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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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erziehung, die Bildung der Geistlichen, sogar auf der Hochschule, die Aussicht
und Strafgewalt über den niedern Clerus dem Bischof preis, gestattet die
Erwerbung von Gütern durch geistliche Corporationen, begünstigt die Ansiede¬
lung von Mönchen und Nonnen und schwächt das Aussichtsrecht der Negierung,
ohne irgend ein Aequivalent dafür zu bieten; sie wird daher von den Katho¬
liken selbst, so weit sie nicht zur ultramontanen Partei gehören, als ein Un¬
glück betrachtet.

Die Verwaltung des Finanzdepartements wird in einer Weise ge¬
führt, welche fortwährende öffentliche Klagen hervorruft. Der Staat ist In¬
haber der Posten, Eisenbahnen, Telegraphen, der Dampfschifffahrt auf dem
Neckar und Bodensee. Er besitzt den dritten Theil der Waldungen des haupt¬
sächlich auf Holz als Brennstoff angewiesenen Landes, sämmtliche Salinen,
Hüttenwerke und ausgedehnte Eisen-Fabriken. Alle diese Anstalten stehen
unter dem Finanzministerium, welches, da es die Verkehrsanstalten und den
Holzmarkt vollständig beherrscht, die Staatsgewcrbe, ohne Concurrenz von Pri¬
vaten, auf Kosten der volkswirtschaftlichen Entwicklung des Landes, zu hohem
Ertrag zu steigern vermag. Zudem ist in diesem Departement das bei den
Uebrigen bestehende Collegialsystem zwar nicht gesetzlich, aber factisch aufge¬
hoben, indem der Minister weder, wie vorgeschrieben ist, an den Sitzungen
der Collegien in wichtigen Fällen Theil nimmt, noch die Vorschrift, seine Ver¬
fügungen, wenn sie von den Beschlüssen der Collegien abweichen, zur Kenntniß
des Königs zu bringen, befolgt, vielmehr sehr häusig Verfügungen trifft, ohne
auch nur seine Räthe vorher zu hören; wie denn z. B. Gesetze über neue
Eisenbahnbauten dem Landtag vorgelegt wurden, ohne daß die Eisenbahn¬
kommission vorher hiervon in Kenntniß gesetzt war. Es besteht sogar eine
Behörde, die im Jahr 1851 zur Erledigung wichtigerer Gegenstände von ge¬
meinschaftlichem Interesse bei der Verwaltung der Posten, Eisenbahnen und
Telegraphen unter dem Vorsitz des Finanzministers niedergesetzte Centralbehörde
sür die Verkehrsanstalten, welche noch niemals zu diesem Zweck eine Sitzung
gehalten hat, obgleich der Finanzminister unter dem Titel des Vorstands dieser
Behörde eine Freikarte des deutschen Eisenbahnvereins besitzt. Ferner wird
in keinem Departement so sehr, wie in diesem, über persönliche Bevorzugung
Einzelner und Hintansetzung Verdienterer geklagt; in Keinem werden Bittsteller
roher angefahren und Untergebene so derb, sowol schriftlich als auch münd¬
lich, sogar vor dem Publikum, z. B. auf den Trottoirs der Bahnhöfe, aus¬
geschälter.

Für die hier herrschenden Rechtsbegriffe mögen einige Beispiele zeugen.
Eine Gemeinde machte Entschädigungsansprüche an die Eisenbahnverwaltung
geltend und gewann den Proceß in allen Instanzen. Einige in gleichem
Fall befindliche Nachbargemeinden verlangten nun ebenfalls Entschädigung;


erziehung, die Bildung der Geistlichen, sogar auf der Hochschule, die Aussicht
und Strafgewalt über den niedern Clerus dem Bischof preis, gestattet die
Erwerbung von Gütern durch geistliche Corporationen, begünstigt die Ansiede¬
lung von Mönchen und Nonnen und schwächt das Aussichtsrecht der Negierung,
ohne irgend ein Aequivalent dafür zu bieten; sie wird daher von den Katho¬
liken selbst, so weit sie nicht zur ultramontanen Partei gehören, als ein Un¬
glück betrachtet.

Die Verwaltung des Finanzdepartements wird in einer Weise ge¬
führt, welche fortwährende öffentliche Klagen hervorruft. Der Staat ist In¬
haber der Posten, Eisenbahnen, Telegraphen, der Dampfschifffahrt auf dem
Neckar und Bodensee. Er besitzt den dritten Theil der Waldungen des haupt¬
sächlich auf Holz als Brennstoff angewiesenen Landes, sämmtliche Salinen,
Hüttenwerke und ausgedehnte Eisen-Fabriken. Alle diese Anstalten stehen
unter dem Finanzministerium, welches, da es die Verkehrsanstalten und den
Holzmarkt vollständig beherrscht, die Staatsgewcrbe, ohne Concurrenz von Pri¬
vaten, auf Kosten der volkswirtschaftlichen Entwicklung des Landes, zu hohem
Ertrag zu steigern vermag. Zudem ist in diesem Departement das bei den
Uebrigen bestehende Collegialsystem zwar nicht gesetzlich, aber factisch aufge¬
hoben, indem der Minister weder, wie vorgeschrieben ist, an den Sitzungen
der Collegien in wichtigen Fällen Theil nimmt, noch die Vorschrift, seine Ver¬
fügungen, wenn sie von den Beschlüssen der Collegien abweichen, zur Kenntniß
des Königs zu bringen, befolgt, vielmehr sehr häusig Verfügungen trifft, ohne
auch nur seine Räthe vorher zu hören; wie denn z. B. Gesetze über neue
Eisenbahnbauten dem Landtag vorgelegt wurden, ohne daß die Eisenbahn¬
kommission vorher hiervon in Kenntniß gesetzt war. Es besteht sogar eine
Behörde, die im Jahr 1851 zur Erledigung wichtigerer Gegenstände von ge¬
meinschaftlichem Interesse bei der Verwaltung der Posten, Eisenbahnen und
Telegraphen unter dem Vorsitz des Finanzministers niedergesetzte Centralbehörde
sür die Verkehrsanstalten, welche noch niemals zu diesem Zweck eine Sitzung
gehalten hat, obgleich der Finanzminister unter dem Titel des Vorstands dieser
Behörde eine Freikarte des deutschen Eisenbahnvereins besitzt. Ferner wird
in keinem Departement so sehr, wie in diesem, über persönliche Bevorzugung
Einzelner und Hintansetzung Verdienterer geklagt; in Keinem werden Bittsteller
roher angefahren und Untergebene so derb, sowol schriftlich als auch münd¬
lich, sogar vor dem Publikum, z. B. auf den Trottoirs der Bahnhöfe, aus¬
geschälter.

Für die hier herrschenden Rechtsbegriffe mögen einige Beispiele zeugen.
Eine Gemeinde machte Entschädigungsansprüche an die Eisenbahnverwaltung
geltend und gewann den Proceß in allen Instanzen. Einige in gleichem
Fall befindliche Nachbargemeinden verlangten nun ebenfalls Entschädigung;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/202>, abgerufen am 23.07.2024.