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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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das Finanzministerium drohte, wenn sie diese Ansprüche nicht aufgeben, werde
die Zahl der bei diesen Orten anhaltenden Eisenbahnzüge vermindert, die
Briefladen eingezogen werden und dergleichen, sodaß die Eingeschüchterten nicht
wagten ihre Forderungen weiter zu verfolgen. -- Die Dampfschiffsahrtsverwalt-
ung machte eine Forderung an einen Holzhändler; sie wurde vom Gericht
abgewiesen. Der Finanzminister ließ nun den Betrag der Forderung von
einem Guthaben des Holzhändlers bei der Eisenbahnkasse abziehen und be¬
drohte ihn, als er sich beschwerte, mit Entziehung aller Lieferungen für
die Bahn und möglichst strenger Behandlung bei den noch im Gang be¬
findlichen Geschäften, sodaß er den kleinern Verlust dem größeren Uebel
vorzog.

Im Kriegsdepartement besteht auch in Württemberg wie fast überall
die Klage, daß bei Beförderungen die Geburt zu sehr berücksichtigt werde,
ferner, daß die Stellen der Verwaltungsbeamten mehr und mehr durch Offi-
ciere besetzt werden, daß unverhältnißmäßig viele höhere Chargen bestehen,
die Militärpersonen große Summen verschlingen, daß überhaupt bei der Ver¬
wendung der sür Militärzwecke bestimmten Mittel nicht sparsam zu Werke ge¬
gangen werde. So erhielt z. B. ein dem Kronprinzen als Adjutant bei einer
Reise nach Paris bcigegebener Officier, obgleich die Reise ganz auf königliche
Kosten stattfand, Diäten aus der Staatskasse. So wurde im letzten Früh¬
jahr mit reichlichen Ausrüstungsgcldern versehenen Officieren gestattet, ihren
Bedarf an Pferden aus den sür den Staat aufgekauften Remontepfcrden zum
Durchschnittspreis, statt um den in der Regel beträchtlich höhern Ankaufspreis
der betreffenden Stücke, auszuwählen. -- Hauptsächlich aber fällt es, selbst
gegenüber manchen deutschen Staaten, die in diesen Beziehungen besonders
übel daran sind, auf, wie sorgfältig von oben herab in dem Militär die An¬
schauung genährt wird, daß es nur gegen das Staatsoberhaupt und die
militärischen Oberen, nicht auch gegen den Staat, dessen Kasse es bezahlt, und
das Volk, dessen Kind es ist, Verpflichtungen habe. Daher findet man hier
eine schwerlich irgendwo weitergehende Absonderung des Militärs vom Civil¬
stand, welche bei den im Durchschnitt tüchtig gebildeten Officieren zu einer
von Manchem bedauerten Einseitigkeit, bei den Unterofsicieren und Soldaten
häufig zu brutalem Benehmen führt. Vielleicht ist eben in diesem Bestreben,
dem Militär den Stempel von Haustruppen aufzudrücken, der Grund zu suchen,
weßhalb manche kleinere Staaten nicht zu einem, offenbar für die Wehrkraft
des Volks viel wirksameren, Landwehrsystem gelangen können.

Neben diesen und noch manchen anderen Uebelständen, welche eine Zu¬
friedenheit im Innern nicht aufkommen lassen, wird in Württemberg die trau¬
rige Zersplitterung von Deutschland, die Ohnmacht der Kleinstaaten, die be¬
stündige Besorgniß, irgend einem Mächtigern zur Beute zu werden, oder doch


das Finanzministerium drohte, wenn sie diese Ansprüche nicht aufgeben, werde
die Zahl der bei diesen Orten anhaltenden Eisenbahnzüge vermindert, die
Briefladen eingezogen werden und dergleichen, sodaß die Eingeschüchterten nicht
wagten ihre Forderungen weiter zu verfolgen. — Die Dampfschiffsahrtsverwalt-
ung machte eine Forderung an einen Holzhändler; sie wurde vom Gericht
abgewiesen. Der Finanzminister ließ nun den Betrag der Forderung von
einem Guthaben des Holzhändlers bei der Eisenbahnkasse abziehen und be¬
drohte ihn, als er sich beschwerte, mit Entziehung aller Lieferungen für
die Bahn und möglichst strenger Behandlung bei den noch im Gang be¬
findlichen Geschäften, sodaß er den kleinern Verlust dem größeren Uebel
vorzog.

Im Kriegsdepartement besteht auch in Württemberg wie fast überall
die Klage, daß bei Beförderungen die Geburt zu sehr berücksichtigt werde,
ferner, daß die Stellen der Verwaltungsbeamten mehr und mehr durch Offi-
ciere besetzt werden, daß unverhältnißmäßig viele höhere Chargen bestehen,
die Militärpersonen große Summen verschlingen, daß überhaupt bei der Ver¬
wendung der sür Militärzwecke bestimmten Mittel nicht sparsam zu Werke ge¬
gangen werde. So erhielt z. B. ein dem Kronprinzen als Adjutant bei einer
Reise nach Paris bcigegebener Officier, obgleich die Reise ganz auf königliche
Kosten stattfand, Diäten aus der Staatskasse. So wurde im letzten Früh¬
jahr mit reichlichen Ausrüstungsgcldern versehenen Officieren gestattet, ihren
Bedarf an Pferden aus den sür den Staat aufgekauften Remontepfcrden zum
Durchschnittspreis, statt um den in der Regel beträchtlich höhern Ankaufspreis
der betreffenden Stücke, auszuwählen. — Hauptsächlich aber fällt es, selbst
gegenüber manchen deutschen Staaten, die in diesen Beziehungen besonders
übel daran sind, auf, wie sorgfältig von oben herab in dem Militär die An¬
schauung genährt wird, daß es nur gegen das Staatsoberhaupt und die
militärischen Oberen, nicht auch gegen den Staat, dessen Kasse es bezahlt, und
das Volk, dessen Kind es ist, Verpflichtungen habe. Daher findet man hier
eine schwerlich irgendwo weitergehende Absonderung des Militärs vom Civil¬
stand, welche bei den im Durchschnitt tüchtig gebildeten Officieren zu einer
von Manchem bedauerten Einseitigkeit, bei den Unterofsicieren und Soldaten
häufig zu brutalem Benehmen führt. Vielleicht ist eben in diesem Bestreben,
dem Militär den Stempel von Haustruppen aufzudrücken, der Grund zu suchen,
weßhalb manche kleinere Staaten nicht zu einem, offenbar für die Wehrkraft
des Volks viel wirksameren, Landwehrsystem gelangen können.

Neben diesen und noch manchen anderen Uebelständen, welche eine Zu¬
friedenheit im Innern nicht aufkommen lassen, wird in Württemberg die trau¬
rige Zersplitterung von Deutschland, die Ohnmacht der Kleinstaaten, die be¬
stündige Besorgniß, irgend einem Mächtigern zur Beute zu werden, oder doch


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[0203] das Finanzministerium drohte, wenn sie diese Ansprüche nicht aufgeben, werde die Zahl der bei diesen Orten anhaltenden Eisenbahnzüge vermindert, die Briefladen eingezogen werden und dergleichen, sodaß die Eingeschüchterten nicht wagten ihre Forderungen weiter zu verfolgen. — Die Dampfschiffsahrtsverwalt- ung machte eine Forderung an einen Holzhändler; sie wurde vom Gericht abgewiesen. Der Finanzminister ließ nun den Betrag der Forderung von einem Guthaben des Holzhändlers bei der Eisenbahnkasse abziehen und be¬ drohte ihn, als er sich beschwerte, mit Entziehung aller Lieferungen für die Bahn und möglichst strenger Behandlung bei den noch im Gang be¬ findlichen Geschäften, sodaß er den kleinern Verlust dem größeren Uebel vorzog. Im Kriegsdepartement besteht auch in Württemberg wie fast überall die Klage, daß bei Beförderungen die Geburt zu sehr berücksichtigt werde, ferner, daß die Stellen der Verwaltungsbeamten mehr und mehr durch Offi- ciere besetzt werden, daß unverhältnißmäßig viele höhere Chargen bestehen, die Militärpersonen große Summen verschlingen, daß überhaupt bei der Ver¬ wendung der sür Militärzwecke bestimmten Mittel nicht sparsam zu Werke ge¬ gangen werde. So erhielt z. B. ein dem Kronprinzen als Adjutant bei einer Reise nach Paris bcigegebener Officier, obgleich die Reise ganz auf königliche Kosten stattfand, Diäten aus der Staatskasse. So wurde im letzten Früh¬ jahr mit reichlichen Ausrüstungsgcldern versehenen Officieren gestattet, ihren Bedarf an Pferden aus den sür den Staat aufgekauften Remontepfcrden zum Durchschnittspreis, statt um den in der Regel beträchtlich höhern Ankaufspreis der betreffenden Stücke, auszuwählen. — Hauptsächlich aber fällt es, selbst gegenüber manchen deutschen Staaten, die in diesen Beziehungen besonders übel daran sind, auf, wie sorgfältig von oben herab in dem Militär die An¬ schauung genährt wird, daß es nur gegen das Staatsoberhaupt und die militärischen Oberen, nicht auch gegen den Staat, dessen Kasse es bezahlt, und das Volk, dessen Kind es ist, Verpflichtungen habe. Daher findet man hier eine schwerlich irgendwo weitergehende Absonderung des Militärs vom Civil¬ stand, welche bei den im Durchschnitt tüchtig gebildeten Officieren zu einer von Manchem bedauerten Einseitigkeit, bei den Unterofsicieren und Soldaten häufig zu brutalem Benehmen führt. Vielleicht ist eben in diesem Bestreben, dem Militär den Stempel von Haustruppen aufzudrücken, der Grund zu suchen, weßhalb manche kleinere Staaten nicht zu einem, offenbar für die Wehrkraft des Volks viel wirksameren, Landwehrsystem gelangen können. Neben diesen und noch manchen anderen Uebelständen, welche eine Zu¬ friedenheit im Innern nicht aufkommen lassen, wird in Württemberg die trau¬ rige Zersplitterung von Deutschland, die Ohnmacht der Kleinstaaten, die be¬ stündige Besorgniß, irgend einem Mächtigern zur Beute zu werden, oder doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/203>, abgerufen am 23.07.2024.