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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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in den alten Provinzen als zu groß erachteten Streitkräfte auf die neuen
Eroberungen übertragen werden und ihre Vertheidigung übernehmen könnten.
Ohne die so sehr verlängerte und veränderte Grenzlinie zu beachten, regelte
man die Gesetze, wodurch die bewaffnete Macht eines Staates bestimmt wer¬
den muß, nach Finanzgesetzen. stillstehend in seiner Militärverfassung
war Preußen zurückgeschritten. Das Beurlaubungs-System paßte nicht mehr
zu seinen geographischen Verhältnissen. Die Beibehaltung desselben machte
eine schnelle Vereinigung seiner Heeresmacht, da wo es die Umstände forder¬
ten, um dem besser gerüsteten Gegner zuvorzukommen, unausführbar. Auf'
fallend zeigte sich dies im Jahr 1794, wo der Ausbruch der Revolution in
Polen nicht verhindert werden konnte. Die Einziehung der Beurlaubten, die
Unbeweglichkeit, die aus der bestehenden Einrichtung hervorging, gab dem
Feinde Zeit, sich zu kräftigen, bis die 40,000 Mann zusammen zur Stelle
waren, welche dann allerdings dem Aufstand bald ein Ende machten. Auch
der Krieg gegen Frankreich war nicht glücklich. Durch die leichten Erfolge
gegen die Patrioten in Holland getäuscht, die der Herzog von Braunschweig
mit 40,000 Mann fast ohne allen Widerstand im Jahr 1787 zu Paaren ge¬
trieben, glaubte man, daß die Dingein Frankreich sich eben so gestalten wür¬
den. Als der Herzog von Braunschweig im Jahr 1792 nach Frankreich zog
und das bekannte Manifest erließ, hatte er nicht mehr als 33,000 Mann
Infanterie, 9.000 Mann Cavaliere und 120 Kanonen. Außerdem hatte er
noch östreichische und hessische Truppen unter seinem Befehle; im Ganzen
circa 60.000 Mann. Im zweiten Feldzuge von 1793 dagegen waren die Ver¬
bündeten 300,000 Mann stark. Der Herzog hatte 46,259 Mann preußische
Infanterie und 13,573 Mann Cavallerie mit 2^7 Batterien. Auch dieser Feldzug
hatte, eben so wenig wie der folgende von 1794 einen glücklichen Erfolg.

Die französische Revolution gestaltete eine neue aus allen Ständen der
Nation zusammengesetzte Heeresmacht. Die Kriegsführung, die aus ihr her¬
vorging, war auf die Benutzung des Terrains, aus das zerstreute Gefecht,
auf den wirksamen Angriff in Massen, auf große Beweglichkeit, Verminder¬
ung des Gepäcks, auf den Krieg ohne Magazine, vorzüglich aber auf die Er-
weckung der moralischen Kräfte berechnet. Diese wirksame Umformung der
ganzen Kriegsverfassung war von allen Mächten, welche gegen Frankreich in
den Kampf traten, vernachlässigt und als nicht wesentlich übersehen worden.
Die Geschichte hat in den Jahrbüchern dieser Völker mit blutigen Zügen die
zerstörenden Folgen dieser Irrthümer aufgezeichnet. Für Preußen mußte die
veränderte Art der französischen Kriegsführung um so nachtheiliger wirken,
als es sich früher grade durch seine Ueberlegenheit in der Kriegseinrichtung zu
einem Staate des ersten Ranges, ohne überwiegende Volksmenge, ohne be¬
deutende innere Hilfsquellen, erhoben hatte.


in den alten Provinzen als zu groß erachteten Streitkräfte auf die neuen
Eroberungen übertragen werden und ihre Vertheidigung übernehmen könnten.
Ohne die so sehr verlängerte und veränderte Grenzlinie zu beachten, regelte
man die Gesetze, wodurch die bewaffnete Macht eines Staates bestimmt wer¬
den muß, nach Finanzgesetzen. stillstehend in seiner Militärverfassung
war Preußen zurückgeschritten. Das Beurlaubungs-System paßte nicht mehr
zu seinen geographischen Verhältnissen. Die Beibehaltung desselben machte
eine schnelle Vereinigung seiner Heeresmacht, da wo es die Umstände forder¬
ten, um dem besser gerüsteten Gegner zuvorzukommen, unausführbar. Auf'
fallend zeigte sich dies im Jahr 1794, wo der Ausbruch der Revolution in
Polen nicht verhindert werden konnte. Die Einziehung der Beurlaubten, die
Unbeweglichkeit, die aus der bestehenden Einrichtung hervorging, gab dem
Feinde Zeit, sich zu kräftigen, bis die 40,000 Mann zusammen zur Stelle
waren, welche dann allerdings dem Aufstand bald ein Ende machten. Auch
der Krieg gegen Frankreich war nicht glücklich. Durch die leichten Erfolge
gegen die Patrioten in Holland getäuscht, die der Herzog von Braunschweig
mit 40,000 Mann fast ohne allen Widerstand im Jahr 1787 zu Paaren ge¬
trieben, glaubte man, daß die Dingein Frankreich sich eben so gestalten wür¬
den. Als der Herzog von Braunschweig im Jahr 1792 nach Frankreich zog
und das bekannte Manifest erließ, hatte er nicht mehr als 33,000 Mann
Infanterie, 9.000 Mann Cavaliere und 120 Kanonen. Außerdem hatte er
noch östreichische und hessische Truppen unter seinem Befehle; im Ganzen
circa 60.000 Mann. Im zweiten Feldzuge von 1793 dagegen waren die Ver¬
bündeten 300,000 Mann stark. Der Herzog hatte 46,259 Mann preußische
Infanterie und 13,573 Mann Cavallerie mit 2^7 Batterien. Auch dieser Feldzug
hatte, eben so wenig wie der folgende von 1794 einen glücklichen Erfolg.

Die französische Revolution gestaltete eine neue aus allen Ständen der
Nation zusammengesetzte Heeresmacht. Die Kriegsführung, die aus ihr her¬
vorging, war auf die Benutzung des Terrains, aus das zerstreute Gefecht,
auf den wirksamen Angriff in Massen, auf große Beweglichkeit, Verminder¬
ung des Gepäcks, auf den Krieg ohne Magazine, vorzüglich aber auf die Er-
weckung der moralischen Kräfte berechnet. Diese wirksame Umformung der
ganzen Kriegsverfassung war von allen Mächten, welche gegen Frankreich in
den Kampf traten, vernachlässigt und als nicht wesentlich übersehen worden.
Die Geschichte hat in den Jahrbüchern dieser Völker mit blutigen Zügen die
zerstörenden Folgen dieser Irrthümer aufgezeichnet. Für Preußen mußte die
veränderte Art der französischen Kriegsführung um so nachtheiliger wirken,
als es sich früher grade durch seine Ueberlegenheit in der Kriegseinrichtung zu
einem Staate des ersten Ranges, ohne überwiegende Volksmenge, ohne be¬
deutende innere Hilfsquellen, erhoben hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/228>, abgerufen am 23.07.2024.