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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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stand diese Armee mit ihrer Avantgarde -- unter General Pinelli -- dicht
an der Grenze des Kirchenstaates am Tronto gegen Ascoli hin, während ihre
Arrieregarde sich in der Gegend des Garigliano bei Se, Germano befand. Es
ward um diese Zeit beschlossen, die "Armee der Abruzzen" auf 30.000 Mann
zu verstärken; wahrscheinlich in Folge der Ermordung Anvitis zu Parma, von
welcher wir später ausführlicher sprechen werden, und der Hoffnung, welche
dadurch bei den italienischen Fürsten angeregt ward, daß Napoleon ein Ein¬
schreiten in Mittelitalien, wenn er sich auch nicht selbst daran betheiligen würde,
gestatten möchte. Bei der verhältnißmäßigen Schwäche und der eigenthüm¬
lichen Lage der italienischen contrerevolutionärcn Verbündeten, Papst, vertrie¬
bene Herzöge und Neapel, bei ihrer Erbitterung gegen Alles, was in Nord-
rmd Mittelitalien sich begab, und gegen Napoleon, den sie doch wieder fürchteten,
konnte man mit ziemlicher Sicherheit voraussetzen, daß sie keinen festen Plan
verfolgen, nicht mit Entschiedenheit auf ein festes Ziel losgehen würden, daß
sich Schwanken in ihren Maßregeln zeigen, daß sie bei jedem auch dem un¬
bedeutendsten neuen Ereigniß, von Furcht oder Hoffnung bewegt, zu den ver¬
schiedenartigsten und widersprechendsten Entschlüssen hingezogen werden würden.
Das sicherste Ziel und die geringste Furcht hatte die päpstliche Regierung.
Einerseits hatte sie noch den Fuß auf eignem Boden, wie die Vertriebnen
Herzöge nicht, deren Mitwirkung sie allein die Basis geben konnte; andererseits
hatte sie ein Terrain verloren, zu dessen Wiedereroberung ihr auch von Napo¬
leons Standpunkt aus nicht wohl das Recht abgestritten werden konnte, drit¬
tens baute sie auf die Macht und Urbild des katholischen Clerus in der ganzen
Welt und dachte kaum an die Gefahr, daß irgend eine Macht den Vorschlag
wogen Würde, ihr die Romagna abzunehmen.

Als Ende August der Plan zur directen Wiedereroberung der Romagna
vorläufig aufgegeben oder aufgeschoben ward, sprach sich bei der päpstlichen
Regierung unverkennbar der Wunsch aus, die Romagnolen, die Mittelitaliener
überhaupt möchten ihrerseits zum Angriffe auf das noch päpstliche Gebiet des
Kirchenstaates schreiten und dadurch Anlaß und Vorwand zur Mitwirkung Nea¬
pels auf päpstlicher Seite geben, und es sehlte von päpstlicher Seite nicht an
Neckereien, die etwas der Art herbeiführen sollten. Irren wir nicht, so war
auch die Errichtung der sogenannten Guardia villica oder Ausiliari der gleichen
Absicht nicht fremd. Es war dies eine Art Bauernbewaffnung, welche theils
vom Clerus, theils von den Ortschaften gegen ihnen dafür gewährte Gemeinde-
Privilegien unterhalten wurde und ganz und gar unter der Leitung der Priester
stand; es ward daraus gerechnet, daß dieses Institut sich auch nach der Ro¬
magna verbreiten, dort dle provisorische Regierung zum Einschreiten bewegen
und die Romagnolen nun in Verfolgung ihres Zieles über die Grenze ziehen
würde. In der Romagna fand indessen die Sache wenig Anklang; die Priester


stand diese Armee mit ihrer Avantgarde — unter General Pinelli — dicht
an der Grenze des Kirchenstaates am Tronto gegen Ascoli hin, während ihre
Arrieregarde sich in der Gegend des Garigliano bei Se, Germano befand. Es
ward um diese Zeit beschlossen, die „Armee der Abruzzen" auf 30.000 Mann
zu verstärken; wahrscheinlich in Folge der Ermordung Anvitis zu Parma, von
welcher wir später ausführlicher sprechen werden, und der Hoffnung, welche
dadurch bei den italienischen Fürsten angeregt ward, daß Napoleon ein Ein¬
schreiten in Mittelitalien, wenn er sich auch nicht selbst daran betheiligen würde,
gestatten möchte. Bei der verhältnißmäßigen Schwäche und der eigenthüm¬
lichen Lage der italienischen contrerevolutionärcn Verbündeten, Papst, vertrie¬
bene Herzöge und Neapel, bei ihrer Erbitterung gegen Alles, was in Nord-
rmd Mittelitalien sich begab, und gegen Napoleon, den sie doch wieder fürchteten,
konnte man mit ziemlicher Sicherheit voraussetzen, daß sie keinen festen Plan
verfolgen, nicht mit Entschiedenheit auf ein festes Ziel losgehen würden, daß
sich Schwanken in ihren Maßregeln zeigen, daß sie bei jedem auch dem un¬
bedeutendsten neuen Ereigniß, von Furcht oder Hoffnung bewegt, zu den ver¬
schiedenartigsten und widersprechendsten Entschlüssen hingezogen werden würden.
Das sicherste Ziel und die geringste Furcht hatte die päpstliche Regierung.
Einerseits hatte sie noch den Fuß auf eignem Boden, wie die Vertriebnen
Herzöge nicht, deren Mitwirkung sie allein die Basis geben konnte; andererseits
hatte sie ein Terrain verloren, zu dessen Wiedereroberung ihr auch von Napo¬
leons Standpunkt aus nicht wohl das Recht abgestritten werden konnte, drit¬
tens baute sie auf die Macht und Urbild des katholischen Clerus in der ganzen
Welt und dachte kaum an die Gefahr, daß irgend eine Macht den Vorschlag
wogen Würde, ihr die Romagna abzunehmen.

Als Ende August der Plan zur directen Wiedereroberung der Romagna
vorläufig aufgegeben oder aufgeschoben ward, sprach sich bei der päpstlichen
Regierung unverkennbar der Wunsch aus, die Romagnolen, die Mittelitaliener
überhaupt möchten ihrerseits zum Angriffe auf das noch päpstliche Gebiet des
Kirchenstaates schreiten und dadurch Anlaß und Vorwand zur Mitwirkung Nea¬
pels auf päpstlicher Seite geben, und es sehlte von päpstlicher Seite nicht an
Neckereien, die etwas der Art herbeiführen sollten. Irren wir nicht, so war
auch die Errichtung der sogenannten Guardia villica oder Ausiliari der gleichen
Absicht nicht fremd. Es war dies eine Art Bauernbewaffnung, welche theils
vom Clerus, theils von den Ortschaften gegen ihnen dafür gewährte Gemeinde-
Privilegien unterhalten wurde und ganz und gar unter der Leitung der Priester
stand; es ward daraus gerechnet, daß dieses Institut sich auch nach der Ro¬
magna verbreiten, dort dle provisorische Regierung zum Einschreiten bewegen
und die Romagnolen nun in Verfolgung ihres Zieles über die Grenze ziehen
würde. In der Romagna fand indessen die Sache wenig Anklang; die Priester


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/155>, abgerufen am 23.07.2024.