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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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zu Zürich bekräftigt wären, aufrecht erhalten und achten Am 20. October
darauf schrieb Napoleon von Se. Cloud einen Brief an Victor Emanuel, in
welchem er letzteren auf den Congreß vertröstete und ihm zugleich auseinander¬
setzte, was er diesem Congresz empfehlen zu können glaube, und was er auf
demselben zu vertreten gedenke. Napoleon macht den König von Sardinien
auf die Hindernisse aufmerksam, mit welchen gerechnet werden müsse. Es
handle sich gar nicht darum, zu untersuchen, ob er klug gethan habe oder
nicht, den Frieden von Villafranca zu schließen, es komme jetzt darauf an,
aus diesem die bei den obwaltenden Umstünden möglichst günstigen Konse¬
quenzen zu ziehen. Der Krieg biete oft weniger Verwicklungen als der Frie¬
den; bei jenen ständen sich nur zwei Interessen gegenüber, bei diesem durch¬
kreuzten sich mehrere. So sei es bei dem Frieden von Villafranca-Zürich
auch der Fall. Beim Abschluß des Vertrags kam es darauf an: bestmöglich
für die Unabhängigkeit Italiens zu sorgen, Piemont genugzuthun, den Wün¬
schen der italienischen Völker zu entsprechen -- zugleich aber den Katholicismus
nicht zu beeinträchtigen und die von Europa anerkannten Rechte der Souveräne
nicht zu verletzen. Bon einer offenen Verständigung mit dem Kaiser von Oest¬
reich auf diesen Grundlagen habe der Kaiser Napoleon die Wiedergeburt Ita¬
liens ohne weiteres Blutvergießen gehofft, es sei nun an Victor Emanuel,
auch das seinige zu thun, unrealisirbare Wünsche dabei zum Opfer zu brin¬
gen, seinen Einfluß bei den Italienern in einer Richtung mit Napoleon zu
verwenden. Dieser denke sich das neue Italien als einen Bund souveräner
Staaten, deren jeder sich eine Repräsentativverfassung und wohlthätige Reformen
gebe. Der Bund habe eine Fahne, einen Zoll, eine Münze. Das Cen¬
trum des Bundes werde Rom sein. Hier werde die Tagsatzung des Bundes
sitzen, zu welcher die Souveräne ihre Vertreter, aber nach dem Vorschlag der
Kammern, senden, so daß das Volkselement den Oestreich freundlichen Einfluß
der herrschenden Familien aufwiegen und unschädlich machen könne. Dadurch
daß man den Papst zum Titularprüsidenten des Bundes mache, werde dem
religiösen Gefühl des katholischen Europa ein Genüge gethan, der moralische
Einfluß des Papstes gehoben und ihm so das Zugeständnis; heilsamer Re¬
formen erleichtert. Was bis jetzt erreicht sei für den großen Zweck, lasse sich dahin
zusammenfassen-, die Lombardei mit einer beschränkten Schuldenlast ist anPiemont
abgetreten; Oestreich gibt sein Garnisonsrecht in Piacenza, Ferrara und Comacchio
auf; die Ansprüche der Souveräne Mittelitaliens sind vorbehalten, aber jeder
Gedanke einer fremden Intervention ist förmlich beseitigt und dadurch die
Unabhängigkeit Mittelitaliens verbürgt; Venetien wird eine rein italienische
Provinz. -- Was ferner zu erreichen sei, das müsse sich auf dem Kongreß
finden. Victor Emanuel solle nicht vergessen, daß Napoleon durch deu Ver¬
trag gebunden sei und sich folglich auch auf dem Congreß nur in gewissen


zu Zürich bekräftigt wären, aufrecht erhalten und achten Am 20. October
darauf schrieb Napoleon von Se. Cloud einen Brief an Victor Emanuel, in
welchem er letzteren auf den Congreß vertröstete und ihm zugleich auseinander¬
setzte, was er diesem Congresz empfehlen zu können glaube, und was er auf
demselben zu vertreten gedenke. Napoleon macht den König von Sardinien
auf die Hindernisse aufmerksam, mit welchen gerechnet werden müsse. Es
handle sich gar nicht darum, zu untersuchen, ob er klug gethan habe oder
nicht, den Frieden von Villafranca zu schließen, es komme jetzt darauf an,
aus diesem die bei den obwaltenden Umstünden möglichst günstigen Konse¬
quenzen zu ziehen. Der Krieg biete oft weniger Verwicklungen als der Frie¬
den; bei jenen ständen sich nur zwei Interessen gegenüber, bei diesem durch¬
kreuzten sich mehrere. So sei es bei dem Frieden von Villafranca-Zürich
auch der Fall. Beim Abschluß des Vertrags kam es darauf an: bestmöglich
für die Unabhängigkeit Italiens zu sorgen, Piemont genugzuthun, den Wün¬
schen der italienischen Völker zu entsprechen — zugleich aber den Katholicismus
nicht zu beeinträchtigen und die von Europa anerkannten Rechte der Souveräne
nicht zu verletzen. Bon einer offenen Verständigung mit dem Kaiser von Oest¬
reich auf diesen Grundlagen habe der Kaiser Napoleon die Wiedergeburt Ita¬
liens ohne weiteres Blutvergießen gehofft, es sei nun an Victor Emanuel,
auch das seinige zu thun, unrealisirbare Wünsche dabei zum Opfer zu brin¬
gen, seinen Einfluß bei den Italienern in einer Richtung mit Napoleon zu
verwenden. Dieser denke sich das neue Italien als einen Bund souveräner
Staaten, deren jeder sich eine Repräsentativverfassung und wohlthätige Reformen
gebe. Der Bund habe eine Fahne, einen Zoll, eine Münze. Das Cen¬
trum des Bundes werde Rom sein. Hier werde die Tagsatzung des Bundes
sitzen, zu welcher die Souveräne ihre Vertreter, aber nach dem Vorschlag der
Kammern, senden, so daß das Volkselement den Oestreich freundlichen Einfluß
der herrschenden Familien aufwiegen und unschädlich machen könne. Dadurch
daß man den Papst zum Titularprüsidenten des Bundes mache, werde dem
religiösen Gefühl des katholischen Europa ein Genüge gethan, der moralische
Einfluß des Papstes gehoben und ihm so das Zugeständnis; heilsamer Re¬
formen erleichtert. Was bis jetzt erreicht sei für den großen Zweck, lasse sich dahin
zusammenfassen-, die Lombardei mit einer beschränkten Schuldenlast ist anPiemont
abgetreten; Oestreich gibt sein Garnisonsrecht in Piacenza, Ferrara und Comacchio
auf; die Ansprüche der Souveräne Mittelitaliens sind vorbehalten, aber jeder
Gedanke einer fremden Intervention ist förmlich beseitigt und dadurch die
Unabhängigkeit Mittelitaliens verbürgt; Venetien wird eine rein italienische
Provinz. — Was ferner zu erreichen sei, das müsse sich auf dem Kongreß
finden. Victor Emanuel solle nicht vergessen, daß Napoleon durch deu Ver¬
trag gebunden sei und sich folglich auch auf dem Congreß nur in gewissen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/241>, abgerufen am 23.07.2024.