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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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zu diesen Bemerkungen veranlaßt haben. Hier ist genau derselbe Ton. aber
er klingt vollkommen natürlich, man hat das Gefühl, als müßte es so sein.
Und sehen wir uns dann weiter in der Literatur um. so entdecken wir, daß
dieser Ton der echt französische ist; vor allem wieder der Ton Voltaire's, aber
viel alter als dieser große Schriftsteller. Wir brauchen gar nicht auf die geist¬
reichen Französinnen zurückzugehen, auf die S6vign6 und wie sie alle heißen:
wir haben im 17. Jahrhundert Pascal, im 16. Montaigne, und aus diesen
Schriftstellern könnten wir lange Sätze ins Athenäum aufnehmen, ohne daß
man den Unterschied besonders merken sollte. Es mag den Nachkommen der
alten Romantik, den leidenschaftlichen Franzosenfeinden, seltsam genug erschei¬
nen, wenn man auch sie mit den Franzosen in Zusammenhang bringt, aber
die Sache verhält sich wirklich so. Freilich sind die späteren, die Werner,
die Fouquv u. s. w. daran nicht schuld; es ist hier nur von den Stiftern der
Schule die Rede, die in ihrer guten Zeit auch wohl die Jakobinermütze nicht
verschmähten, und die. als sie alt geworden waren, zu der so sehr angefoch¬
tenen Allongenperrücke zurückkehrten. Man merke dabei noch an, daß der
beste Stilist unter ihnen, daß A. W. Schlegel eben so gut französisch als
deutsch schrieb.

Man muß. um den Einfluß der Franzosen in seinem ganzen Umfang zu
würdigen, jene drei Seiten ihres Wesens in Anschlag bringen: einmal die
Fähigkeit zur Disciplin, aus der die Akademie eben so hervorgegangen ist.
wie sie dieselbe gefördert hat, eine Disciplin, aus der sich auch die Möglich¬
keit des Bonapartismus erklärt; sodann die Fähigkeit, im entscheidenden Augen¬
blick ganz in Furie aufzugehen: das Jakobinerthum, die Bluthochzeit, und
weiter zurück bis zur Jacquerie; endlich jene angeborene boshafte Grazie, die
mit dem Degen eben so gut umzugehen weiß, als mit dem Wort: der Geist
der Fronde, das Bonmot, der Esprit, mit einem Wort, das Talent des para¬
doxen Denkens und Empfindens. Die Franzosen sind nicht solche steife Glie¬
derpuppen der Regel, wie man sie oft abbildet, sie haben es freilich gern,
wenn sie in ihrem Denken und Empfinden einmal eine Pause machen und
sich für diesen Zeitraum einer höhern Autorität anvertrauen zu können: aber
fangen sie einmal an zu denken oder zu fühlen, so regt sich der Zuave, und
ihre Verwegenheit erschrickt vor nichts.

Voltaire ist der vollständigste Franzose, in ihm sind alle drei Richtungen
gleichmäßig ausgebildet. In seinen kleinen prosaischen Schriften, wo alles
Anmuth und Malice ist. wird man an den Dichter der Henriade gar nicht er¬
innert, der mit der Allongenperrücke geboren zu sein scheint, und wer etwa in
seinem Wirken die concentrirte Leidenschaft vermißt, der schlage die Stellen
in seinen Briefen auf, wo der Refrain: Doras62 l'Ink^me! eintritt.

Der Fürst, dessen Schriften hier in neuer vollständiger Ausgabe erscheinen,


zu diesen Bemerkungen veranlaßt haben. Hier ist genau derselbe Ton. aber
er klingt vollkommen natürlich, man hat das Gefühl, als müßte es so sein.
Und sehen wir uns dann weiter in der Literatur um. so entdecken wir, daß
dieser Ton der echt französische ist; vor allem wieder der Ton Voltaire's, aber
viel alter als dieser große Schriftsteller. Wir brauchen gar nicht auf die geist¬
reichen Französinnen zurückzugehen, auf die S6vign6 und wie sie alle heißen:
wir haben im 17. Jahrhundert Pascal, im 16. Montaigne, und aus diesen
Schriftstellern könnten wir lange Sätze ins Athenäum aufnehmen, ohne daß
man den Unterschied besonders merken sollte. Es mag den Nachkommen der
alten Romantik, den leidenschaftlichen Franzosenfeinden, seltsam genug erschei¬
nen, wenn man auch sie mit den Franzosen in Zusammenhang bringt, aber
die Sache verhält sich wirklich so. Freilich sind die späteren, die Werner,
die Fouquv u. s. w. daran nicht schuld; es ist hier nur von den Stiftern der
Schule die Rede, die in ihrer guten Zeit auch wohl die Jakobinermütze nicht
verschmähten, und die. als sie alt geworden waren, zu der so sehr angefoch¬
tenen Allongenperrücke zurückkehrten. Man merke dabei noch an, daß der
beste Stilist unter ihnen, daß A. W. Schlegel eben so gut französisch als
deutsch schrieb.

Man muß. um den Einfluß der Franzosen in seinem ganzen Umfang zu
würdigen, jene drei Seiten ihres Wesens in Anschlag bringen: einmal die
Fähigkeit zur Disciplin, aus der die Akademie eben so hervorgegangen ist.
wie sie dieselbe gefördert hat, eine Disciplin, aus der sich auch die Möglich¬
keit des Bonapartismus erklärt; sodann die Fähigkeit, im entscheidenden Augen¬
blick ganz in Furie aufzugehen: das Jakobinerthum, die Bluthochzeit, und
weiter zurück bis zur Jacquerie; endlich jene angeborene boshafte Grazie, die
mit dem Degen eben so gut umzugehen weiß, als mit dem Wort: der Geist
der Fronde, das Bonmot, der Esprit, mit einem Wort, das Talent des para¬
doxen Denkens und Empfindens. Die Franzosen sind nicht solche steife Glie¬
derpuppen der Regel, wie man sie oft abbildet, sie haben es freilich gern,
wenn sie in ihrem Denken und Empfinden einmal eine Pause machen und
sich für diesen Zeitraum einer höhern Autorität anvertrauen zu können: aber
fangen sie einmal an zu denken oder zu fühlen, so regt sich der Zuave, und
ihre Verwegenheit erschrickt vor nichts.

Voltaire ist der vollständigste Franzose, in ihm sind alle drei Richtungen
gleichmäßig ausgebildet. In seinen kleinen prosaischen Schriften, wo alles
Anmuth und Malice ist. wird man an den Dichter der Henriade gar nicht er¬
innert, der mit der Allongenperrücke geboren zu sein scheint, und wer etwa in
seinem Wirken die concentrirte Leidenschaft vermißt, der schlage die Stellen
in seinen Briefen auf, wo der Refrain: Doras62 l'Ink^me! eintritt.

Der Fürst, dessen Schriften hier in neuer vollständiger Ausgabe erscheinen,


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[0194] zu diesen Bemerkungen veranlaßt haben. Hier ist genau derselbe Ton. aber er klingt vollkommen natürlich, man hat das Gefühl, als müßte es so sein. Und sehen wir uns dann weiter in der Literatur um. so entdecken wir, daß dieser Ton der echt französische ist; vor allem wieder der Ton Voltaire's, aber viel alter als dieser große Schriftsteller. Wir brauchen gar nicht auf die geist¬ reichen Französinnen zurückzugehen, auf die S6vign6 und wie sie alle heißen: wir haben im 17. Jahrhundert Pascal, im 16. Montaigne, und aus diesen Schriftstellern könnten wir lange Sätze ins Athenäum aufnehmen, ohne daß man den Unterschied besonders merken sollte. Es mag den Nachkommen der alten Romantik, den leidenschaftlichen Franzosenfeinden, seltsam genug erschei¬ nen, wenn man auch sie mit den Franzosen in Zusammenhang bringt, aber die Sache verhält sich wirklich so. Freilich sind die späteren, die Werner, die Fouquv u. s. w. daran nicht schuld; es ist hier nur von den Stiftern der Schule die Rede, die in ihrer guten Zeit auch wohl die Jakobinermütze nicht verschmähten, und die. als sie alt geworden waren, zu der so sehr angefoch¬ tenen Allongenperrücke zurückkehrten. Man merke dabei noch an, daß der beste Stilist unter ihnen, daß A. W. Schlegel eben so gut französisch als deutsch schrieb. Man muß. um den Einfluß der Franzosen in seinem ganzen Umfang zu würdigen, jene drei Seiten ihres Wesens in Anschlag bringen: einmal die Fähigkeit zur Disciplin, aus der die Akademie eben so hervorgegangen ist. wie sie dieselbe gefördert hat, eine Disciplin, aus der sich auch die Möglich¬ keit des Bonapartismus erklärt; sodann die Fähigkeit, im entscheidenden Augen¬ blick ganz in Furie aufzugehen: das Jakobinerthum, die Bluthochzeit, und weiter zurück bis zur Jacquerie; endlich jene angeborene boshafte Grazie, die mit dem Degen eben so gut umzugehen weiß, als mit dem Wort: der Geist der Fronde, das Bonmot, der Esprit, mit einem Wort, das Talent des para¬ doxen Denkens und Empfindens. Die Franzosen sind nicht solche steife Glie¬ derpuppen der Regel, wie man sie oft abbildet, sie haben es freilich gern, wenn sie in ihrem Denken und Empfinden einmal eine Pause machen und sich für diesen Zeitraum einer höhern Autorität anvertrauen zu können: aber fangen sie einmal an zu denken oder zu fühlen, so regt sich der Zuave, und ihre Verwegenheit erschrickt vor nichts. Voltaire ist der vollständigste Franzose, in ihm sind alle drei Richtungen gleichmäßig ausgebildet. In seinen kleinen prosaischen Schriften, wo alles Anmuth und Malice ist. wird man an den Dichter der Henriade gar nicht er¬ innert, der mit der Allongenperrücke geboren zu sein scheint, und wer etwa in seinem Wirken die concentrirte Leidenschaft vermißt, der schlage die Stellen in seinen Briefen auf, wo der Refrain: Doras62 l'Ink^me! eintritt. Der Fürst, dessen Schriften hier in neuer vollständiger Ausgabe erscheinen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/194>, abgerufen am 23.07.2024.