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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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die abzuhaltende Rede vorher dem Amtmann vorlege. Außerdem wird von den
der Regierung nicht unbedingt ergebenen politischen Zeitschriften die höchst
mögliche Kaution gefordert, bei polizeilichen Beschlagnahmen die Angabe des
anstößigen Artikels verweigert.

Tief in das gewerbliche Leben eingreifend ist der Mißbrauch, welcher mit
gewerblichen Concessionen getrieben wird. Statt in den gesetzlich von
einer Regierungserlaubniß abhängigen Fällen diese Erlaubniß einfach zu geben
oder zu verweigern, wird bei Einzelnen die Concession zwar ertheilt, aber an
Bedingungen geknüpft, welche das Gesetz nicht kennt, z. B. Widerruflichkeit,
und so der Gewerbestand mehr und mehr von der Gunst der Negierung ab¬
hängig gemacht. Das Vereinswesen ist durch die zu dem Bundesbeschluß
vom 13. Juli 1854 erlassene Vollziehungsvcrordnung so eingeschränkt, daß
politische Bereine nicht dabei bestehen und nichtpolitische sich kaum mehr be¬
haglich fühlen können. Die Ueberwachung geht über das Maaß der Bundcs-
beschlüsse hinaus, so weit, daß z. B., als die vor einigen Monaten in Göp-
pingen versammelten schwäbischen Turner einen Spaziergang auf den nahe
gelegenen Hohenstaufen beabsichtigten, der dortige Oberamtmann den Auftrag
erhielt, dies zu verhindern, was ihm jedoch, da er hierzu weder ein Recht
noch materielle Macht besaß, unmöglich war.

Durch Aufbietung aller in der Gewalt der Negierung liegenden Mittel
und wiederholte Auflösungen wurde eine Abgeordnetenkammer erzielt, in
welcher die entschiedene Opposition nur noch durch wenige Stimmen ver¬
treten ist. Mit Hilfe einer zu einem Viertel aus Privilegirten und zu drei
Vierteln aus vom Volk Gewählten bestehenden zweiten und einer aus ho¬
hem Adel und vornehmen Beamten zusammengesetzten ersten Kammer wurde
die Todes- und die Prügelstrafe wieder eingeführt (letztere wird fleißig ge¬
handhabt), das Vcrehlichungsrccht beschränkt, die Steuern erhöht, die Besol¬
dungen der Beamten durchgängig ausgebessert, ohne zugleich an ihrer Zahl
zu sparen und dergl. Noch weiter gehende Versuche der Regierung, die Ge¬
meindeverwaltung in aristokratischem Sinn umzugestalten und den angeblich
durch die Ablösungsgesctze von 1848 und 1849 verkürzten Gcfällberechtigten
auf Kosten des Staats und der Pflichtigen große Summen nachträglich zuzu¬
wenden, konnten bis jetzt selbst in der, der Regierung ergebenen Abgeordneten¬
kammer nicht durchgesetzt werden.

Eine Uebereinkunft mit dem römischen Stuhl, welche mit ver¬
schiedenen Bestimmungen der Landesverfassung in Widerspruch steht, wurde
von dem Cultministerium in ihren wichtigsten Punkten zur Ausführung gebracht
und gewinnt dadurch factischen Bestand, obgleich sie von den Ständen noch
nicht berathen und deren Zustimmung sehr zweifelhaft ist. Diese Uebereinkunft
enthält Zugeständnisse der bedenklichsten Art an die Curie; sie gibt die Volks-


die abzuhaltende Rede vorher dem Amtmann vorlege. Außerdem wird von den
der Regierung nicht unbedingt ergebenen politischen Zeitschriften die höchst
mögliche Kaution gefordert, bei polizeilichen Beschlagnahmen die Angabe des
anstößigen Artikels verweigert.

Tief in das gewerbliche Leben eingreifend ist der Mißbrauch, welcher mit
gewerblichen Concessionen getrieben wird. Statt in den gesetzlich von
einer Regierungserlaubniß abhängigen Fällen diese Erlaubniß einfach zu geben
oder zu verweigern, wird bei Einzelnen die Concession zwar ertheilt, aber an
Bedingungen geknüpft, welche das Gesetz nicht kennt, z. B. Widerruflichkeit,
und so der Gewerbestand mehr und mehr von der Gunst der Negierung ab¬
hängig gemacht. Das Vereinswesen ist durch die zu dem Bundesbeschluß
vom 13. Juli 1854 erlassene Vollziehungsvcrordnung so eingeschränkt, daß
politische Bereine nicht dabei bestehen und nichtpolitische sich kaum mehr be¬
haglich fühlen können. Die Ueberwachung geht über das Maaß der Bundcs-
beschlüsse hinaus, so weit, daß z. B., als die vor einigen Monaten in Göp-
pingen versammelten schwäbischen Turner einen Spaziergang auf den nahe
gelegenen Hohenstaufen beabsichtigten, der dortige Oberamtmann den Auftrag
erhielt, dies zu verhindern, was ihm jedoch, da er hierzu weder ein Recht
noch materielle Macht besaß, unmöglich war.

Durch Aufbietung aller in der Gewalt der Negierung liegenden Mittel
und wiederholte Auflösungen wurde eine Abgeordnetenkammer erzielt, in
welcher die entschiedene Opposition nur noch durch wenige Stimmen ver¬
treten ist. Mit Hilfe einer zu einem Viertel aus Privilegirten und zu drei
Vierteln aus vom Volk Gewählten bestehenden zweiten und einer aus ho¬
hem Adel und vornehmen Beamten zusammengesetzten ersten Kammer wurde
die Todes- und die Prügelstrafe wieder eingeführt (letztere wird fleißig ge¬
handhabt), das Vcrehlichungsrccht beschränkt, die Steuern erhöht, die Besol¬
dungen der Beamten durchgängig ausgebessert, ohne zugleich an ihrer Zahl
zu sparen und dergl. Noch weiter gehende Versuche der Regierung, die Ge¬
meindeverwaltung in aristokratischem Sinn umzugestalten und den angeblich
durch die Ablösungsgesctze von 1848 und 1849 verkürzten Gcfällberechtigten
auf Kosten des Staats und der Pflichtigen große Summen nachträglich zuzu¬
wenden, konnten bis jetzt selbst in der, der Regierung ergebenen Abgeordneten¬
kammer nicht durchgesetzt werden.

Eine Uebereinkunft mit dem römischen Stuhl, welche mit ver¬
schiedenen Bestimmungen der Landesverfassung in Widerspruch steht, wurde
von dem Cultministerium in ihren wichtigsten Punkten zur Ausführung gebracht
und gewinnt dadurch factischen Bestand, obgleich sie von den Ständen noch
nicht berathen und deren Zustimmung sehr zweifelhaft ist. Diese Uebereinkunft
enthält Zugeständnisse der bedenklichsten Art an die Curie; sie gibt die Volks-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/201>, abgerufen am 25.08.2024.