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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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wagten nicht recht, sich an die Spitze zu stellen; höchstens brachte hie und da
Einer im Süden, in der Gegend von Rimini namentlich, einen Haufen fcmati-
sirter Bauern zusammen, welche aber von dem einschreitenden Militär alsbald
zerstreut wurden, ohne daß dieses sich zu einer Verfolgung aus das päpstliche
Gebiet fortreißen ließ. Ihre Rüstungen konnten die Mittelitaliener bei
dem Reichthum des Landes bald in den Stand setzen, es mit den Truppen
des Papstes, denen sich jene der Herzoge anschlössen, allein aufzunehmen,
um so mehr, als es in dem ganzen päpstlichen Gebiete für die italienische
Sache, d. h. im Wesentlichen für den Anschluß an Piemont, gährte. Wie
wenig Pius IX. sich aus die Neigung der Bevölkerung zu ihm und seiner
Sache verlassen konnte, das zu sehen und zu erfahren hatte er manche Gelegen¬
heit. Die ganze Sonderbarkeit der bestehenden Verhältnisse malt sich außer
in vielen andern Vorfällen unseres Erachtens mit großer Deutlichkeit' in einem
Vorfalle zu Rom, in der Hauptstadt des Papstes selbst. Am 30. Juli näm¬
lich hielten die Römer einen Trauergottesdienst zu Ehren der im beendeten
Kriege gefallenen französischen Soldaten. Sie richteten dabei auch eine Adresse
an die Truppen der französischen Occupationsdivision zu Rom, in welcher sie
es beklagten, daß ihnen der freie Ausspruch ihrer Meinung nicht gestattet sei,
daß sie nicht einmal für ihre gefallenen Landsleute beten dürfen, daß sie, um
ihrem Bedürfnisse zu genügen, den Ausweg wählen müßten, ihre Thränen
mit denen der Franzosen zu vermischen. Früher oder später aber, so hoffen
sie, werde der natürliche ^Bund der italienischen Völker (worunter sicherlich
nicht der unter dem Ehrenpräsidium des Papstes verstanden war), der vom Kaiser
Napoleon anerkannt, durch so viel kostbares Blut gefestigt sei, sicher die ganze
Unabhängigkeit Italiens herbeiführen. Ende August hatte der Papst das be¬
waffnete Einschreiten gegen die Romagna vorläufig aufgegeben; dagegen ver¬
sammelte er schon am 2. September eine Cardinalscongregation, um mit ihr
user die Anwendung der höchsten geistlichen Zuchtmittel gegen die Romagna,
deren Zulässigkeit und Nutzbarkeit zu berathen. Als dann die Romagnolen
ihre Beschlüsse über die Abschaffung der weltlichen Gewalt des Papstes und
den Anschluß an Piemont gefaßt hatten, als namentlich Victor Emanuel die
Deputation der Romagnolen in Monza empfangen und versprochen hatte, für
ihre Wünsche kräftig aufzutreten, indem er aus jenen Beschlüssen Ansprüche
und Rechte für sich herleitete; da wurden vom Papste nicht blos die militä¬
rischen Maßregeln zur Vorbereitung eines bewaffneten Angriffes auf die Ro¬
magna mit neuem Eifer wieder aufgenommen, sondern anch die geistlichen Waffen
wurden jetzt an aller Welt Enden geschliffen. Das sichtbare Signal dazu war
die Allocution, welche Pius IX.. am 26. September im geheimen Consistorium
hielt. Die Hoffnung, welche er in der Allocution vom Juni gehegt habe, daß
die Romagnolen reumüthig zu ihm zurückkehren würden, sagte er, sei bitter


wagten nicht recht, sich an die Spitze zu stellen; höchstens brachte hie und da
Einer im Süden, in der Gegend von Rimini namentlich, einen Haufen fcmati-
sirter Bauern zusammen, welche aber von dem einschreitenden Militär alsbald
zerstreut wurden, ohne daß dieses sich zu einer Verfolgung aus das päpstliche
Gebiet fortreißen ließ. Ihre Rüstungen konnten die Mittelitaliener bei
dem Reichthum des Landes bald in den Stand setzen, es mit den Truppen
des Papstes, denen sich jene der Herzoge anschlössen, allein aufzunehmen,
um so mehr, als es in dem ganzen päpstlichen Gebiete für die italienische
Sache, d. h. im Wesentlichen für den Anschluß an Piemont, gährte. Wie
wenig Pius IX. sich aus die Neigung der Bevölkerung zu ihm und seiner
Sache verlassen konnte, das zu sehen und zu erfahren hatte er manche Gelegen¬
heit. Die ganze Sonderbarkeit der bestehenden Verhältnisse malt sich außer
in vielen andern Vorfällen unseres Erachtens mit großer Deutlichkeit' in einem
Vorfalle zu Rom, in der Hauptstadt des Papstes selbst. Am 30. Juli näm¬
lich hielten die Römer einen Trauergottesdienst zu Ehren der im beendeten
Kriege gefallenen französischen Soldaten. Sie richteten dabei auch eine Adresse
an die Truppen der französischen Occupationsdivision zu Rom, in welcher sie
es beklagten, daß ihnen der freie Ausspruch ihrer Meinung nicht gestattet sei,
daß sie nicht einmal für ihre gefallenen Landsleute beten dürfen, daß sie, um
ihrem Bedürfnisse zu genügen, den Ausweg wählen müßten, ihre Thränen
mit denen der Franzosen zu vermischen. Früher oder später aber, so hoffen
sie, werde der natürliche ^Bund der italienischen Völker (worunter sicherlich
nicht der unter dem Ehrenpräsidium des Papstes verstanden war), der vom Kaiser
Napoleon anerkannt, durch so viel kostbares Blut gefestigt sei, sicher die ganze
Unabhängigkeit Italiens herbeiführen. Ende August hatte der Papst das be¬
waffnete Einschreiten gegen die Romagna vorläufig aufgegeben; dagegen ver¬
sammelte er schon am 2. September eine Cardinalscongregation, um mit ihr
user die Anwendung der höchsten geistlichen Zuchtmittel gegen die Romagna,
deren Zulässigkeit und Nutzbarkeit zu berathen. Als dann die Romagnolen
ihre Beschlüsse über die Abschaffung der weltlichen Gewalt des Papstes und
den Anschluß an Piemont gefaßt hatten, als namentlich Victor Emanuel die
Deputation der Romagnolen in Monza empfangen und versprochen hatte, für
ihre Wünsche kräftig aufzutreten, indem er aus jenen Beschlüssen Ansprüche
und Rechte für sich herleitete; da wurden vom Papste nicht blos die militä¬
rischen Maßregeln zur Vorbereitung eines bewaffneten Angriffes auf die Ro¬
magna mit neuem Eifer wieder aufgenommen, sondern anch die geistlichen Waffen
wurden jetzt an aller Welt Enden geschliffen. Das sichtbare Signal dazu war
die Allocution, welche Pius IX.. am 26. September im geheimen Consistorium
hielt. Die Hoffnung, welche er in der Allocution vom Juni gehegt habe, daß
die Romagnolen reumüthig zu ihm zurückkehren würden, sagte er, sei bitter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/156>, abgerufen am 23.07.2024.