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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Dies ist, so deutsch als möglich ausgesprochen, das richtige Sachverhält¬
niß, das jene eifrigen Männer in der Hitze des Gefechts ganz übersahen, ob¬
gleich sie bei ruhiger Ueberlegung eben so dachten. Wenn Müller und Ja"
lobi un Interesse der politischen Freiheit und der historischen Gerechtigkeit
sich des Papstthums annahmen, so fanden sie bald Verbündete, die von einem
ganz andern Standpunkt aus thuen Vorschub leisteten. Es waren die Roman¬
tiker, die, ursprünglich eher revolutionär als conservativ gesinnt, im Interesse
der Künste sich der katholischen Kirche zuneigten, weil diese nach ihrer Ansicht
der Malerei und der Architektur, der Musik und selbst der Poesie eine bessere
Gelegenheit geben sollte, ihre Kräfte zur Geltung zu bringen. Wie sehr sich
diese Ansichten innerhalb einer strebsamen aber unklaren Jugend verbreiteten,
und wie oft man ähnliche Behauptungen noch heute wiederholen hört, obgleich
man den Beweis immer schuldig bleibt, ist bekannt genug. Indessen war
hier doch immer nur von Neigungen und individuellen Stimmungen die Rede,
und die Argumente der Romantiker konnten nur denjenigen irre führen, in
dessen eigenem Gemüth sich ein verwandtes Interesse regte. Eine viel wunder¬
lichere Erscheinung war die namentlich von der Heidelberger Schule auf¬
gestellte Doctrin, der Katholicismus in seiner extremsten Form, d. h. der Ul¬
tramontanismus, sei wesentlich nothwendig, um das Christenthum in seiner
Totalität zur Erscheinung zu bringen. Diese Männer dachten gar nicht daran,
selber katholisch zu werden, sie forderten vielmehr ihre Glaubensgenossen auf.
in der Konsequenz des protestantischen Princips möglichst streng zu sein; da¬
gegen gaben sie zu verstehen, es sei von den Katholiken schicklich, auf ihrer
Seite so weit zu gehen als irgend möglich, um das Gleichgewicht herzustellen.
Es sind in Deutschland viel wunderliche Dinge geschehen, aber diese Auffassung
von der "Polarität des Christenthums" ist wohl kaum überboten worden.

Handgreiflicher wurde die Sache, als die politische Reaktion sich der re¬
ligiösen Frage bemächtigte. Müller hatte in der katholischen Kirche einen
Verbündeten gegen den militärischen Despotismus gesucht; sein Schüler Haller
begrüßte in derselben einen willkommenen Verbündeten gegen die Revolution
und den Liberalismus. Es ist nöthig daran zu erinnern, daß Haller diese
Ansichten, die freilich erst in der Restaurationszeit populär wurden, bereits
1808 im vollständigen Zusammenhang darstellte, und daß damals sein Buch
von Johannes v. Müller sehr gelobt wurde trotz einzelner Ausstellungen.

Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man dem Einfluß dieser protestantischen Apo¬
staten -- Stolberg. Schlegel, Haller. Adam Müller, Jarcke, Phil-
lipps u. s. w. -- die Zahl ist ziemlich groß--zum großen Theil den Fortschritt
beimißt, den der Ultramontanismus innerhalb der katholischen Kirche gemacht
hat. Die materielle Basis war freilich immer vorhanden, aber die Vertreter
der alleinseligmachenden Kirche hatten zum großen Theil ihr Selbstgefühl und


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Dies ist, so deutsch als möglich ausgesprochen, das richtige Sachverhält¬
niß, das jene eifrigen Männer in der Hitze des Gefechts ganz übersahen, ob¬
gleich sie bei ruhiger Ueberlegung eben so dachten. Wenn Müller und Ja«
lobi un Interesse der politischen Freiheit und der historischen Gerechtigkeit
sich des Papstthums annahmen, so fanden sie bald Verbündete, die von einem
ganz andern Standpunkt aus thuen Vorschub leisteten. Es waren die Roman¬
tiker, die, ursprünglich eher revolutionär als conservativ gesinnt, im Interesse
der Künste sich der katholischen Kirche zuneigten, weil diese nach ihrer Ansicht
der Malerei und der Architektur, der Musik und selbst der Poesie eine bessere
Gelegenheit geben sollte, ihre Kräfte zur Geltung zu bringen. Wie sehr sich
diese Ansichten innerhalb einer strebsamen aber unklaren Jugend verbreiteten,
und wie oft man ähnliche Behauptungen noch heute wiederholen hört, obgleich
man den Beweis immer schuldig bleibt, ist bekannt genug. Indessen war
hier doch immer nur von Neigungen und individuellen Stimmungen die Rede,
und die Argumente der Romantiker konnten nur denjenigen irre führen, in
dessen eigenem Gemüth sich ein verwandtes Interesse regte. Eine viel wunder¬
lichere Erscheinung war die namentlich von der Heidelberger Schule auf¬
gestellte Doctrin, der Katholicismus in seiner extremsten Form, d. h. der Ul¬
tramontanismus, sei wesentlich nothwendig, um das Christenthum in seiner
Totalität zur Erscheinung zu bringen. Diese Männer dachten gar nicht daran,
selber katholisch zu werden, sie forderten vielmehr ihre Glaubensgenossen auf.
in der Konsequenz des protestantischen Princips möglichst streng zu sein; da¬
gegen gaben sie zu verstehen, es sei von den Katholiken schicklich, auf ihrer
Seite so weit zu gehen als irgend möglich, um das Gleichgewicht herzustellen.
Es sind in Deutschland viel wunderliche Dinge geschehen, aber diese Auffassung
von der „Polarität des Christenthums" ist wohl kaum überboten worden.

Handgreiflicher wurde die Sache, als die politische Reaktion sich der re¬
ligiösen Frage bemächtigte. Müller hatte in der katholischen Kirche einen
Verbündeten gegen den militärischen Despotismus gesucht; sein Schüler Haller
begrüßte in derselben einen willkommenen Verbündeten gegen die Revolution
und den Liberalismus. Es ist nöthig daran zu erinnern, daß Haller diese
Ansichten, die freilich erst in der Restaurationszeit populär wurden, bereits
1808 im vollständigen Zusammenhang darstellte, und daß damals sein Buch
von Johannes v. Müller sehr gelobt wurde trotz einzelner Ausstellungen.

Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man dem Einfluß dieser protestantischen Apo¬
staten — Stolberg. Schlegel, Haller. Adam Müller, Jarcke, Phil-
lipps u. s. w. — die Zahl ist ziemlich groß—zum großen Theil den Fortschritt
beimißt, den der Ultramontanismus innerhalb der katholischen Kirche gemacht
hat. Die materielle Basis war freilich immer vorhanden, aber die Vertreter
der alleinseligmachenden Kirche hatten zum großen Theil ihr Selbstgefühl und


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[0189] Dies ist, so deutsch als möglich ausgesprochen, das richtige Sachverhält¬ niß, das jene eifrigen Männer in der Hitze des Gefechts ganz übersahen, ob¬ gleich sie bei ruhiger Ueberlegung eben so dachten. Wenn Müller und Ja« lobi un Interesse der politischen Freiheit und der historischen Gerechtigkeit sich des Papstthums annahmen, so fanden sie bald Verbündete, die von einem ganz andern Standpunkt aus thuen Vorschub leisteten. Es waren die Roman¬ tiker, die, ursprünglich eher revolutionär als conservativ gesinnt, im Interesse der Künste sich der katholischen Kirche zuneigten, weil diese nach ihrer Ansicht der Malerei und der Architektur, der Musik und selbst der Poesie eine bessere Gelegenheit geben sollte, ihre Kräfte zur Geltung zu bringen. Wie sehr sich diese Ansichten innerhalb einer strebsamen aber unklaren Jugend verbreiteten, und wie oft man ähnliche Behauptungen noch heute wiederholen hört, obgleich man den Beweis immer schuldig bleibt, ist bekannt genug. Indessen war hier doch immer nur von Neigungen und individuellen Stimmungen die Rede, und die Argumente der Romantiker konnten nur denjenigen irre führen, in dessen eigenem Gemüth sich ein verwandtes Interesse regte. Eine viel wunder¬ lichere Erscheinung war die namentlich von der Heidelberger Schule auf¬ gestellte Doctrin, der Katholicismus in seiner extremsten Form, d. h. der Ul¬ tramontanismus, sei wesentlich nothwendig, um das Christenthum in seiner Totalität zur Erscheinung zu bringen. Diese Männer dachten gar nicht daran, selber katholisch zu werden, sie forderten vielmehr ihre Glaubensgenossen auf. in der Konsequenz des protestantischen Princips möglichst streng zu sein; da¬ gegen gaben sie zu verstehen, es sei von den Katholiken schicklich, auf ihrer Seite so weit zu gehen als irgend möglich, um das Gleichgewicht herzustellen. Es sind in Deutschland viel wunderliche Dinge geschehen, aber diese Auffassung von der „Polarität des Christenthums" ist wohl kaum überboten worden. Handgreiflicher wurde die Sache, als die politische Reaktion sich der re¬ ligiösen Frage bemächtigte. Müller hatte in der katholischen Kirche einen Verbündeten gegen den militärischen Despotismus gesucht; sein Schüler Haller begrüßte in derselben einen willkommenen Verbündeten gegen die Revolution und den Liberalismus. Es ist nöthig daran zu erinnern, daß Haller diese Ansichten, die freilich erst in der Restaurationszeit populär wurden, bereits 1808 im vollständigen Zusammenhang darstellte, und daß damals sein Buch von Johannes v. Müller sehr gelobt wurde trotz einzelner Ausstellungen. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man dem Einfluß dieser protestantischen Apo¬ staten — Stolberg. Schlegel, Haller. Adam Müller, Jarcke, Phil- lipps u. s. w. — die Zahl ist ziemlich groß—zum großen Theil den Fortschritt beimißt, den der Ultramontanismus innerhalb der katholischen Kirche gemacht hat. Die materielle Basis war freilich immer vorhanden, aber die Vertreter der alleinseligmachenden Kirche hatten zum großen Theil ihr Selbstgefühl und Grenzboten I. 1L6V. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/189>, abgerufen am 23.07.2024.