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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Einen andern Zuschuß gaben die zahlreichen Auswanderungen junger Leute
aus dem östreichisch gebliebenen Venetien, welche sich seit dem Frieden von
Villafranca -- vorläufig wenigstens -- stets mehrten. Aber man griff noch
weiter über Italien hinaus. Auch auf die ungarischen Soldaten, welche während
des Krieges aus dem östreichischen Heere desertirt waren und die verheißene
allgemeine Amnestie nicht für völlig stichfest halten mochten, ward gerechnet.
So ward in Parma die Errichtung eines Regimentes Husaren von Piacenza
von acht Escadrons, also ganz nach östreichischer Schablone, beschlossen und
dessen Formation dem Oberst Graf Gregor Bethlcn übertragen. Auch das
Kommando der Artillerie und des Genies der Truppen von Parma erhielt ein
Ungar, Joseph Krivcicsy. Berechnet man die Bevölkerung der vier Länder,
welche den mittelitalienischen Bund bilden, so ergeben sich etwa folgende
Zahlen: für Toscana 1.794,000, für Parma 500.000, für Modena 604,000,
für die Romagna 1,000.000. also im Ganzen 3,898,000. Nun sind 46,000
Mann wenig mehr als ein Procent der Bevölkerung. Man kann nicht um¬
hin, die Bemerkung zu machen, daß, wenn unter solchen Umständen sich den¬
noch das Bedürfniß so fühlbar macht, sich nach allerlei fremden Kräften um¬
zusehen, dies wol aus eine ziemlich bedeutende Abneigung der Mittelitaliener
gegen den Militärdienst schließen lassen dürfte; soviel auch in anderm Sinne
erzählt werden mag, die Zahlen sprechen zu deutlich. Natürlich wird es nie¬
mals zu vermeiden sein, daß man bei einer, militärischer Zucht durchaus ent¬
wöhnten Bevölkerung, die nun plötzlich einen militärischen Aufschwung
nimmt, fremde Kräfte suchen müsse. Aber insbesondere wird dies nur für
die höhern Führerstcllen, für die Organisation, um die Sache in Gang
zu bringen, nothwendig sein; nicht um die Cadres zu füllen, wenn über¬
haupt militärischer Sinn im Bolle lebt. Wenn man annehmen wollte,
daß die mittelitalienischen Staaten es der Schweiz gleich thun wollten, so
könnten sie auf den Kriegsfuß gegen 170,000 Mann aufbringen, ganz ab¬
gesehen von Landwehr und Landsturm. Es scheint, daß die Leiter der Be¬
wegung es nicht recht gewagt haben, die Conscription in aller Strenge durch¬
zuführen, obgleich sie sich im Uebrigen bei der Formation der Truppen wesent¬
lich dem piemontesischen Modell anschlössen. Allerdings existirte sowohl in
Toscana. als in Parma und Modena unter den Herzögen die Conscription;
indessen da diese Staaten auf Oestreich gestützt sich begnügten, nur so viele
Truppen zu unterhalten, als sie für genügend zur Aufrechthaltung dessen erach¬
teten, was sie "Ordnung" nannten, so wollte dies wenig sagen. Im Kirchen¬
staat gab es normaler Weise keine Conscription, sondern nur freie Werbung.
Wir glauben darauf aufmerksam machen zu müssen, daß es kein einziges Volk
gibt, bei welchem so sehr als bei den Italienern die Machthaber, welche sie
im Lauf der Zeit nacheinander für sich zu gewinnen trachteten, dies durch das


Einen andern Zuschuß gaben die zahlreichen Auswanderungen junger Leute
aus dem östreichisch gebliebenen Venetien, welche sich seit dem Frieden von
Villafranca — vorläufig wenigstens — stets mehrten. Aber man griff noch
weiter über Italien hinaus. Auch auf die ungarischen Soldaten, welche während
des Krieges aus dem östreichischen Heere desertirt waren und die verheißene
allgemeine Amnestie nicht für völlig stichfest halten mochten, ward gerechnet.
So ward in Parma die Errichtung eines Regimentes Husaren von Piacenza
von acht Escadrons, also ganz nach östreichischer Schablone, beschlossen und
dessen Formation dem Oberst Graf Gregor Bethlcn übertragen. Auch das
Kommando der Artillerie und des Genies der Truppen von Parma erhielt ein
Ungar, Joseph Krivcicsy. Berechnet man die Bevölkerung der vier Länder,
welche den mittelitalienischen Bund bilden, so ergeben sich etwa folgende
Zahlen: für Toscana 1.794,000, für Parma 500.000, für Modena 604,000,
für die Romagna 1,000.000. also im Ganzen 3,898,000. Nun sind 46,000
Mann wenig mehr als ein Procent der Bevölkerung. Man kann nicht um¬
hin, die Bemerkung zu machen, daß, wenn unter solchen Umständen sich den¬
noch das Bedürfniß so fühlbar macht, sich nach allerlei fremden Kräften um¬
zusehen, dies wol aus eine ziemlich bedeutende Abneigung der Mittelitaliener
gegen den Militärdienst schließen lassen dürfte; soviel auch in anderm Sinne
erzählt werden mag, die Zahlen sprechen zu deutlich. Natürlich wird es nie¬
mals zu vermeiden sein, daß man bei einer, militärischer Zucht durchaus ent¬
wöhnten Bevölkerung, die nun plötzlich einen militärischen Aufschwung
nimmt, fremde Kräfte suchen müsse. Aber insbesondere wird dies nur für
die höhern Führerstcllen, für die Organisation, um die Sache in Gang
zu bringen, nothwendig sein; nicht um die Cadres zu füllen, wenn über¬
haupt militärischer Sinn im Bolle lebt. Wenn man annehmen wollte,
daß die mittelitalienischen Staaten es der Schweiz gleich thun wollten, so
könnten sie auf den Kriegsfuß gegen 170,000 Mann aufbringen, ganz ab¬
gesehen von Landwehr und Landsturm. Es scheint, daß die Leiter der Be¬
wegung es nicht recht gewagt haben, die Conscription in aller Strenge durch¬
zuführen, obgleich sie sich im Uebrigen bei der Formation der Truppen wesent¬
lich dem piemontesischen Modell anschlössen. Allerdings existirte sowohl in
Toscana. als in Parma und Modena unter den Herzögen die Conscription;
indessen da diese Staaten auf Oestreich gestützt sich begnügten, nur so viele
Truppen zu unterhalten, als sie für genügend zur Aufrechthaltung dessen erach¬
teten, was sie „Ordnung" nannten, so wollte dies wenig sagen. Im Kirchen¬
staat gab es normaler Weise keine Conscription, sondern nur freie Werbung.
Wir glauben darauf aufmerksam machen zu müssen, daß es kein einziges Volk
gibt, bei welchem so sehr als bei den Italienern die Machthaber, welche sie
im Lauf der Zeit nacheinander für sich zu gewinnen trachteten, dies durch das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/161>, abgerufen am 25.08.2024.