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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Die Geschichte dtrpreußischen Armee unter Friedrich Wilhelm dem Dritten
zerfällt in zwei Perioden, die erste von 1797--1806, die zweite vom tilsit. Frieden
im I. 1807 an. In der ersten Periode walteten noch viele alte Einrichtungen
im Heere, wie sie von Friedrich Wilhelm dem Ersten, dem Urgroßvater, vor
80 Jahren gegründet worden. Ueber die Stärke des Heeres erschien damals
das folgende offizielle Verzeichnis;: Infanterie 172.120, Cavallerie 39,867.
Artillerie 10.716. Einzelne Corps 7,056: zusammen 229,759 Mann.
Im Jahre 1806 war die Stärke des Heeres 240,000 Mann; nämlich
108,400 besoldete Ausländer und 131.600 beurlaubte Inländer. Die Unter¬
haltungskosten betrugen damals etatsmnßig 16,636,000 Thlr. Doch reichte man
mit diesen, Etat nicht völlig aus und wurden noch zwei Millionen nach¬
bewilligt, so daß die gesammte Ausgabe auf 18.636,000 Thlr. kam. Dieses
machte nach der damaligen Bevölkerung des Staates wieder zwei Thaler
auf den Kops.

Die nachtheiligen Folgen der Heercsverfassung entwickelten sich vor allem
im Jahr 1806. Der Mangel eines geordneten allgemeinen.Finanzplans hatte
nur die schon erwähnte Heeresvermehrung von 35,000 Mann möglich ge¬
macht. Der zweckmäßige Vorschlag, das Heer mit 72 Milizbataillonen zu
verstärken, war wegen der Schwierigkeiten, die man ihm entgegenstellte, un¬
ausgeführt geblieben. Zu den wesentlichen Mängeln, durch welche die Er¬
eignisse des Jahres 1806 herbeigeführt wurden, gehörte ganz unverkennbar
erstens die Beurlaubung der größten Hälfte des Heeres. Durch sie wurde die
Vereinigung desselben zu der erforderlichen Zeit und auf den militärisch wich¬
tigen Punkten unausführbar. Ungeachtet man schon im Jahre 1805 den
Krieg als unvermeidlich vorhersah, war dennoch eine frühzeitigere Zusammen-
ziehung -- abgesehen davon, daß sie dem Nachbarstaate als außerordent¬
liche Rüstungsmaßregel zu Beschwerden und Anfragen Veranlassung gegeben
haben würde -- ohne ansehnliche Zuschüsse zu dem Friedensetat nicht aus¬
führbar. Beides sollte bis zu dem entscheidenden Augenblick vermieden werden.
Dadurch wurde aber auch die Wahl des günstigen Augenblicks zur Vereinig¬
ung der Heere, von dem allein das Gelingen des Feldzugs zu erwarten stand,
preisgegeben. Wären die 108,133 dienstthuenden Streiter als stehendes Heer
ohne Beurlaubte und die 131,667 auf Urlaub entlassenen Soldaten als
völlig von einander getrennt in besondere Regimenter gebildet gewesen, so
würde es weder schwierig noch auffällig gewesen sein, wenn man die ersteren
zu Anfang des Jahres 1806 an der Weser und dem thüringer Walde zu¬
sammengezogen hätte. Man würde in dem Augenblicke, wo der Ausbruch
des Krieges als entschieden angesehen werden mußte, mit diesen Streitkräften vor¬
gerückt sein und unter dem Schuhe dieser Bewegung die übrigen Regimenter
als Reserve haben sammeln können. Bei der Schwierigkeit aber, die


Greuzbvw, I, 1860, 28

Die Geschichte dtrpreußischen Armee unter Friedrich Wilhelm dem Dritten
zerfällt in zwei Perioden, die erste von 1797—1806, die zweite vom tilsit. Frieden
im I. 1807 an. In der ersten Periode walteten noch viele alte Einrichtungen
im Heere, wie sie von Friedrich Wilhelm dem Ersten, dem Urgroßvater, vor
80 Jahren gegründet worden. Ueber die Stärke des Heeres erschien damals
das folgende offizielle Verzeichnis;: Infanterie 172.120, Cavallerie 39,867.
Artillerie 10.716. Einzelne Corps 7,056: zusammen 229,759 Mann.
Im Jahre 1806 war die Stärke des Heeres 240,000 Mann; nämlich
108,400 besoldete Ausländer und 131.600 beurlaubte Inländer. Die Unter¬
haltungskosten betrugen damals etatsmnßig 16,636,000 Thlr. Doch reichte man
mit diesen, Etat nicht völlig aus und wurden noch zwei Millionen nach¬
bewilligt, so daß die gesammte Ausgabe auf 18.636,000 Thlr. kam. Dieses
machte nach der damaligen Bevölkerung des Staates wieder zwei Thaler
auf den Kops.

Die nachtheiligen Folgen der Heercsverfassung entwickelten sich vor allem
im Jahr 1806. Der Mangel eines geordneten allgemeinen.Finanzplans hatte
nur die schon erwähnte Heeresvermehrung von 35,000 Mann möglich ge¬
macht. Der zweckmäßige Vorschlag, das Heer mit 72 Milizbataillonen zu
verstärken, war wegen der Schwierigkeiten, die man ihm entgegenstellte, un¬
ausgeführt geblieben. Zu den wesentlichen Mängeln, durch welche die Er¬
eignisse des Jahres 1806 herbeigeführt wurden, gehörte ganz unverkennbar
erstens die Beurlaubung der größten Hälfte des Heeres. Durch sie wurde die
Vereinigung desselben zu der erforderlichen Zeit und auf den militärisch wich¬
tigen Punkten unausführbar. Ungeachtet man schon im Jahre 1805 den
Krieg als unvermeidlich vorhersah, war dennoch eine frühzeitigere Zusammen-
ziehung — abgesehen davon, daß sie dem Nachbarstaate als außerordent¬
liche Rüstungsmaßregel zu Beschwerden und Anfragen Veranlassung gegeben
haben würde — ohne ansehnliche Zuschüsse zu dem Friedensetat nicht aus¬
führbar. Beides sollte bis zu dem entscheidenden Augenblick vermieden werden.
Dadurch wurde aber auch die Wahl des günstigen Augenblicks zur Vereinig¬
ung der Heere, von dem allein das Gelingen des Feldzugs zu erwarten stand,
preisgegeben. Wären die 108,133 dienstthuenden Streiter als stehendes Heer
ohne Beurlaubte und die 131,667 auf Urlaub entlassenen Soldaten als
völlig von einander getrennt in besondere Regimenter gebildet gewesen, so
würde es weder schwierig noch auffällig gewesen sein, wenn man die ersteren
zu Anfang des Jahres 1806 an der Weser und dem thüringer Walde zu¬
sammengezogen hätte. Man würde in dem Augenblicke, wo der Ausbruch
des Krieges als entschieden angesehen werden mußte, mit diesen Streitkräften vor¬
gerückt sein und unter dem Schuhe dieser Bewegung die übrigen Regimenter
als Reserve haben sammeln können. Bei der Schwierigkeit aber, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/229>, abgerufen am 23.07.2024.