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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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knieen, die das Ehrgefühl herabwürdigende Behandlung des Soldaten, die
Befreiung der wohlhabenden gebildeten Stunde der Nation vom Kriegsdienste,
wodurch die höchste Paterlandspflicht, beinahe ausschließend der niedrigsten
Volksklasse zugeinllthet, für diese eine drückende Last wurde. Die Abstellung
dieser Mängel war allerdings ein Bedürfniß der vorgeschrittenen Aus¬
bildung jener Zeit. Aber außer aller Verbindung mit ihr stand die Losung
der, Frage: Ob die damals bestehende Kriegsmacht zur Erhaltung des preu¬
ßisch rü Staates nothwendig, ob sie möglich sei? Für beide entschied die Er¬
fahrung, Mit geringeren Kräften würde Friedrich die gewonnenen Siege
nie erkämpft, Deutschlands Gleichgewicht im Jahr 1778 und einen dauernden
Frieden seiner Staaten nicht erhalten haben.

Der siebenjährige Krieg war eine lehrreiche Schule der KrieAswissenschaf-
lcn geworden. Dem höhern Standpunkte der preußischen Kriegsmacht waren
die feindlichen Heere näher getretene Dem Scharfblicke Friedrichs entging die¬
ses veränderte Verhältniß nicht. Ernstlichst beschäftigte ihn nach dem Hu-
bertnsburger Frieden der Gedanke: die bestehende Cantonsverfassung und
das Beurlaubuugssystem aufzuheben, da er bei der fortgeschrittenen
.ssriegsverfassung der übrigen Mächte die Vertheidigung des eigenen Staa¬
tes durch dieses System nicht mehr gesichert glaubte. Indeß mußte seine
durch spätere Erfahruligen bestätigte Ansicht dem Drange der Berhältinsse, und
den Bornrtheilcn jener Zeit weichen. Eine Reihe von Friedensjahren hatte
die'ses unvollkommene System ansgebilvet, und nnr die damalige geo¬
graphische Lage des preußische" Staates konnte die nachtheiligen Folgen der¬
selben weniger fühlbar machen. Während der Regierungsjahre Friedrich
des Großen grenzte die preußische Monarchie nur an das Gebiet einer
Großmacht. Gegen Oestreich allein hatte der große König sein Kricgssyslem
ausgebildet. Schlesien war so reich an Festungen, daß es gegen jeden Ueber¬
fall gesichert schien. Die zahlreiche Bevölkerung dieser Provinz machte die
Unterbringung einer bedeutenden Anzahl von Truppen möglich. In Berlin
und den Marken waren ähnliche Maßregeln getroffen. Diese Vorkehrungen
erleichterten die schnelle Vereinigung einer hinreichenden Macht, unter deren
Schul) die übrigen Regimenter versammelt werden konnten. Die Begrenzung
der Monarchie an der östlichen Seite bildete ein durch Parteiungen kraftlos
gewordenes Volk. Durch dasselbe blieb sie von Rußland getrennt, dessen
Heeresmacht noch nicht zu seiner heutigen Größe angewachsen war. Westlich
lehnte sie sich an Holland und die verschiedenen kleinen Regierungen Deutsch¬
lands, welche keine Besorgnisse erregen konnten; so daß, wenn Rußland in
Polen, Frankreich in Belgien einrückte, zu der Einberufung der Beurlaub¬
ten und der Vereinigung der Streitkräfte noch immer Zeit blieb. Ein solches
Verhältniß zu den übrigen Staaten mußte Friedrich dem Großen wenigstens


knieen, die das Ehrgefühl herabwürdigende Behandlung des Soldaten, die
Befreiung der wohlhabenden gebildeten Stunde der Nation vom Kriegsdienste,
wodurch die höchste Paterlandspflicht, beinahe ausschließend der niedrigsten
Volksklasse zugeinllthet, für diese eine drückende Last wurde. Die Abstellung
dieser Mängel war allerdings ein Bedürfniß der vorgeschrittenen Aus¬
bildung jener Zeit. Aber außer aller Verbindung mit ihr stand die Losung
der, Frage: Ob die damals bestehende Kriegsmacht zur Erhaltung des preu¬
ßisch rü Staates nothwendig, ob sie möglich sei? Für beide entschied die Er¬
fahrung, Mit geringeren Kräften würde Friedrich die gewonnenen Siege
nie erkämpft, Deutschlands Gleichgewicht im Jahr 1778 und einen dauernden
Frieden seiner Staaten nicht erhalten haben.

Der siebenjährige Krieg war eine lehrreiche Schule der KrieAswissenschaf-
lcn geworden. Dem höhern Standpunkte der preußischen Kriegsmacht waren
die feindlichen Heere näher getretene Dem Scharfblicke Friedrichs entging die¬
ses veränderte Verhältniß nicht. Ernstlichst beschäftigte ihn nach dem Hu-
bertnsburger Frieden der Gedanke: die bestehende Cantonsverfassung und
das Beurlaubuugssystem aufzuheben, da er bei der fortgeschrittenen
.ssriegsverfassung der übrigen Mächte die Vertheidigung des eigenen Staa¬
tes durch dieses System nicht mehr gesichert glaubte. Indeß mußte seine
durch spätere Erfahruligen bestätigte Ansicht dem Drange der Berhältinsse, und
den Bornrtheilcn jener Zeit weichen. Eine Reihe von Friedensjahren hatte
die'ses unvollkommene System ansgebilvet, und nnr die damalige geo¬
graphische Lage des preußische» Staates konnte die nachtheiligen Folgen der¬
selben weniger fühlbar machen. Während der Regierungsjahre Friedrich
des Großen grenzte die preußische Monarchie nur an das Gebiet einer
Großmacht. Gegen Oestreich allein hatte der große König sein Kricgssyslem
ausgebildet. Schlesien war so reich an Festungen, daß es gegen jeden Ueber¬
fall gesichert schien. Die zahlreiche Bevölkerung dieser Provinz machte die
Unterbringung einer bedeutenden Anzahl von Truppen möglich. In Berlin
und den Marken waren ähnliche Maßregeln getroffen. Diese Vorkehrungen
erleichterten die schnelle Vereinigung einer hinreichenden Macht, unter deren
Schul) die übrigen Regimenter versammelt werden konnten. Die Begrenzung
der Monarchie an der östlichen Seite bildete ein durch Parteiungen kraftlos
gewordenes Volk. Durch dasselbe blieb sie von Rußland getrennt, dessen
Heeresmacht noch nicht zu seiner heutigen Größe angewachsen war. Westlich
lehnte sie sich an Holland und die verschiedenen kleinen Regierungen Deutsch¬
lands, welche keine Besorgnisse erregen konnten; so daß, wenn Rußland in
Polen, Frankreich in Belgien einrückte, zu der Einberufung der Beurlaub¬
ten und der Vereinigung der Streitkräfte noch immer Zeit blieb. Ein solches
Verhältniß zu den übrigen Staaten mußte Friedrich dem Großen wenigstens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/226>, abgerufen am 23.07.2024.