Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.Empfindsamkeit, und als in P lessing ein neuer "Faust" sich an ihn drängte, Nach diesem Excurs schnell einige flüchtige Bemerkungen über neuere Dich¬ Da in den neuen Romanen das Motiv mehrfach von der Revolution ge¬ Empfindsamkeit, und als in P lessing ein neuer „Faust" sich an ihn drängte, Nach diesem Excurs schnell einige flüchtige Bemerkungen über neuere Dich¬ Da in den neuen Romanen das Motiv mehrfach von der Revolution ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0283" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109005"/> <p xml:id="ID_797" prev="#ID_796"> Empfindsamkeit, und als in P lessing ein neuer „Faust" sich an ihn drängte,<lb/> versuchte er zuerst mitleidsvoll ihn zu belehren, als dieser aber seine eignen<lb/> ehemaligen Gedanken gegen ihn kehrte, wurde sein Herz kalt gegen ihn und<lb/> verschloß sich ihm. Das war 1777; was für ein Verhältniß hatte nun gar<lb/> 1808 oder 1831 der alte Dichter zu den Träumen seiner Jugend! Sie<lb/> waren Schattenbilder, die er im losen Spiel an sich vorübcrschwcben ließ, über<lb/> die er auch wol klug wie immer reflectirte, aber Leben fanden sie nicht mehr<lb/> unter seiner Hand. Die modernen Scholiasten haben freilich nachgewiesen, der<lb/> ganze Faust sei ein einheitliches Kunstwerk; aber was hätten die nicht schon<lb/> nachgewiesen! —</p><lb/> <p xml:id="ID_798"> Nach diesem Excurs schnell einige flüchtige Bemerkungen über neuere Dich¬<lb/> tungen. -—Bello na Orient alis. Zwölf politische Hy>unen, nebst einer Schlu߬<lb/> hymne Bellona Occidentalis. Von F. K. Mayer (Braunschweig, Vieweg). —<lb/> Die Meinung ist gut, aber der Stil — und selbst der ganz neue Rhythmus,<lb/> für den wir in der ganzen Literatur keine Analogie entdecken — mehr an-<lb/> spruchs- als inhaltsvoll. — Viel anmuthiger sind die kleinen, bescheidenen<lb/> Lieder von C. Cerri: „Inneres Leben" (Wien. Gerold). In dieser Gattung<lb/> wird noch immer viel Schönes bei uus geleistet. — Sehr gelungen ist die<lb/> Uebersetzung von Miltons L'Allegro von Il. Penseroso (Gotha. Stolberg). —<lb/> Ein wunderlicher aber nicht unpoetischer Einfall ist: tolles lag^es, cal-l-<lb/> eg,t,ni'68 (?ü.ri8, Nvuin). Der Dichter, im Schmerz, daß die höhere Poesie<lb/> keinen Anklang findet, besingt mit ironischem Lob den Materialismus; einige<lb/> Wendungen sind recht ergötzlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_799" next="#ID_800"> Da in den neuen Romanen das Motiv mehrfach von der Revolution ge¬<lb/> nommen wird, möge hier gelegentlich als eine für das größere Publicum<lb/> recht zweckmäßige Skizze das Buch des Oberlehrers Staate in Rinteln: „Die<lb/> französische Revolution und das Kaiserthum Napoleons des Ersten, geschicht¬<lb/> liche Uebersicht der Zeit von 1789 bis 1815" (Oldenburg, Stalling) empfoh¬<lb/> len sein. — Eine höchst eigenthümliche Auffassung des alten Napoleon ist dagegen<lb/> in Max Rings „Geschichtlichem Lebensbild": „der Sohn Napoleons" (2 Bd.,<lb/> Berlin, Vogel), welches von dem Herzog von Reichsstadt nur zu einem Viertheil<lb/> handelt. Napoleon der Erste erscheint als gemüthlicher, gefühlvoller, edler Mensch,<lb/> der bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Thränen vergießt, und in<lb/> jedem Ifflandschen Rührstück eine herrliche Rolle spielen könnte. Das Publj.<lb/> cum scheint dieser Auffassung Beifall geschenkt zu haben, der Roman erscheint<lb/> schon in zweiter Auflage. — Eine Novelle von Albert Träger: „Uebergänge"<lb/> (Leipzig. Winter), schildert die Versuche eines hoffnungsvollen jungen Dichters,<lb/> sich als anständiger Mann zu betragen, was ihm freilich nur sehr unvoll¬<lb/> ständig gelingt. Man sieht aus diesen und ähnlichen (übrigens durchaus gut¬<lb/> gemeinten) Versuchen, daß die Ermahnungen der Moralisten noch immer nicht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0283]
Empfindsamkeit, und als in P lessing ein neuer „Faust" sich an ihn drängte,
versuchte er zuerst mitleidsvoll ihn zu belehren, als dieser aber seine eignen
ehemaligen Gedanken gegen ihn kehrte, wurde sein Herz kalt gegen ihn und
verschloß sich ihm. Das war 1777; was für ein Verhältniß hatte nun gar
1808 oder 1831 der alte Dichter zu den Träumen seiner Jugend! Sie
waren Schattenbilder, die er im losen Spiel an sich vorübcrschwcben ließ, über
die er auch wol klug wie immer reflectirte, aber Leben fanden sie nicht mehr
unter seiner Hand. Die modernen Scholiasten haben freilich nachgewiesen, der
ganze Faust sei ein einheitliches Kunstwerk; aber was hätten die nicht schon
nachgewiesen! —
Nach diesem Excurs schnell einige flüchtige Bemerkungen über neuere Dich¬
tungen. -—Bello na Orient alis. Zwölf politische Hy>unen, nebst einer Schlu߬
hymne Bellona Occidentalis. Von F. K. Mayer (Braunschweig, Vieweg). —
Die Meinung ist gut, aber der Stil — und selbst der ganz neue Rhythmus,
für den wir in der ganzen Literatur keine Analogie entdecken — mehr an-
spruchs- als inhaltsvoll. — Viel anmuthiger sind die kleinen, bescheidenen
Lieder von C. Cerri: „Inneres Leben" (Wien. Gerold). In dieser Gattung
wird noch immer viel Schönes bei uus geleistet. — Sehr gelungen ist die
Uebersetzung von Miltons L'Allegro von Il. Penseroso (Gotha. Stolberg). —
Ein wunderlicher aber nicht unpoetischer Einfall ist: tolles lag^es, cal-l-
eg,t,ni'68 (?ü.ri8, Nvuin). Der Dichter, im Schmerz, daß die höhere Poesie
keinen Anklang findet, besingt mit ironischem Lob den Materialismus; einige
Wendungen sind recht ergötzlich.
Da in den neuen Romanen das Motiv mehrfach von der Revolution ge¬
nommen wird, möge hier gelegentlich als eine für das größere Publicum
recht zweckmäßige Skizze das Buch des Oberlehrers Staate in Rinteln: „Die
französische Revolution und das Kaiserthum Napoleons des Ersten, geschicht¬
liche Uebersicht der Zeit von 1789 bis 1815" (Oldenburg, Stalling) empfoh¬
len sein. — Eine höchst eigenthümliche Auffassung des alten Napoleon ist dagegen
in Max Rings „Geschichtlichem Lebensbild": „der Sohn Napoleons" (2 Bd.,
Berlin, Vogel), welches von dem Herzog von Reichsstadt nur zu einem Viertheil
handelt. Napoleon der Erste erscheint als gemüthlicher, gefühlvoller, edler Mensch,
der bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Thränen vergießt, und in
jedem Ifflandschen Rührstück eine herrliche Rolle spielen könnte. Das Publj.
cum scheint dieser Auffassung Beifall geschenkt zu haben, der Roman erscheint
schon in zweiter Auflage. — Eine Novelle von Albert Träger: „Uebergänge"
(Leipzig. Winter), schildert die Versuche eines hoffnungsvollen jungen Dichters,
sich als anständiger Mann zu betragen, was ihm freilich nur sehr unvoll¬
ständig gelingt. Man sieht aus diesen und ähnlichen (übrigens durchaus gut¬
gemeinten) Versuchen, daß die Ermahnungen der Moralisten noch immer nicht
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