sür ihn das Departement des


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weltlicher Fürst nicht oder nur dem Volk gegenüber souverän, daß er als sol.
cher Lehensmann. Unterthan, wenn man will Knecht des Papstes als kirch¬
lichen Fürsten sei.

Um dies einzusehen, bedarf es, meinen wir, keiner ungewöhnlich scharfen
Augen. In andern Ländern haben die Einnahmen des Staates keinen an¬
dern Zweck als Erhaltung und Förderung der Wohlfahrt des Volkes, welches
das betreffende Land bewohnt. Im Kirchenstaat ist dem nicht so. Der Be¬
herrscher desselben ist zugleich Oberhaupt der gesammten katholischen Christen¬
heit, und seine Stellung als Pontifex ist ungefähr in demselben Maße wich¬
tiger als seine Stellung als König, wie die Zahl seiner weltlichen Unter¬
thanen größer ist als die seiner kirchlichen. Weil er Fürst der Kirche ist.
hat man ihm seine Staaten gegeben) sie ihm, so weit er sie sich selbst nahm,
gelassen, unter der Bedingung, daß er sie zu Nutz und Frommen der Kirche
verwalte. Seine Person mit dem Goldgrund zu umgeben, der zu den Hei¬
ligenbildern gehört, den Würdenträgern, die ihm in der ewigen Stadt regieren
helfen, die Mittel zu verleihen, mit denen man den Gläubigen imponirt, geist¬
liche Behörden zu unterhalten, deren Wirksamkeit das urdi et vrbi der päpst¬
lichen Erlasse zur Wahrheit macht, sür die Ausbildung von Aposteln zu sor¬
gen, welche den Kreis der Kirche durch Eroberungen unter Heiden und Ketzern
erweitern, nach allen Weltgegenden Briefe, Verordnungen und Gesandte aus¬
gehen zu lassen — dazu sind die Einkünfte des Kirchenstaates zunächst bestimmt.
Was nach Deckung dieser nothwendigsten aller Ausgaben von den Einnahmen
übrig bleibt, mag immerhin sür die Bedürfnisse des kleinen Kreises verwen¬
det werden, über den dem Papste auch die weltliche Herrschaft zusteht.

Und wie mit der Geldkraft verhält es sich auch mit der Arbeitskraft der
päpstlichen Regierung. Je mehr der Katholicismus sich anstrengt, den an
andere Kirchen Verlornen Boden wieder zu gewinnen, um so weniger bleibt
dem Papst und seinen Beamten Zeit, sich mit dem zeitlichen Wohl seiner
Unterthanen im engern Sinn zu beschäftigen. Wenn man das in Rom ge¬
fühlt und deshalb den Gebrauch eingeführt hat, womöglich abwechselnd einen
kirchlich eifrigen (zieloso) und einen staatsmännisch gebildeten, mehr den In¬
teressen des Staates als der Kirche zugewandten Charakter (xolitieo) zum
Papst zu wählen, so ist das ein Palliativmittel, welches ungefähr eben so
viel Nutzen schafft, wie ihn das von gewissen naiven Seelen vorgeschlagene Mit¬
tel zur Ertödtung des deutschen Dualismus verspricht, nach welchem abwech¬
selnd aus den Dynastien Lothringen und Hohenzollern ein Kaiser über Deutsch¬
land zu wühlen wäre — ganz abgesehen davon, daß selbst der weltlichste
Papst der Natur der Sache nach viel zu sehr von kirchlichen Angelegenheiten
in Anspruch genommen sein wird, um seinen Neigungen mit einiger Energie
Ausdruck geben zu können. Immer wird auch sür ihn das Departement des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/295>, abgerufen am 23.07.2024.