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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Schranken bewegen könne. Was man nun auf dem Kongreß verlangen dürfe,
wäre folgendes: Parma und Piacenza werden zu Piemont geschlagen, dem sie
strategisch unentbehrlich sind; die Herzogin von Parma erhält Modena, Tos-
cann etwa mit einiger Gebietsvcrgrößerung wird dem früheren Großherzog
zurückgegeben; ein System gemäßigter Freiheit wird in allen italienischen
Staaten eingeführt; Oestreich sagt sich offen los von dem System unaufhör¬
licher Verwicklungen in Italien, es läßt Venetien in seinem italienischen Na¬
tionalcharakter auftreten, gibt demselben nicht blos eine gesonderte Volksver¬
tretung und Verwaltung, sondern stellt auch eine italienische Armee (Bundes¬
truppen) auf. Mantua und Peschiera werden zu Bundesfestungcn erklärt.
Im Allgemeinen gründet sich der italienische Vuud auf die wirtlichen Bedürf¬
nisse, auf die Traditionen der Halbinsel, auf den Ausschluß jeder fremden In¬
tervention. -- Napoleon werde alles für dieses große Resultat thun und
Victor Emanuel könne darauf bauen, daß er, solange die Interessen Frank¬
reichs nicht im Wege ständen, sich immer glücklich schätzen werde, der Sache
Italiens seine Dienste zu bieten.

Es ist nicht zu leugnen, daß Alles, was Napoleon in seinem Briefe
sagt, sich recht gut anhört, nur darf man nicht zu nahe hinschauen. Die
italienische Presse äußerte sich über den Brief an und für sich nur mit großer
Vorsicht, obwohl sich zeigte, daß sie keineswegs glaubte, was sie glauben
sollte. Die ganze Idee Napoleons war ihr durchaus nicht genehm. Die
Italiener wollten zuerst lieber einen Einheitsstaat als einen Bundesstaat;
jedenfalls wollten sie lieber keinen Bundesstaat oder Staatenbund, als einen
solchen, in dem Oestreich neben Piemont süße. Das römische Centrum ge¬
fiel ihnen durchaus nicht: ein Priester, wie Pius der Neunte, der nach den
beschränktesten Grundsätzen regiert oder auch nicht regiert, schien ihnen eben
so 'wenig wünschenswerth als ein schlauer Pfaffe, wie der Prinz von Canino,
der überdies, unter französischem Einfluß erwählt, seine Parole von Paris er¬
hielte. Das Gegengewicht, welches die nach den Vorschlägen der Nepräsen-
tantenversammlungen zu besetzende Tagsatzung gegen den Oestreich freundlichen
Einfluß der Fürsten bilden sollte, war ihnen gradezu komisch. Nepräsentativ-
verfassungen sind vortreffliche Einrichtungen, aber was läßt sich nicht alles
aus und mit ihnen machen. Man erinnert sich bei solchen Gelegenheiten gar
zu lebhaft, daß ja auch Frankreich eine solche Verfassung hat! Wer denkt
für gewöhnlich wol daran. Und diese Repräsentativverfassung sollte nun
vielleicht das Muster sür Herzog Franz und Großherzog Leopold abgeben.
Wenigstens wurde erzählt, daß Napoleon den König von Neapel habe an-
rathen lassen, seinem Volke eine Verfassung zu verleihen, die piemontesische
oder die -- französische.

Was zur Erfüllung des großen Zieles bereits gethan sei -- nach dem.


Schranken bewegen könne. Was man nun auf dem Kongreß verlangen dürfe,
wäre folgendes: Parma und Piacenza werden zu Piemont geschlagen, dem sie
strategisch unentbehrlich sind; die Herzogin von Parma erhält Modena, Tos-
cann etwa mit einiger Gebietsvcrgrößerung wird dem früheren Großherzog
zurückgegeben; ein System gemäßigter Freiheit wird in allen italienischen
Staaten eingeführt; Oestreich sagt sich offen los von dem System unaufhör¬
licher Verwicklungen in Italien, es läßt Venetien in seinem italienischen Na¬
tionalcharakter auftreten, gibt demselben nicht blos eine gesonderte Volksver¬
tretung und Verwaltung, sondern stellt auch eine italienische Armee (Bundes¬
truppen) auf. Mantua und Peschiera werden zu Bundesfestungcn erklärt.
Im Allgemeinen gründet sich der italienische Vuud auf die wirtlichen Bedürf¬
nisse, auf die Traditionen der Halbinsel, auf den Ausschluß jeder fremden In¬
tervention. — Napoleon werde alles für dieses große Resultat thun und
Victor Emanuel könne darauf bauen, daß er, solange die Interessen Frank¬
reichs nicht im Wege ständen, sich immer glücklich schätzen werde, der Sache
Italiens seine Dienste zu bieten.

Es ist nicht zu leugnen, daß Alles, was Napoleon in seinem Briefe
sagt, sich recht gut anhört, nur darf man nicht zu nahe hinschauen. Die
italienische Presse äußerte sich über den Brief an und für sich nur mit großer
Vorsicht, obwohl sich zeigte, daß sie keineswegs glaubte, was sie glauben
sollte. Die ganze Idee Napoleons war ihr durchaus nicht genehm. Die
Italiener wollten zuerst lieber einen Einheitsstaat als einen Bundesstaat;
jedenfalls wollten sie lieber keinen Bundesstaat oder Staatenbund, als einen
solchen, in dem Oestreich neben Piemont süße. Das römische Centrum ge¬
fiel ihnen durchaus nicht: ein Priester, wie Pius der Neunte, der nach den
beschränktesten Grundsätzen regiert oder auch nicht regiert, schien ihnen eben
so 'wenig wünschenswerth als ein schlauer Pfaffe, wie der Prinz von Canino,
der überdies, unter französischem Einfluß erwählt, seine Parole von Paris er¬
hielte. Das Gegengewicht, welches die nach den Vorschlägen der Nepräsen-
tantenversammlungen zu besetzende Tagsatzung gegen den Oestreich freundlichen
Einfluß der Fürsten bilden sollte, war ihnen gradezu komisch. Nepräsentativ-
verfassungen sind vortreffliche Einrichtungen, aber was läßt sich nicht alles
aus und mit ihnen machen. Man erinnert sich bei solchen Gelegenheiten gar
zu lebhaft, daß ja auch Frankreich eine solche Verfassung hat! Wer denkt
für gewöhnlich wol daran. Und diese Repräsentativverfassung sollte nun
vielleicht das Muster sür Herzog Franz und Großherzog Leopold abgeben.
Wenigstens wurde erzählt, daß Napoleon den König von Neapel habe an-
rathen lassen, seinem Volke eine Verfassung zu verleihen, die piemontesische
oder die — französische.

Was zur Erfüllung des großen Zieles bereits gethan sei -- nach dem.


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[0242] Schranken bewegen könne. Was man nun auf dem Kongreß verlangen dürfe, wäre folgendes: Parma und Piacenza werden zu Piemont geschlagen, dem sie strategisch unentbehrlich sind; die Herzogin von Parma erhält Modena, Tos- cann etwa mit einiger Gebietsvcrgrößerung wird dem früheren Großherzog zurückgegeben; ein System gemäßigter Freiheit wird in allen italienischen Staaten eingeführt; Oestreich sagt sich offen los von dem System unaufhör¬ licher Verwicklungen in Italien, es läßt Venetien in seinem italienischen Na¬ tionalcharakter auftreten, gibt demselben nicht blos eine gesonderte Volksver¬ tretung und Verwaltung, sondern stellt auch eine italienische Armee (Bundes¬ truppen) auf. Mantua und Peschiera werden zu Bundesfestungcn erklärt. Im Allgemeinen gründet sich der italienische Vuud auf die wirtlichen Bedürf¬ nisse, auf die Traditionen der Halbinsel, auf den Ausschluß jeder fremden In¬ tervention. — Napoleon werde alles für dieses große Resultat thun und Victor Emanuel könne darauf bauen, daß er, solange die Interessen Frank¬ reichs nicht im Wege ständen, sich immer glücklich schätzen werde, der Sache Italiens seine Dienste zu bieten. Es ist nicht zu leugnen, daß Alles, was Napoleon in seinem Briefe sagt, sich recht gut anhört, nur darf man nicht zu nahe hinschauen. Die italienische Presse äußerte sich über den Brief an und für sich nur mit großer Vorsicht, obwohl sich zeigte, daß sie keineswegs glaubte, was sie glauben sollte. Die ganze Idee Napoleons war ihr durchaus nicht genehm. Die Italiener wollten zuerst lieber einen Einheitsstaat als einen Bundesstaat; jedenfalls wollten sie lieber keinen Bundesstaat oder Staatenbund, als einen solchen, in dem Oestreich neben Piemont süße. Das römische Centrum ge¬ fiel ihnen durchaus nicht: ein Priester, wie Pius der Neunte, der nach den beschränktesten Grundsätzen regiert oder auch nicht regiert, schien ihnen eben so 'wenig wünschenswerth als ein schlauer Pfaffe, wie der Prinz von Canino, der überdies, unter französischem Einfluß erwählt, seine Parole von Paris er¬ hielte. Das Gegengewicht, welches die nach den Vorschlägen der Nepräsen- tantenversammlungen zu besetzende Tagsatzung gegen den Oestreich freundlichen Einfluß der Fürsten bilden sollte, war ihnen gradezu komisch. Nepräsentativ- verfassungen sind vortreffliche Einrichtungen, aber was läßt sich nicht alles aus und mit ihnen machen. Man erinnert sich bei solchen Gelegenheiten gar zu lebhaft, daß ja auch Frankreich eine solche Verfassung hat! Wer denkt für gewöhnlich wol daran. Und diese Repräsentativverfassung sollte nun vielleicht das Muster sür Herzog Franz und Großherzog Leopold abgeben. Wenigstens wurde erzählt, daß Napoleon den König von Neapel habe an- rathen lassen, seinem Volke eine Verfassung zu verleihen, die piemontesische oder die — französische. Was zur Erfüllung des großen Zieles bereits gethan sei -- nach dem.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/242>, abgerufen am 23.07.2024.