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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Ehre und für seine Freiheit kämpft, einig zusammenstehend noch nie unter¬
legen sei. Der Gedanke wurde laut, daß die Nation die Verpflichtung habe zu er¬
gänzen, was der Regierung fehle! man hörte den in England lange nicht ver¬
nommenen Ruf nach Volksbewaffnung, derselbe fand Anklang beim Pu¬
blikum wie bei der Regierung: jenes ließ sich in die Listen der rasch sich
bildenden Eorps einschreiben, diese lieferte den Unbemittelten Waffen, und
zu Ende des Jahres waren in allen Grafschaften bereits zahlreiche Freischaa-
ren dieser Art bewaffnet und eingekleidet, die meisten auch bis zu einem ge¬
wissen Grade eingeübt, wenigstens eingeschossen.

Wir sind weit entfernt, dieser Bewegung eine größere militärische Wich¬
tigkeit beizulegen, als sie bis jetzt verdient. Es ist wahr, daß eine Volks¬
bewaffnung in England eine andere Bedeutung hat als etwa in Italien,
als selbst -- wie die Jahre 1848 und 1849 bewiesen haben -- in Deutsch¬
land. Wenn wir gewohnt sind, uns die Briten als ein friedliches Handels¬
volk vorzustellen, so dürfen wir nicht anßer Acht lassen, daß der Kampf mit
der See, mit den Beschwerden weiter Reifen, mit den Mühseligkeiten arktischer
Untersuchungen, mit der Natur des Urwalds im fernen Westen ebenfalls Hel¬
den braucht und erzieht, daß selbst der Handel in diesem Lande im Wesent¬
lichen ein Krieg ist. Sodann aber würde der Krieg zwischen Franzosen und
Engländern mit, dein Geiste des alten Hasses zwischen den beiden Nationen
geführt, und die Bildung der Freischaaren im Fall, daß wirklich ein
Zusammenstoß erfolgt wäre, im Lichte einer Anticipation dessen, was
1812 in Preußen geschah, als Entstehen einer Landwehr vor der drohenden
Niederlage, erschienen und als solche vollkommen von der Regierung in die
Hand genommen worden sein. Aber bis jetzt war in der Hauptsache nur
der Wille der Nation, sich dem Heere zur Seite zu stellen, von Werth. Die
Begeisterung ohne militärische Durchbildung, ohne Disciplin, ohne Führer
mit militärischen Kenntnissen spielt vor der Taktik und Strategie der moder¬
nen Kriege nur eine Nebenrolle, und überdies) möchten manche von denen,
die sich in die Listen der Riflc-Brigaden eintragen ließen, weniger an die
Noth und das Blut der Schlachten, als an die Neuheit des Soldatcnspiels
und an die schmucke Uniform gedacht haben, die bei den meisten Corps das
erste gewesen zu sein scheint, worüber man debattnte. Manche der Compa¬
gnien und Bataillone dürften die kleinstädtisch-komische Physiognomie jener
Bürgermiliz haben, deren Compagnien man in Neuyork und andern Städten
Amerikas mit martialischen Titeln, überreichlicher Tressen, mächtigen Bär¬
ten und Bärmützen und jenen gewaltthätigen Manieren, die sich so bequem
annehmen lassen, wenn eins weit vom Schuß ist, nach dem Takt des Uankee-
doodle durch die Straßen paradiren sieht.

Sei dem wie ihm wolle, der gute Wille war da, und die Noth würde


Ehre und für seine Freiheit kämpft, einig zusammenstehend noch nie unter¬
legen sei. Der Gedanke wurde laut, daß die Nation die Verpflichtung habe zu er¬
gänzen, was der Regierung fehle! man hörte den in England lange nicht ver¬
nommenen Ruf nach Volksbewaffnung, derselbe fand Anklang beim Pu¬
blikum wie bei der Regierung: jenes ließ sich in die Listen der rasch sich
bildenden Eorps einschreiben, diese lieferte den Unbemittelten Waffen, und
zu Ende des Jahres waren in allen Grafschaften bereits zahlreiche Freischaa-
ren dieser Art bewaffnet und eingekleidet, die meisten auch bis zu einem ge¬
wissen Grade eingeübt, wenigstens eingeschossen.

Wir sind weit entfernt, dieser Bewegung eine größere militärische Wich¬
tigkeit beizulegen, als sie bis jetzt verdient. Es ist wahr, daß eine Volks¬
bewaffnung in England eine andere Bedeutung hat als etwa in Italien,
als selbst — wie die Jahre 1848 und 1849 bewiesen haben — in Deutsch¬
land. Wenn wir gewohnt sind, uns die Briten als ein friedliches Handels¬
volk vorzustellen, so dürfen wir nicht anßer Acht lassen, daß der Kampf mit
der See, mit den Beschwerden weiter Reifen, mit den Mühseligkeiten arktischer
Untersuchungen, mit der Natur des Urwalds im fernen Westen ebenfalls Hel¬
den braucht und erzieht, daß selbst der Handel in diesem Lande im Wesent¬
lichen ein Krieg ist. Sodann aber würde der Krieg zwischen Franzosen und
Engländern mit, dein Geiste des alten Hasses zwischen den beiden Nationen
geführt, und die Bildung der Freischaaren im Fall, daß wirklich ein
Zusammenstoß erfolgt wäre, im Lichte einer Anticipation dessen, was
1812 in Preußen geschah, als Entstehen einer Landwehr vor der drohenden
Niederlage, erschienen und als solche vollkommen von der Regierung in die
Hand genommen worden sein. Aber bis jetzt war in der Hauptsache nur
der Wille der Nation, sich dem Heere zur Seite zu stellen, von Werth. Die
Begeisterung ohne militärische Durchbildung, ohne Disciplin, ohne Führer
mit militärischen Kenntnissen spielt vor der Taktik und Strategie der moder¬
nen Kriege nur eine Nebenrolle, und überdies) möchten manche von denen,
die sich in die Listen der Riflc-Brigaden eintragen ließen, weniger an die
Noth und das Blut der Schlachten, als an die Neuheit des Soldatcnspiels
und an die schmucke Uniform gedacht haben, die bei den meisten Corps das
erste gewesen zu sein scheint, worüber man debattnte. Manche der Compa¬
gnien und Bataillone dürften die kleinstädtisch-komische Physiognomie jener
Bürgermiliz haben, deren Compagnien man in Neuyork und andern Städten
Amerikas mit martialischen Titeln, überreichlicher Tressen, mächtigen Bär¬
ten und Bärmützen und jenen gewaltthätigen Manieren, die sich so bequem
annehmen lassen, wenn eins weit vom Schuß ist, nach dem Takt des Uankee-
doodle durch die Straßen paradiren sieht.

Sei dem wie ihm wolle, der gute Wille war da, und die Noth würde


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[0268] Ehre und für seine Freiheit kämpft, einig zusammenstehend noch nie unter¬ legen sei. Der Gedanke wurde laut, daß die Nation die Verpflichtung habe zu er¬ gänzen, was der Regierung fehle! man hörte den in England lange nicht ver¬ nommenen Ruf nach Volksbewaffnung, derselbe fand Anklang beim Pu¬ blikum wie bei der Regierung: jenes ließ sich in die Listen der rasch sich bildenden Eorps einschreiben, diese lieferte den Unbemittelten Waffen, und zu Ende des Jahres waren in allen Grafschaften bereits zahlreiche Freischaa- ren dieser Art bewaffnet und eingekleidet, die meisten auch bis zu einem ge¬ wissen Grade eingeübt, wenigstens eingeschossen. Wir sind weit entfernt, dieser Bewegung eine größere militärische Wich¬ tigkeit beizulegen, als sie bis jetzt verdient. Es ist wahr, daß eine Volks¬ bewaffnung in England eine andere Bedeutung hat als etwa in Italien, als selbst — wie die Jahre 1848 und 1849 bewiesen haben — in Deutsch¬ land. Wenn wir gewohnt sind, uns die Briten als ein friedliches Handels¬ volk vorzustellen, so dürfen wir nicht anßer Acht lassen, daß der Kampf mit der See, mit den Beschwerden weiter Reifen, mit den Mühseligkeiten arktischer Untersuchungen, mit der Natur des Urwalds im fernen Westen ebenfalls Hel¬ den braucht und erzieht, daß selbst der Handel in diesem Lande im Wesent¬ lichen ein Krieg ist. Sodann aber würde der Krieg zwischen Franzosen und Engländern mit, dein Geiste des alten Hasses zwischen den beiden Nationen geführt, und die Bildung der Freischaaren im Fall, daß wirklich ein Zusammenstoß erfolgt wäre, im Lichte einer Anticipation dessen, was 1812 in Preußen geschah, als Entstehen einer Landwehr vor der drohenden Niederlage, erschienen und als solche vollkommen von der Regierung in die Hand genommen worden sein. Aber bis jetzt war in der Hauptsache nur der Wille der Nation, sich dem Heere zur Seite zu stellen, von Werth. Die Begeisterung ohne militärische Durchbildung, ohne Disciplin, ohne Führer mit militärischen Kenntnissen spielt vor der Taktik und Strategie der moder¬ nen Kriege nur eine Nebenrolle, und überdies) möchten manche von denen, die sich in die Listen der Riflc-Brigaden eintragen ließen, weniger an die Noth und das Blut der Schlachten, als an die Neuheit des Soldatcnspiels und an die schmucke Uniform gedacht haben, die bei den meisten Corps das erste gewesen zu sein scheint, worüber man debattnte. Manche der Compa¬ gnien und Bataillone dürften die kleinstädtisch-komische Physiognomie jener Bürgermiliz haben, deren Compagnien man in Neuyork und andern Städten Amerikas mit martialischen Titeln, überreichlicher Tressen, mächtigen Bär¬ ten und Bärmützen und jenen gewaltthätigen Manieren, die sich so bequem annehmen lassen, wenn eins weit vom Schuß ist, nach dem Takt des Uankee- doodle durch die Straßen paradiren sieht. Sei dem wie ihm wolle, der gute Wille war da, und die Noth würde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/268>, abgerufen am 23.07.2024.